Finalserie gegen Miami Heat San Antonio Spurs — die Teammaschine der NBA

Miami · In den NBA-Finals führt San Antonio sensationell mit 3:1 Spielen gegen den Titelverteidiger aus Miami – weil es auf fast vergessene Tugenden setzt. Eine Erklärung.

San Antonio erhöht im Finale gegen Miami auf 3:1
26 Bilder

San Antonio erhöht im Finale gegen Miami auf 3:1

26 Bilder

In den NBA-Finals führt San Antonio sensationell mit 3:1 Spielen gegen den Titelverteidiger aus Miami — weil es auf fast vergessene Tugenden setzt. Eine Erklärung.

Den sonst so wortgewaltigen Experten der Radio- und TV-Sender, der Websites und Blogs fehlen in diesen Tagen die Worte. Bei den meisten hört und liest man es zwischen den Zeilen, manche geben es sogar offen zu.

Dabei war die Finalrunde der NBA eine knappe Woche lang grob gelaufen wie erwartet: Spiel 1 hatte San Antonio gewonnen, okay — aber vor allem wegen einer kaputten Klimaanlage, die dem besten Spieler des Gegners und der Welt, LeBron James, am meisten zugesetzt hatte. In Spiel 2 glich der Titelverteidiger aus Florida prompt aus. Dass dieser Sieg nur hauchdünn zustande kam, mit 98:96, wurde kaum thematisiert.

Dieses Jahr scheint alles anders zu werden

Die saftige Niederlage für Miami in Spiel 3 wurde allgemein hingenommen. Ein starker Auftritt San Antonios, hieß es, das schon, aber auch mit einmaligem Wurfglück. Ein statistischer Ausreißer. Und überhaupt: Durchhänger ist man gewohnt von den Diven aus Miami. Im letztjährigen Finale, gegen denselben Gegner, hatten sie nie geführt, nie agiert, sondern stets nur reagiert. Weil ein gutes Pferd nur so hoch springt, wie es muss. 0:1 stand es nach dem ersten Spiel, später 1:2 und 2:3.

Aber am Ende 4:3 für Miami. Nach einem Aufbäumen in den letzten Sekunden des schon verloren scheinenden Endspiels. Viele Fans hatten die Halle schon verlassen. Das verhasste Retortenteam, das in der jetzigen Besetzung "nicht zwei, nicht drei, nicht vier, nicht fünf, nicht sechs, nicht sieben", sondern noch mehr Titel gewinnen wollte, hatte seine Meisterschaft von 2012 verteidigt und bei aller Hybris auch Herz gezeigt. Das musste man ihnen lassen.

Doch dieses Jahr scheint es anders zu werden. Denn am Donnerstagabend kam Spiel 4 — und dort nicht etwa der von allen erwartete erneute Ausgleich, das erste Spiel, in dem Miami wirklich die Muskeln spielen ließ wie der beste Junge auf dem Bolzplatz, der nach einigem Geplänkel seinen Ruf in Gefahr wähnt, seine Drohung wahr macht und "jetzt mal richtig spielt". Stattdessen verlor Miami erneut, 86:107, zum dritten Mal in vier Spielen mit 15, zum zweiten Mal in Folge sogar mit rund 20 Punkten Differenz. Am Sonntag können sie mit einem weiteren Sieg den Titel holen. Und es war keine Implosion. Eine Demontage, das schon. Aber nicht aufgrund der eigenen Schwäche, sondern aufgrund der Stärke San Antonios.

Die Statistik belegt die Überlegenheit

Die Wahrheit ist: Miami ist nicht zu langsam, zu einfältig, zu schlecht. San Antonio ist zu schnell, zu clever, zu gut. Das lässt sich statistisch beweisen, zurückzuführen ist es aber auf die grundlegendsten Tugenden überhaupt: In einer Zeit, in der sich Sportler wahlweise zu Pop-, Rock- oder Rapstars stilisieren, sind die San Antonio Spurs Sportsmänner der alten Schule geblieben.

Sie helfen gefallenen Gegnern auf, was laut den ungeschriebenen Gesetzen der vor Testosteron triefenden NBA in der Meisterschaftsrunde strikt verboten ist. Auch nachdem sich ein Spieler aus Miami einen fiesen verstecken Ellbogencheck in die Nieren seines Gegners erlaubt hatte.

Miami setzt mit großem Getöse auf seine "Big Three" — drei statt traditionell zwei anerkannte Superstars im selben Team. San Antonio besticht mit mannschaftlicher Geschlossenheit. In Miami hängen sie der alten Überzeugung an, dass nur US-Amerikaner Basketball auf dem höchsten Level spielen können. In San Antonio wirbeln lange abgeschriebene Franzosen, Argentinier und Australier um einen Brasilianer und einen Mann von den karibischen Jungferninseln unter den Körben. Sie lassen den Ball laufen wie selten eine Mannschaft zuvor. Als fleischgewordene Sportlerklischees spielen sie nicht für die eigenen Statistiken, Punkte, Korbvorlagen, an denen jeder bei den nächsten Vertragsverhandlungen gemessen werden wird.

Eine beinahe unlösbare Aufgabe

Stattdessen erlaufen und erkämpfen die Spieler aus San Antonio Räume füreinander. Berauschen sich aber nicht daran, lassen es nicht Selbstzweck sein, sondern kreieren damit gute Wurfmöglichkeiten — die sie eiskalt ungenutzt lassen zugunsten noch besserer, bis der Ball geradezu zwangsläufig den Weg in den Korb findet. "Play the right way" nennen die Amerikaner das nach dem Bonmot der Trainerlegende Larry Brown. Man könnte auch sagen: Tiki-taka auf Speed, Basketball zum Niederknien, Mannschaftssport in Perfektion.

Miami steht nun vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Einen 1:3-Rückstand im Finale hat noch nie ein Team aufgeholt. Dass es so weit kam, liegt an einem weiteren historischen Fakt: San Antonio hatte als erstes Team der NBA-Geschichte keinen einzigen seiner Spieler in der regulären Saison länger als 30 (von 48) Minuten im Schnitt spielen lassen. Mutig, aber doppelt sinnig: Erfahrene Spieler bekamen Ruhepausen, junge Gelegenheit, sich unter Wettkampfbedingungen weiterzuentwickeln.

LeBron James, der beste Spieler der Welt, ist eine Basketballmaschine. Die San Antonio Spurs haben auch eine — ihre Mannschaft.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort