Sonntagsgespräch Die Zukunft von NRW

Düsseldorf · Als bekannter Trendforscher hat Matthias Horx viele kontrovers diskutierte Werke wie "Anleitung zum Zukunftsoptimismus", "Wie wir leben werden" oder "Smart Capitalism" verfasst. Als Vortragsredner tritt der 60-Jährige häufig für hohe Honorare bei Unternehmen oder auf Kongressen auf. Privat: Aktuell lebt er überwiegend in Wien, aber im Interview spricht er gerne über seine Heimat NRW.

 Matthias Horx.

Matthias Horx.

Foto: DPA (3), Thinkstock (2), Schaller, Seybert

Herr Horx, wie sehen Sie als früherer Düsseldorfer die Zukunft Ihrer Geburtsstadt und von NRW?

Horx Zukunft ist immer das, was man daraus macht. Ein kreativer Bürgermeister - und eine dynamische Verwaltung - können sehr entscheidend sein für die Perspektiven einer Stadt. Selbstzufriedenheit kann hingegen die Zukunft verbauen. Düsseldorfs Potenzial ist ja unbestritten: Die Stadt war immer auf der Gewinnerseite der Ökonomie. Jetzt kommt es darauf an, ob sie neue Ideen generiert und Mut hat. Der Medienhafen ist prima. Weiter so! Nur Einkaufsstraße mit Edelkarossen reicht nicht!

NRW war einmal das Zentrum der Industriegesellschaft, sieht sich nun eher auf dem Weg in eine Dienstleistungsgesellschaft. Gut so?

Horx Das wird nicht reichen, denn manche Service-Branchen, etwa die Banken, sind ja längst auch schon in der Krise. Entscheidend wird mehr und mehr die "transformierte Industrie" oder "Industrie 4.0". Dafür braucht man Fusionen zwischen Geist, Wissenschaft und Technik. Standortentscheidend ist auch der kreative Sektor: Berlin zieht Unmengen von jungen Talenten an, die nach anderen Formen von Leben und Arbeiten suchen - die urban-globale "kreative Klasse" eben. Die zieht es aber auch nach Köln und nach Frankfurt. Da müssen Düsseldorf und andere Teile von NRW noch stark aufholen.

Wie bewerten Sie es, dass Eon sich nun in einen Konzern für "Neue Energien" und die "alte Eon" namens Uniper umstrukturiert?

Horx Wunderbar. Man versteht, dass im Energiesektor ein neues Spiel beginnt. Die alten Geschäftsmodelle der Energiebranche sind nicht mehr auf eine Welt anwendbar, in der Menschen und Häuser Energieproduzenten werden.

Welche Megatrends werden NRW wohl in der Zukunft eher helfen, wo muss das Land sich noch bemühen?

Horx Städte erfinden sich ja derzeit neu, eine neue Urbanität steht bevor. Das berührt die ganze Palette von Stadtarchitektur bis hin zur Ökologie. Grüne Energie zum Beispiel: Viele Städte gehen ungewöhnliche Wege in der Energieversorgung. Düsseldorf baut ein eigenes, hocheffektives Gaskraftwerk, das man sogar besichtigen kann. Toll! Nachhaltige und kreative Architektur wird ein Megathema. Neue Siedlungsformen entstehen, Stichwort Co-Housing, Urban Gardening, Co-Working Spaces in alten Fabriken. Die Lebensqualität in den Städten hängt auch davon ab, ob man das Auto, das lange genug den öffentlichen Raum dominiert hat, zukünftig zurückdrängt.

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Foto: RP, Thomas Busskamp

Was bedeutet das?

Horx Den größten Zuzug von aufwärtsmobilen, gebildeten Menschen haben "Creative Cities" wie Amsterdam, Kopenhagen, wo die Lebensqualität und das Kreativpotential inzwischen einfach exzellent geworden sind. In Oslo und Bergen in Norwegen fahren inzwischen zehn Prozent Elektroautos. Dagegen sind die Innenstädte von Köln und Düsseldorf immer noch Autowüsten. Wie überhaupt die Erinnerung von Reisenden an NRW immer eher der Verkehrsstau ist. Sorry!

Die Landesregierung will mehr Start-ups nach NRW locken. Klappt das gegenüber der Ausstrahlung von Berlin als Gründermetropole?

Horx Wenn man es wirklich will, geht es. Da reichen aber keine Fördergelder, wie man das früher gerne gemacht hat. Man braucht entfaltbare Räume, Quartiere, "Hubs", in denen das kreative Milieu sich ausbreiten kann. Das geht oft sehr gut in alter Industriearchitektur, da hat NRW riesiges Potenzial.

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Foto: AP

NRW hat härtere wirtschaftliche Schocks als die meisten anderen Bundesländer überwinden müssen, insbesondere im Ruhrgebiet. Gibt das Energie für die Zukunft ?

Horx Es gibt ja den schönen Begriff der Resilienz. Dieses Ruhrgebiet-Trotz-Gefühl ist ja auch schon oft beschrieben worden, auch in nöligen Liedern. Allerdings ist es sehr schwer, alte Industriestädte zu blühenden Modernitäts-Brückenköpfen zu machen. Man kann nicht aus jeder Zeche ein Event-Zentrum machen. Aber selbst schrumpfende Städte kann man gestalten. Und NRW hat ja viele verschiedene Regionen und Zentren, die man nicht alle in einen Topf werfen kann. Da ist die blühende Bildungsregion um Münster, die vielen vitalen Mittelstandsbetriebe im Nordosten, das Rheinland. NRW ist ja nicht nur Ruhrgebiet.

Ist die größte Schwäche des Landes, dass die Menschen zu wenig geübt darin sind, Eigeninitiative zu haben?

Horx Es gibt vielleicht ein bisschen eine staatsfixierte Grundstimmung, das liegt natürlich auch an der Tradition der Arbeiter-Region und der vielen Großbetriebe. Aber das lässt sich überwinden, und es hat sich, glaube ich, schon weitgehend aufgelöst. Und es ist kein spezifisches NRW-Problem.

In einer Studie von Prognos sehen wir in den zwei größten NRW-Städten Düsseldorf und Köln viel mehr Wachstum als im Ruhrgebiet und auf dem Land. Siegen die großen Städte?

Horx Ja, aber wir müssen hier differenzieren: Erstens können als Gegentrend attraktive ländliche Regionen Zuwachs bekommen, wie etwa Inseln wie Sylt oder das Alpenrandgebiet, oder auch der "Agrarcluster" rund um Vechta, wo es viele junge Familien gibt. Zweitens sind nur diejenigen Städte Magneten, die einen gewissen Kick haben. Das Standortmarketing des 21. Jahrhunderts muss sich entlang der "Creative City" und der "Smart City" orientieren, für beides gibt es Indizes.

Was bedeutet das?

Horx Die Magneten sind dort, wo sich Ideen ballen, Komplexität entwickelt, wo Vielfalt herrscht, und zwar nicht nur geduldet, sondern gewollt. Allegorisch: Wo man das Fremde nicht nur nicht ablehnt, sondern geradezu sucht. Und wo man ein wenig Chaos aushält, ja sogar begrüßt. Für die jungen Europäer der nächsten Generation ist die Alternative vielleicht Barcelona oder Umea in Schweden - nahe am Polarkreis und Kulturhauptstadt 2014 - oder Helsinki oder London. Oder eben Düsseldorf. Aber warum Düsseldorf? Ja, warum Düsseldorf, das ist tatsächlich die Frage, die man beantworten muss.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE REINHARD KOWALEWSKY.

(RP)
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