Düsseldorf Pötsch zum neuen Aufsichtsratschef gewählt

Düsseldorf · Er muss einen gigantischen Industrieskandal aufdecken - und beginnt mit Sprachhülsen

Knapp 600.000 Mitarbeiter atmen auf: Wenigstens der Aufsichtsrat von Volkswagen hat gestern einen neuen Eklat vermieden und den bis zuletzt umstrittenen Hans Dieter Pötsch (64) zum Nachfolger des im Frühjahr zurückgetretenen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch gewählt.

Das war nicht selbstverständlich. Als das Präsidium sich vor knapp einer Woche zu diesem Vorschlag durchgerungen hatte, hagelte es Kritik. Weil Pötsch noch amtierender Finanzvorstand des VW-Konzerns ist, gilt seine Rolle beim Skandal um die manipulierten Abgastests ("Dieselgate") als ungeklärt. Und nachdem VW mit Ex-Porsche-Chef Matthias Müller schon die Führungskrise an der Vorstandsspitze mit einem Mann aus den einen Reihen gelöst hat, hätte mancher Aktionär sich wenigstens an der Spitze des Kontrollgremiums ein Gesicht von außen gewünscht.

Das könnte demnächst zumindest auf Arbeitnehmerseite mit dem designierten IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hinzukommen. Dieser wird wohl nach dem Gewerkschaftstag Mitte Oktober Berthold Huber in dem Gremium beerben. Huber hatte den VW-Aufsichtsrat nach Piëchs Abgang für ein halbes Jahr als Interimsvorsitzender geführt.

Pötsch selbst sagte gestern nur, was man als neu gewählter Krisenmanager eben so sagt: "Es ist mir ein persönliches Anliegen, alles zu tun, damit die Vorgänge restlos aufgeklärt werden." Er sehe es als seine "Kernaufgabe" an, das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

Genau genommen war das etwas wenig für jemanden, der gerade dazu bestimmt wurde, einen der größten Industrieskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte aufzuklären. Der Aufsichtsrat brütet seit gut 14 Tagen über dem Schlamassel. Da hätte man für den neuen Chefkontrolleur ja vielleicht die Ankündigung einer konkreten Maßnahme vorbereiten können - oder eine Grundsatzrede. So wirkte Pötsch gestern erst einmal ratlos. Aber wer hätte die Kommunikation des neuen Chefkontrolleurs auch vorbereiten sollen? VW-Chefkommunikator Hans-Gerd Bode ist selbst erst seit einer Woche im Amt, und sein Vorgänger Stephan Grühsem war in den Sog des Rücktritts von VW-Chefs Martin-Winterkorn geraten . . .

Unterdessen hat das Unternehmen eine neue Front in NRW: Für mögliche Steuerschäden durch die Abgas-Manipulationen soll nach Ansicht von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) der Konzern und nicht der Steuerzahler geradestehen. In einem Brief an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verweise Walter-Borjans auf Steuervorteile für Diesel-Fahrzeuge mit niedrigen Abgaswerten, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Wegen der von VW eingestandenen Manipulationen könnten Kfz-Steuern zu niedrig festgesetzt worden sein. Es dürfe aber nicht dazu kommen, dass der Staat den Käufern von VW-Fahrzeugen Nachzahlungsbescheide schicke und die Autobesitzer auf diese Weise dazu zwinge, sich das Geld durch aufwendige Schadenersatzklagen bei Volkswagen zurückzuholen.

Eine Kölnerin hat VW bereits vor dem Landgericht Braunschweig auf Schadenersatz verklagt, weil der Motor ihres vor fünf Jahren gekauften VW Sharan Blue Motion nun offenbar doch nicht so sauber sei, wie gedacht. Die angeblich niedrigen Abgaswerte seien für sie jedoch kaufentscheidend gewesen, wie es in einer 28 Seiten starken Klageschrift der Kanzlei Jordan Fuhr Meyer heißt.

Kolumne Seite 2

(RP)
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