Berlin Wirtschaftsweise warnen vor Mindestlohn

Berlin · Heute übergibt der Sachverständigenrat sein Jahresgutachten. Darin warnt er Schwarz-Rot vor einem Zurückdrehen der Agenda 2010 und Steuererhöhungen. Die Wirtschaft soll im kommenden Jahr um 1,6 Prozent wachsen.

Die fünf "Wirtschaftsweisen" warnen Union und SPD vor überzogener Regulierung und ausufernden Staatsausgaben. Zwar wachse die Wirtschaft ordentlich, es gebe aber keinen größeren Verteilungsspielraum, schreibt der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Jahresgutachten. Es trägt den Titel "Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik" und wird heute in Berlin an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben.

"Künftige Herausforderungen werden um ein Vielfaches schwerer zu bewältigen sein, wenn die Reformen der Agenda 2010 verwässert oder in Teilbereichen gänzlich zurückgenommen werden", schreiben die Autoren. Auch kritisieren sie die geplanten Mehrausgaben von Union und SPD für die Mütterrente, die Aufstockung von niedrigen Renten sowie die Ausnahmen bei der Rente mit 67. Diese Maßnahmen gingen "zu Lasten der kommenden Generationen", heißt es. Die aktuelle wirtschaftliche Lage habe offenbar den Blick auf die "großen zukünftigen Herausforderungen" verstellt.

Die vor zehn Jahren eingeleiteten Reformen am Arbeitsmarkt ("Agenda 2010") zeigen große Erfolge: Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie lange nicht mehr. Und die Erholung geht weiter: Die Arbeitslosenquote werde im kommenden Jahr weiter leicht sinken — von 6,9 Prozent auf 6,8 Prozent, schreiben die Regierungsberater. Die Arbeitslosenzahl werde bei knapp 2,9 Millionen stagnieren. Die Beschäftigung werde ein neues Rekordhoch erreichen: Die Zahl der Erwerbstätigen werde auf über 42 Millionen steigen. Eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik vermeide nun Maßnahmen, die künftig noch größeren Handlungsdruck erzeugten, mahnen die Ökonomen.

Insgesamt erwarten die Wirtschaftsweisen ein kräftiges Anziehen der deutschen Wirtschaftsleistung. Das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller in Deutschland produzierten Waren und Dienstleistungen, werde im kommenden Jahr um 1,6 Prozent zulegen nach 0,4 Prozent in diesem Jahr. Das ist etwas weniger als die Bundesregierung bislang erwartet.

Nach Ansicht des Sachverständigenrates wird der Aufschwung von der Binnenwirtschaft und einem Anstieg der privaten Ausgaben getragen. Inflationsgefahren sehen die Berater nicht. Der Anstieg der Verbraucherpreise habe sich im laufenden Jahr "merklich abgeschwächt", heißt es. Im Durchschnitt des Jahres 2013 werde eine Preissteigerungsrate von 1,5 Prozent erreicht. Vor allem die höheren Kosten der Umlage für den Öko-Strom (EEG) seien dafür verantwortlich.

Die Ökonomen mahnen eine raschere Konsolidierung der Staatsfinanzen an und sehen dafür Spielraum in den bestehenden Haushalten. "Steuererhöhungen sind in der jetzigen Situation abzulehnen."

Auch die geplanten Eingriffe am Immobilienmarkt halten die Weisen für falsch. Die steigende Wohnraum-Nachfrage in Großstädten stelle zwar eine sozialpolitische Herausforderung dar. Doch die Festlegung von Obergrenzen bei der Miete ("Mietpreis-Bremse") sei kontraproduktiv. Dadurch würde der dringend nötige Neubau verhindert. Auch seien keine weiteren Abschreibungs-Regeln nötig, schon jetzt seien Immobilien-Investitionen steuerlich begünstigt. Statt den sozialen Wohnungsbau auszuweiten sollte armen Haushalten durch Wohngeld geholfen werden.

Die SPD kritisierte die Empfehlungen der Wirtschaftsweisen. "Die wirtschaftlichen Aussichten sind durchaus erfreulich", sagte Wolfgang Tiefensee, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Allerdings gingen die Vorstellungen über eine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik auseinander. "Wir brauchen aber dringend mehr Investitionen in Innovationen und Infrastruktur, etwa eine flächendeckende Breitbandversorgung." Diese Themen würden in dem Gutachten der Ökonomen deutlich zu kurz kommen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort