Gregor Berghausen "Geisel muss Ausgaben in den Griff bekommen"

Düsseldorf · Der Hauptgeschäftsführer der IHK über die Schuldenfreiheit, die drohende De-Industrialisierung und den Hafenausbau in Reisholz.

 Gregor Berghausen: "Aus einem Stellenabbau bei einigen Industrieunternehmen auf eine De-Industrialisierung zu schließen, ist schlicht falsch.

Gregor Berghausen: "Aus einem Stellenabbau bei einigen Industrieunternehmen auf eine De-Industrialisierung zu schließen, ist schlicht falsch.

Foto: Anne Orthen

Herr Berghausen, haben die schrecklichen jüngsten Terroranschläge in Istanbul und Berlin auch die Düsseldorfer Wirtschaft beeinträchtigt?

Berghausen Die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sind ein sehr wichtiger Aspekt für Düsseldorfs Wirtschaft. Und leider ja, der Terror belastet auch. Auch die Vertreter der internationalen Unternehmen sind durch solche Ereignisse emotional getroffen. Es gibt ein Gefühl der Unsicherheit und das ist Gift für die Wirtschaft.

Wie sind die aktuellen Prognosen für die Wirtschaft im Kammerbezirk, also in Düsseldorf und dem Kreis Mettmann?

Berghausen Unsere Konjunkturprognose geht auch für 2017 von einer positiven Entwicklung aus. Die Unternehmen im IHK-Bezirk sind grundsätzlich in einer stabilen wirtschaftlichen Situation, und das jetzt schon seit mehreren Jahren.

Was ist mit der schleichenden De-Industrialisierung? Die großen Industriebetriebe bauen Stellen ab. Mehr als 600 im Sprinterwerk und beim Rohrhersteller Vallourec, auch der Anlagenbauer SMS streicht Jobs.

Berghausen Ich sehe in keiner Weise eine De-Industrialisierung. Aus einem Stellenabbau bei einigen Industrieunternehmen auf eine De-Industrialisierung zu schließen, ist schlicht falsch. Im Gegenteil: Über alle Branchen betrachtet hat Düsseldorf seit 2010 bei den Betrieben um 7,5 Prozent zugelegt. Bei den ausländischen Investoren sind es sogar fast 24 Prozent. Unverändert besteht ein Fünftel der Wirtschaftskraft unserer Region aus Industrieunternehmen. Selbstverständlich können Neugründungen und -ansiedlungen nicht auf einen Schlag 600 Stellen bei Daimler ausgleichen. Aber aus einer teilweisen Standortverlagerung oder aus einer Branchenkrise wie beim Stahl auf eine Krise unserer Region zu schließen, ist nicht richtig. Wir haben seit geraumer Zeit eine gute konjunkturelle Lage. Die Region Düsseldorf ist in dieser Hinsicht etwas Besonderes.

Sind, wie viele der rot-grünen Landesregierung vorwerfen, die Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen schwierig?

Berghausen Es gibt zwei große Themenblöcke in NRW zurzeit. Da ist erstens das große Thema Infrastruktur, das meint digitale Infrastruktur und Verkehrsprojekte. Zweitens ist da der Fachkräftemangel. Bei aller Kritik an den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sollte unbedingt an den kürzlich vorgelegten industriepolitischen Leitlinien von Wirtschaftsminister Garrelt Duin festgehalten werden, unabhängig davon, wie die Landtagswahlen im Mai ausgehen.

Welche Verkehrs-Infrastruktur meinen Sie konkret?

Berghausen Da ist der geplante Regionalzug RRX mit seinen Stopps in Düsseldorf. Aber auch der Reisholzer Hafen, der für Unternehmen im Düsseldorfer Süden wie Henkel, Terex oder Komatsu für den Standort überlebensnotwendig ist. Und natürlich die Leverkusener Rheinbrücke. Leverkusen ist nicht, wie manche meinen, weit weg, sondern ist als wichtige Nord-Süd-Achse auch für die Region Düsseldorf von existenzieller Bedeutung.

Wie wird es in der Stadt weitergehen? Ist Düsseldorf irgendwann voll?

Berghausen Wir sind eine stark wachsende Region, die mehr Wohnraum braucht und mehr Arbeitsplätze. Nur wenn wir beides schaffen, kann das gelingen. Wir haben eine bis an die Halskrause belastete Infrastruktur, die nicht mal eben noch 10.000 Pendler mehr verkraftet. Wir müssen auch Menschen dort ansiedeln, wo sie arbeiten.

Brauchen wir wieder Werkswohnungen?

Berghausen Ich fordere keine Werkswohnungen. Denn das sind unternehmerische Entscheidungen. Aber es gibt sicher Möglichkeiten, Wohnen und Arbeit stärker zu verzahnen. Denken Sie an die neuen Wohntürme, die im Medienhafen entstehen sollen. Direkt daneben wird die neue Zentrale der Hotel-Suchmaschine Trivago gebaut. Eine ideale Nachbarschaft, aus der sich zum Nutzen von Unternehmen und Fachkräften etwas machen ließe.

Also mehr ungenutzte Gewerbeflächen in Wohnraum umwandeln?

Berghausen Auf keinen Fall dürfen einfach alle Gewerbeflächen zur Disposition stehen. Wir brauchen unbedingt auch Industrieflächen, eine Art industrielle Reserve für wichtige Investitionen. Neue Arbeitsplätze entstehen nicht nur durch Start-ups, es gibt in einer Stadt wie Düsseldorf nicht nur Denker-Jobs, sondern wir brauchen auch solche in Gewerbe und Industrie. Natürlich gibt es in einem Ballungsraum Grenzen. Logistik hat etwa in den meisten Fällen einen sehr großen Flächenbedarf.

Wie beurteilen Sie die Bestrebungen für die digitale Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen?

Berghausen Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hat angekündigt, bis 2018 eine digitale Infrastruktur von 50 Mbit zu schaffen. Das wird dann meines Erachtens 2018 schon deutlich zu wenig sein. Denn bereits heute sind in manchen Bereichen 100 Mbit normal und notwendig.

Im Düsseldorfer Rathaus soll eine Sparkommission eingerichtet werden. Was halten Sie davon?

Berghausen Die Unternehmen erwarten eine transparente Politik und Verlässlichkeit. Für sie ist Zuverlässigkeit wichtig, ebenso, dass die Steuern nicht erhöht werden. Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hat gesagt, er wolle die Einnahmeseite stärken. Aber Düsseldorf hat kein Einnahmeproblem. Düsseldorf hat nur rund 60 Prozent der Einwohner von Köln, verfügt aber über 88 Prozent der Kölner Gewerbesteuereinnahmen. Das zeigt, wie ertragreich die Landeshauptstadt ist. Düsseldorf hat eher ein Ausgabenproblem, das Geisel in den Griff bekommen muss.

Wie soll das geschehen?

Berghausen Stellenabbau und Personalkonsolidierung sind wichtige Schritte. Wir müssen auch das Niveau der städtischen Dienstleistungen an das anderer Kommunen anpassen. Das kann durchaus schmerzliche Komfortverluste bedeuten.

Es sollen aber Schul-Investitionen dieses Jahr über die Tochter IPM der Stadttochter IDR finanziert werden - mit Krediten. Die FDP hofft, sie im Folgejahr bei besseren Steuereinnahmen gleich wieder zurückzahlen zu können. Ist das noch Schuldenfreiheit?

Berghausen Das ist aus Sicht der Wirtschaft sicher nicht der Fall. Haushaltsklarheit und -wahrheit sind sicher besser.

Apropos Schulen. Ihr Kollege von der Handwerkskammer beklagt die zu starke Akademisierung der Berufseinsteiger. Teilen Sie diese Sorge?

Berghausen Allerdings. Und wir werden in diesem Bereich noch eine Trendwende erleben. Immer weniger Schulabgänger wählen den Weg der bewährten dualen Ausbildung und machen stattdessen ein Bachelor-Studium. Doch in Wahrheit findet eine umgekehrte Selektion statt. Zum Studium kann jeder, wenn die Noten stimmen. Ein Auszubildender aber hat schon unter Beweis gestellt, dass er sich kümmern kann, Bewerbungen abschickt, sich dem Arbeitnehmer präsentiert, sich in hierarchische Strukturen eingliedern und mitarbeiten kann. Wir werden noch erleben, dass Menschen mit beruflicher Ausbildung und einer Weiterbildung zum Meister, Techniker oder Fachwirt den Uni-Absolventen in praktischen Belangen weit überlegen sind. Auch liegen deren Gehälter zum Teil bereits heute über denen von Akademikern.

Wie entwickelt sich mit diesen Aussichten die Zahl der Azubis?

Berghausen Immerhin ist es uns gelungen, den Rückgang der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im IHK-Bereich zu stoppen. Im vergangenen Jahr lagen wir erstmals wieder um ein Prozent im Plus. Das muss aber noch nicht die Trendwende sein. 600 Ausbildungsplätze waren zum Start des Lehrjahres in Düsseldorf noch frei.

Bluten wir mit unserer Wirtschaftskraft und einem Überhang an Lehrstellen die Städte im Ruhrgebiet aus?

Berghausen Das werde ich immer wieder gefragt, "wollen Sie, dass das Ruhrgebiet ausblutet?" Das aber kann kein Argument sein, Düsseldorf mit einem Investitionsaufschlag zu versehen. Damit ist dem Ruhrgebiet kein bisschen geholfen.

Wie stehen Sie zu den umstrittenen verkaufsoffenen Sonntagen?

Berghausen Wir sind für flexible Sonntags-Öffnungszeiten. Es muss möglich sein, dass es in Ballungsräumen und Oberzentren mehr verkaufsoffene Sonntage gibt als auf dem Land. Eine Gleichbehandlung der Standorte macht hier keinen Sinn, es sei denn, man will Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir sprechen immer von einem Wettbewerb unter den NRW-Kommunen. Viele vergessen, dass man in 25 Minuten nach Roermond ins Outlet fahren kann. Dort ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Das ist auch Wettbewerb.

THORSTEN BREITKOPF UND UWE-JENS RUHNAU FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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