Kerken Advent feiern - jetzt erst recht

Kerken · Angesichts einer Welt, die aus den Fugen geraten zu sein scheint, laden die vier Wochen vor Weihnachten zum Innehalten ein. Denn mit der Ankunft Jesu sind Licht und Frieden verbunden. Gedanken zweier Geistlicher.

 Die Form eines Schiffs hat der Adventskranz, den Dechant Theodor Prießen im Wohnzimmer hat.

Die Form eines Schiffs hat der Adventskranz, den Dechant Theodor Prießen im Wohnzimmer hat.

Foto: Gerhard Seybert

Den Adventskranz, den Pastorin Karin Latour aus ihrem Korb zaubert, ist nicht ihr privater, und auch nicht derjenige, der in der Kirche zum Einsatz kommt. Der Adventskranz mit den weißen Kerzen ist extra für den Kindergarten gekauft worden. Dort hat die evangelische Pastorin erzählt, woher der Brauch stammt.

Als Erfinder gilt Johann Hinrich Wichern. Er hat das Rauhe Haus in Hamburg gegründet, in dem Kinder unterkamen, um die sich die Eltern nicht kümmerten. Um die Zeit, die bis Weihnachten verstreicht, sichtbar zu machen, schuf er einen Kranz mit vier großen Kerzen für die Sonntage und Kerzen für die Wochentage dazwischen. "Wie Wichern den Kindern geholfen hat, das ist für die Kindergartenkinder spannend", sagt die Pfarrerin. Sie erzählt von Peter, der in der Tonne gelebt hat, bis er durch Wichern ein Zuhause und endlich auch ein richtig warmes Bettchen hatte.

Der Adventkranz stehe symbolisch für das Licht, die Ankunft Jesu Christi, die an Weihnachten gefeiert wird. Von dem, was in der Welt an Terror und Krieg passiert, bleibt auch die Adventszeit nicht unberührt. Zum Beispiel werden die Friedensgebete in der evangelischen Kirchengemeinde Kerken auch im Advent fortgeführt.

"Das Thema Frieden und die Sehnsucht danach, die schon immer da war, auch in den Geschichten des Alten Testaments der Bibel, steht sicher in der Adventszeit ganz besonders im Vordergrund", sagt die Pfarrerin. Sie ermutigt dazu, sich im Advent bewusst Zeit zu nehmen. "Das kann am Nachmittag sein oder morgens, wann spielt keine Rolle, ich muss es mir nur einrichten", sagt Latour.

Für sie sind die Worte und Texte im "Anderen Adventskalender" die Auszeit zum Alltag. "Es ist ein Moment des Innehaltens", sagt Latour. Dann zündet sie auch eine, später mehrere der Kerzen auf ihrem Adventskranz an. Den bekommt sie erst zum ersten Advent. Gestaltet wird der von ihrer Tochter, mit Dingen, die im Laufe der Jahre gebastelt oder angemalt wurden. Ansonsten ist es ein traditioneller Kranz mit Tannengrün und vier dicken Kerzen.

Alles andere als traditionell ist der "Adventskranz", der im Wohnzimmer von Dechant Theodor Prießen in Nieukerk auf dem Tisch steht. "Ein Schiff", erklärt er die Form des Gestecks. In der Mitte thront eine dicke, dunkelrote Kerze, umrankt von Efeu. Die Form ist ihm seit Jahren wichtig, weil sie ihn an das Lied "Es kommt ein Schiff, geladen" erinnert. Das Lied greife den Gedanken des kommenden Christus auf, erklärt Prießen. Das ist der Grund, warum Menschen Weihnachten feiern. "Der Wandel vom Beschenktsein zum Beschenkten entspricht aber viel mehr unserem gesellschaftlichen Denken", kritisiert Prießen. Dabei ist Weihnachten das Fest, an dem sich die Menschen erinnern, dass Gott sich selbst schenkt. "Darum das Schiff: Ich werde beschenkt, nicht ich muss etwas tun", sagt Prießen mit Blick auf seinen etwas ungewöhnlichen Adventskranz.

Ab dem 1. Advent wird die Kerze angezündet. Der Pfarrer wird noch weitere Advents-Rituale pflegen. Die beiden katholischen Kindergärten schenkten ihm einen Adventskalender mit 24 Überraschungen. Ab dem 1. Dezember startet in Nieukerk, Aldekerk und Stenden außerdem der "lebendige Adventskalender". Jeden Tag stellt ein anderer Bürger sein Fenster und seine Zeit zur Verfügung, um eine kleine Andacht zu halten, eine Geschichte zu hören oder zu singen. Traditionell beginnt der lebendige Adventskalender in Nieukerk mit dem Pfarrhaus.

Gerade in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, ist es vielleicht wichtiger denn je, den Advent bewusst zu gestalten. "Wir bereiten uns vor, das Jesus Christus kommt", fasst Prießen den Sinn von Weihnachten zusammen. Er erinnert an die Worte von Jesus, die schon St. Martin nach seiner Mantelteilung mit dem Bettler trafen. "Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan", zitiert Prießen die Worte des Gottessohnes. "In den Menschen Jesus erkennen, das ist schon ein hoher Anspruch. Ich finde aber, es ist eine gute adventliche Übung", lautet Prießens Fazit zum Advent.

(RP)
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