Jüchen Classic Days: Eine Zeitreise in das Jahr 1906

Jüchen · Vier Runden drehte NGZ-Mitarbeiter Marco Büren mit einem historischen Mercedes-Rennwagen, pilotiert vom Profi Roland Asch.

Jüchen: Classic Days: Eine Zeitreise in das Jahr 1906
Foto: Büren Marco

Alten Herrschaften steht Respekt zu - keine Frage. Das gilt sicher auch für alles, was nicht lebendig ist. Zum Beispiel für den 110 Jahre alten Mercedes, der einst ein Rennwagen war, und der mit der Classic-Abteilung zum Schloss Dyck gebracht worden ist. Es ist aber nicht nur das Alter, das für Ehrfurcht bei mir und den Besuchern sorgt. Vor allem ist es die Technik. "Kaum vorstellbar, dass damit früher Rennen gefahren wurden", sagt Roland Asch. Der 66-jährige Schwabe kann sich ein Urteil erlauben. Der ehemalige Rennfahrer, unter anderem zweimal Vizemeister der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft, hat in seinem Leben zahlreiche Pferdestärken bewegt. Und doch ist dieser Wagen für den Profi etwas ganz Besonderes. Baujahr 1906 - Aschs Augen beginnen zu leuchten.

 Der Rennwagen 1906 im Einsatz (li.), 110 Jahre später mit Roland Asch am Schloss Dyck (re.), der Blick aus der Fahrerperspektive (Mitte).

Der Rennwagen 1906 im Einsatz (li.), 110 Jahre später mit Roland Asch am Schloss Dyck (re.), der Blick aus der Fahrerperspektive (Mitte).

Foto: MB Classic, Classic Days, buer

Bremsen, Getriebe, Motor, Räder, Lenkung - natürlich ist alles da, was ein Auto von heute auch braucht. Viel mehr hat es aber nicht mehr gemein mit den Fords und Audis und Toyotas von heute. Denn keines der Teile wird so bedient, wie es Autofahrer der Gegenwart tun. "Die Bremse etwa", erklärt Asch, "wirkt wie eine Handbremse auf die Hinterräder, eine Bremse für die Vorderachse gibt es nicht." Stattdessen besitzt der 1906er Mercedes einen Bremsriemen, der auf die Kurbelwelle wirkt. "Wenn ich diese ein paar Mal bediene, dann qualmt es. So war es früher eben", sagt Asch. Der Hebel sieht aus, als könnten damit Güterzüge gebremst werden. Und der Motor wirkt mit seinen enormen Abmessungen wie ein Schiffsdiesel - auch der Klang ist nicht ganz unähnlich. Manfred Oechsle, Techniker von Mercedes-Benz-Classic, ist der Mann, der diesen Motor in Gang bringen kann. Gnadenlos werden Umstehende in Abgase eingenebelt. Für den Co-Piloten - also mich - das Zeichen, seinen Platz einzunehmen.

Roland Asch kommt vom Autogramme-Schreiben dazu, er streift sich die Lederhaube über den Kopf und rückt seine Brille zurecht. Bevor es losgeht, erklärt er mir, was ich zu tun habe: "Dort unten das Pedal ist für die Kraftstoffpumpe. Es kann sein, dass ich während der Fahrt deine Hilfe brauche." Oechsle und sein Kollege Gert Straub schieben den Wagen an. Asch rührt im Getriebe und setzt den Mercedes in Fahrt. Zwischen dem ganzen Gequalme und Motorengeheule höre ich ein leises Klatschen, das von den Zuschauern kommt, als wir starten.

In der ersten Kurve rät Asch mir: "Wenn du merkst, dass ich zu spät bremse, versuche, dich in die Strohballen zu werfen." Sollte wohl ein Scherz sein, aber wir haben noch lange nicht das Renntempo erreicht. Um ehrlich zu sein, sind wir nur zur Startlinie gerollt. Ich hoffe, Asch findet die Bremse. Rechtzeitig. Am Start winken wir den Zuschauern, eine Flagge wird geschwenkt, und schon rast Asch los, beide Hände an das Lenkrad geklammert, um das Ungetüm um die erste Kurve zu wuchten. In Damm schüttelt der Schwabe den Kopf und ist sich sicher, "dass die Fahrer früher bestimmt gar nicht gebremst haben". Da auch das Lenken nach enormem Kraftaufwand aussieht, ging es anno 1906 bestimmt auch bevorzugt geradeaus.

Ein Messgerät in Aldenhoven zeigt, dass wir mit 67 km/h unterwegs sind. Gefühlt ist es dreimal so viel. Ein bisschen wie Kettenkarussell-Fahren, wenn der Wind die Mundwinkel nach hinten drückt. So ist es also gewesen, einen Grand Prix vor 110 Jahren zu fahren.

Der geht leider viel zu schnell zu Ende. Am Streckenrand zeigt man uns ein Schild: "Final lap - letzte Runde". Asch bittet mich, Kraftstoff zu pumpen, damit unsere Fahrt nicht noch früher endet. Mit ein paar Fehlzündungen verabschieden wir uns nach vier Runden wieder in die Box. Asch ist begeistert. Ich auch. "Nun stell dir vor, dass die damals Rennen über hunderte Kilometer gefahren sind. Das war Knochenarbeit", sagt der Schwabe, nachdem er nur kaum eine Stunde am Steuer gesessen hat.

"Es war einfach Wahnsinn, mit dieser Höllenmaschine unterwegs zu sein", findet Asch und spricht mir damit, ohne es zu wissen, aus der Seele. Asch schüttelt wieder den Kopf, er kann kaum fassen, so etwas Tolles, Altes bewegt zu haben. Der 66-Jährige fragt mich nach meinem Alter. Antwort: 35. "Zusammen sind wir also jünger als dieser Wagen, irre", sagt Asch. 101 Jahre sind es. Das ist aber gar nicht wichtig, weil wir uns gerade fühlen wie kleine Jungs, die in ihrem ersten Kettcar sitzen und endlich eine Runde um den Block flitzen durften.

(NGZ)
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