Toronto Amerikaner auf der Flucht vor Trump

Toronto · Auf der Suche nach einem besseren Amerika planen Trump-geplagte US-Bürger einen Umzug nach Kanada - die ersten sind schon unterwegs.

Der Anwalt ist in der Spur, der Immobilienmarkt sondiert, die Formulare für die Einwanderungsbehörde an der Hand. Sara Schechter-Schoeman und Robert Jesselson wollen weg aus Amerika. "Donald Trump ist ein gefährlicher Demagoge, und ich habe das Gefühl, in meinem eigenen Land zur Fremden geworden zu sein", sagt Sara. "Wir fürchten um unsere Zukunft in Amerika", meint auch Robert. Die pensionierte Rechtsanwältin und der Hochschulprofessor leben seit 40 Jahren in Columbia im US-Bundesstaat South Carolina, doch dort fühlen sie sich jetzt nicht mehr sicher. Kurz vor der Wahl hatten sie an einer Straßenlaterne in der Nachbarschaft ein antisemitisches Poster entdeckt - erstmals in all den Jahren, die sie dort wohnen.

Nun wollen die beiden, die aktiv ihren jüdischen Glauben leben, sobald wie möglich nach Toronto ziehen, wo bereits ihre Tochter lebt. "Kanada ist eine der letzten echten liberalen Demokratien der Welt", meint Sara. Ein liberales Sehnsuchtsland, das so anders zu sein verspricht als das Amerika des Donald Trump. In dem mit Justin Trudeau der personifizierte Anti-Trump regiert, der wie kaum ein anderer Regierungschef die liberale Fahne hochhält.

Für viele US-Bürger wie Sara und Robert gilt Kanada als friedlich, tolerant und weltoffen, als "besseres Amerika" eben. "Die Freiheit wandert nach Norden", titelte unlängst der "Economist" und pries Kanada für seine liberale Politik in Zeiten, in denen der Rechtspopulismus überall auf der Welt auf dem Vormarsch zu sein scheint, ganz besonders auch in den USA unter Donald Trump.

Ganz anders in Toronto, sagen Sara und Robert: An der Metropole bewundern sie, wie entspannt und offen die Bewohner ihre religiöse und ethnische Vielfalt leben. Wie hoch die Qualität der Schulen und Hochschulen ist. Wie wenig Kriminalität und Gewalt im Alltag zu spüren sind. Dass außer Polizisten niemand mit Waffen durch die Straßen läuft, und dass alle Kanadier selbstverständlich eine Krankenversicherung besitzen.

Nun ist auch in Kanada nicht alles Gold, was glänzt. Auch in Kanada gibt es ab und an Ausfälle gegen Minderheiten, Anschläge auf Synagogen oder Moscheen. Und auch in Kanada versuchen rechtspopulistische Politiker, mit Ängsten auf Stimmenfang zu gehen, wie 2015 der damalige Premierminister Stephen Harper, der gegen Muslime Stimmung machte, von den Wählern dafür aber abgestraft wurde. Der neue Premier Trudeau tut seit der Abwahl Harpers alles, um das liberale Image seines Landes zu pflegen. Regelmäßig besucht er Gay-Pride-Paraden, er hofiert die Vereinten Nationen und predigt die Gleichstellung der Religionen und Geschlechter. Als einer der wenigen Regierungschefs weltweit hat er sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt. Syrische Flüchtlinge begrüßte er per Handschlag am Flughafen. Rund 35.000 Syrer hat Kanada mittlerweile aufgenommen, weit mehr als die USA. Die Integration der Neuankömmlinge gilt international als vorbildhaft.

Das hat sich auch in den USA herumgesprochen. Noch in der Nacht von Trumps Triumph war die Webseite der kanadischen Immigrationsbehörde unter der Last der Anfragen zusammengebrochen, und das Interesse an Kanada ist weiter lebhaft. "In den ersten vier Wochen nach der Wahl hatten wir etwa dreimal so viele Anfragen aus den USA wie sonst", erzählt Einwanderungsberater Gerd Damitz aus Toronto.

Noch ist es zu früh, um abzuschätzen, wie viele der Interessenten sich tatsächlich auf den Weg nach Kanada machen werden, wie stark der viel beschriebene "Trump-Bump" wirklich ist. "Viele potenzielle US-Einwanderer sind noch in Wartestellung und beobachten, wie sich die Regierung Trump entwickelt", berichtet Damitz. Erst in einem Jahr rechnet man in Kanada mit verlässlicheren Zahlen. Dann wird sich zeigen, ob es zu einem Exodus aus den USA kommen wird, so wie vor rund 50 Jahren, als Zehntausende vor dem Vietnam-Krieg und der Wehrpflicht nach Kanada geflüchtet waren. Auch nach der Wahl von George W. Bush war es in Kanada zu einem Anstieg der Bewerber aus den USA gekommen.

Real ist der Trump-Effekt schon in vielen kanadischen Hochschulen. Die Unis in Vancouver, Montréal oder Toronto melden zwischen 30 und 50 Prozent mehr US-Studenten als letztes Jahr, was auch am starken US-Dollar liegt. Viele Immobilienmakler in Kanada verzeichnen ein verstärktes Interesse aus den USA. Die Zahl der Amerikaner, die als politisch Verfolgte nach Kanada kommen wollen, hat sich im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Juliette und Jo Wallace haben nicht lange gefackelt. Die beiden Frauen Anfang Dreißig sind gerade aus den USA auf die Gulf Islands gezogen, eine beschauliche Inselgruppe nahe Vancouver. In ein möbliertes Häuschen im Wald mit Blick aufs Meer. "Wir hatten uns schon länger überlegt, nach Kanada zu ziehen", erzählt Juliette. "Die Wahl von Trump hat unsere Entscheidung beschleunigt."

"Kanada ist ein sicherer Hafen in Zeiten der Unsicherheit", meint Juliette, die mit ihrer amerikanischen Ehefrau Jo in Portland in Oregon gelebt hat, ursprünglich aber aus Montréal stammt. Daher besitzt sie auch einen kanadischen Pass - was dem Paar den Weg nach Kanada leicht gemacht hat. Für andere Amerikaner ist es nicht ganz so einfach, eine Immigration kann sich über Monate oder Jahre hinziehen.

"Wir sind mit dem Auto für zwei Tage nach Kanada gefahren, haben auf einer der Inseln ein Haus angemietet und die Einwanderungspapiere abgegeben", erzählt Jo. Da die beiden seit dem Sommer ganz offiziell verheiratet sind, bekommt auch Jo im Ahornland sofort eine Aufenthaltserlaubnis. Ganz selbstverständlich - Kanada eben.

(RP)
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