NSU-Prozess, zweiter Tag Die Verteidiger setzen auf Zermürbung

München · Der zweite Verhandlungstag im NSU-Prozess hat wie erwartet mit Verfahrenstricks begonnen. Richter und Verteidiger beharken sich, die Stimmung ist gereizt. Zschäpe-Verteidiger Heer beantragt, den Prozess nach NRW verlegen zu lassen. Sein Verhalten hat System. Das Antragsgewitter war angekündigt.

Der zweite Tag des NSU-Prozesses beginnt in etwa so wie der erste geendet hat. Schleppend, Zäh. Und mit einer nach außen hin selbstsicheren Hauptangeklagten im Mittelpunkt. Beate Zschäpe betrat den Gerichtssaal in München am Dienstag in einem grauen Hosenanzug, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.

"Zschäpe, deren Outfit von einem Designer gesponsert sein könnte, gibt sich heute wieder unbeteiligt, aber etwas ernsthafter als in der Vorwoche", berichtete der Saalreporter des Bayerischen Rundfunks. Den Fotografen und Kameraleuten dreht sie den Rücken zu, während sie vor Sitzungsbeginn mit ihren Verteidigern redet.

Der Tonfall ist giftig

Bereits in der ersten Stunde wird klar, dass der Prozess auch heute zäh verlaufen wird. Die Bundesanwaltschaft drängt auf eine rasche Verlesung der Anklage. Ein Opfer- Anwalt versucht zu erreichen, dass alle anderen Anträge zurückgestellt werden, um endlich die Anklage zu verlesen. Es gebe "keine triftigen Gründe, die ein Abweichen von der gesetzlich vorgesehenen Reihenfolge des Verhandlungsgangs rechtfertigen".

Der Tonfall ist giftig. "Der Einfallsreichtum der Verteidigung ist offensichtlich unerschöpflich", kommentiert Bundesanwalt Herbert Diemer die Antragsflut der Verteidiger. Die beschwert sich. Es solle wohl Stimmung gegen sie gemacht werden. "Offensichtlich sind noch nicht genug Kanzleischeiben eingeworfen worden", sagt Rechtsanwalt Olaf Klemke, der den Angeklagten Ralf Wohlleben verteidigt.

Verlegung nach Bonn gefordert

Im Saal kommt es zu heftigen Wortgefechten zwischen den Anwälten. Wohllebens Anwalt Olaf Klemke bezeichnete den von Nebenklägern geäußerten Vorwurf, die Verteidigung wolle die Verlesung der Anklageschrift verhindern, als "Schwachsinn".

Ob noch an diesem Dienstag die Anklage verlesen werden kann, steht in den Sternen.

Die Sitzung wird stattdessen mehrfach unterbrochen. Zschäpes Verteidiger stellen Anträge, die die Verhandlung offensichtlich verzögern sollen. So beantragt Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, das gesamte Verfahren in einen anderen, größeren Gerichtssaal zu verlegen.

"Antragsgewitter"

Sein Argument: Nur so lässt sich das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit stillen. Die beschränkte Kapazität des derzeitigen Saales verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit. Eine Alternative hat er bereits in petto: Der Prozess kann seiner Ansicht nach im "World Conference Center" in Bonn, dem ehemaligen Bundestag, fortgesetzt werden, heißt es aus dem Saal.

Verlegung abgelehnt

Das Gericht hat den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und eine Verlegung der Verhandlung in einem größeren Sitzungssaal unterdessen abgelehnt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit gebiete es nicht, die Verhandlung in einen größeren Saal zu verlegen, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Dienstag zur Begründung. "Strafverfahren finden in, aber nicht für die Öffentlichkeit statt", sagte Götzl unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Aus Sicht von Prozessbeobachtern verfolgt die Verteidigung mit ihrem kompromisslosen "Antragsgewitter" das Ziel, das Gericht zu zermürben. Daraus hätten die Anwälte nie einen Hehl gemacht, sagt die Journalistin Ayca Tolun dem WDR, die in München den Prozess begleitet. Am Ende könnte das darauf hinauslaufen, dass das Gericht einen Formfehler begeht — und der Verteidigung so eine Chance auf Revision eröffnet.

Opferanwalt warnt vor Skandalisierung

Für die Angehörigen ist das eine Tortur. Sie hoffen auf Wahrheitsfindung, fordern Aufklärung. Stattdessen werden sie mit formalistischen Winkelzügen und juristischen Tricks konfrontiert. So aber, da sind sich Rechtsexperten weitgehend einig, funktioniert das deutsche Rechtssystem. Der Rechtsstaat ist auch mit Zumutungen versehen.

Die Befangenheitsanträge der Verteidiger von Zschäpe und Wohlleben gegen Richter Götzl sind nach Ansicht des Opferanwalts Jens Rabe "ein völlig gängiges Vorgehen". Rabe sagte am Dienstag in München: "Wir können nur davor warnen, solche Anträge von Anfang an zu skandalisieren. Das wäre ein Kaputtreden des Prozesses."

Die Anwälte von Semiya Simsek, Tochter des erschossenen Blumenhändlers Enver Simsek, verlangten, die "inflationäre Skandalisierung" jedes Antrags der Verteidigung zu vermeiden. Den Prozess durch fortwährende Kritik schon jetzt "kaputt zu reden", würde nur den Angeklagten und ihren Anhängern in die Hände spielen.

Dieser Prozess kann Jahre dauern

Opfer-Anwalt Mehmet Daimagüler glaubt, dass er seine Mandanten auf den möglicherweise jahrelangen Prozess-Marathon ausreichend eingestellt hat. Er sagt: "Sie wissen, dass dieser Prozess kein 100 Meter-Lauf ist, sondern ein Marathon, und dass viele viele formale und prozessuale Fragen geklärt werden müssen, bevor wir zur eigentlichen Wahrheitsfindung kommen."

Der Prozess war wegen Befangenheitsanträgen der Verteidigung gegen einige Richter am ersten Verhandlungstag für eine Woche unterbrochen worden. Die Hauptangeklagte Zschäpe wird der Mittäterschaft bei der Ermordung von zehn Menschen beschuldigt.

Die meisten der Opfer waren türkischstämmig und wurden deshalb zum Ziel der rechtsextremen Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Neben Zschäpe müssen sich vier mutmaßliche Helfer des NSU vor Gericht verantworten. Die beiden mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen Zschäpe zusammenlebte, hatten sich bei ihrer Enttarnung im November 2011 das Leben genommen.

(dpa/REU/pst/csi/felt)
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