Deutsch-amerikanisches Verhältnis belastet Abhörskandal um Merkels Handy – Westerwelle bestellt US-Botschafter ein

Berlin · Schwere Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis: Die Bundeskanzlerin ist empört, dass ihr Mobiltelefon vom US-Geheimdienst NSA ausgespäht worden sein soll.

Die Späh-Affäre um das Handy der Kanzlerin hat zu Verwerfungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis geführt. "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern. Zuvor hatte sie sich bei US-Präsident Barack Obama in einem persönlichen Telefonat beschwert. Sie habe deutlich gemacht, dass sie solche Praktiken "unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Außenminister Guido Westerwelle bestellte den US-Botschafter zum Rapport ein — ein unter befreundeten Staaten sehr ungewöhnlicher Vorgang.

Am Mittwochabend hatte die Bundesregierung den Verdacht bekannt gegeben, dass das Mobiltelefon der Kanzlerin ins Visier des Geheimdienstes NSA geraten ist. Es handelt sich um ein Gerät, das die Kanzlerin nach einem Bericht der "Welt" zwischen Oktober 2009 und Juli 2013 für private Zwecke und für Parteiangelegenheiten nutzte. In Dokumenten, die vom ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden stammen, finde sich die alte Mobil-Nummer von Merkel.

Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das wegen der Affäre gestern einberufen wurde, zeigten sich nach der Sitzung überzeugt, dass die Vorwürfe gegenüber den Amerikanern berechtigt sind. In der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums kündigte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) an, dass die Regierung in der nächsten Woche eine Delegation in die USA entsenden werde, um der Forderung nach dringender und umfassender Aufklärung Nachdruck zu verleihen.

Ein Sprecher der US-Regierung betonte, dass man die Kommunikation der Kanzlerin nicht überwache und dies in Zukunft auch nicht tun werde. Auf die Frage, ob es ein Ausspähen in der Vergangenheit gegeben habe, ging er nicht ein.

Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich "sehr besorgt" über die Vorwürfe. Politiker aller Bundestagsfraktionen reagierten empört. "Eine Entschuldigung der USA ist überfällig", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). "Das ist schier unglaublich", sagte CSU-Chef Horst Seehofer. Das Vertrauensverhältnis zu den USA sei gestört: "Man kann nicht einseitig die ganze Welt ausspähen."

Angesichts der gerade begonnenen Koalitionsverhandlungen verschonte die SPD die Union, die die NSA-Affäre im Sommer noch für beendet erklärte hatte, mit Kritik. SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, es gehe um die Freiheitsrechte der Bürger: "Ich möchte nicht, dass der Skandal nur deshalb groß ist, weil es einen Regierungschef betrifft." Der Innenexperte der Grünen, Hans-Christian Ströbele, warf dem deutschen Verfassungsschutz Versäumnisse vor. "Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss endlich seiner Aufgabe der Spionageabwehr nachkommen", sagte Ströbele. Die Behörde könne sich nicht länger auf den Standpunkt stellen, "dass Freunde wie die Amerikaner nicht abgeklärt werden müssen".

Auch beim EU-Gipfel war der Späh-Skandal Thema. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz verlangte, die Gespräche über das Freihandelsabkommen mit den USA zu unterbrechen. Merkel betonte die "gemeinsamen Herausforderungen" für Amerika und Europa. "Wir sind Verbündete, aber solch ein Bündnis kann nur auf Vertrauen aufgebaut sein", sagte sie in Brüssel.

(may- / qua)
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