Afghanistan Obama bläst zum Rückzug vom Rückzug

Washington · Die amerikanische Truppenstärke in Afghanistan wird nun doch nicht bis Ende des Jahres halbiert, auch wenn sich am Abzug im Dezember 2016 vorläufig nichts ändern soll. Es ist eine Rechnung mit vielen Variablen, der Druck aufs Weiße Haus wächst.

 Ashraf Ghani besucht Barack Obama.

Ashraf Ghani besucht Barack Obama.

Foto: ap

Barack Obama dreht an den afghanischen Stellschrauben. Entgegen früheren Blaupausen werden die Amerikaner ihre Truppenstärke am Hindukusch nun doch nicht bis Ende Dezember 2015 halbieren. Zumindest für den Rest des Jahres bleiben sie mit 9800 Soldaten, zunächst einmal, um der erwarteten Frühjahrsoffensive der Taliban Paroli zu bieten.

Der Präsident begründet es mit der nötigen Flexibilität, die man in den Details an den Tag legen müsse. An seinem Plan, Ende 2016 bis auf ein paar hundert Mann das gesamte Kontingent nach Hause zu beordern, will er dagegen nicht rütteln. Auf Dauer, betont Obama, könne sich Kabul sowieso nicht auf fremdes Militär verlassen. Doch angesichts der Erfahrungen im Irak, wo dem Abzug der GIs der Aufstieg des "Islamischen Staats" folgte, wächst der Druck aufs Weiße Haus, auch die Rückzugspläne fürs nächste Jahr zu korrigieren.

Für Obama wird es ein Spagat, der ihn wohl noch bis zu seinem Abschied aus dem Amt begleitet. Einerseits versteht er sich als Chef eines Reparaturbetriebs, der alles Augenmerk auf den Aufschwung im eigenen Land richtet, nachdem die Finanzkrise und zwei kostspielige Kriege in der Ferne die USA schwer zurückgeworfen hatten. Den Einsatz in Afghanistan zu beenden, einen Einsatz, der bisher mit rund einer Billion Dollar zu Buche schlägt, gehört zu den Eckpunkten dieser Agenda, noch dazu beladen mit enormer Symbolik.

Ghani ist ein passender Partner

Andererseits hat ein Mann die politische Bühne Kabuls verlassen, der den sachlich-coolen Pragmatiker im Oval Office mit seinen theatralischen Auftritten zuletzt nur noch nervte. Mit Hamid Karzai, dem Liebling George W. Bushs, fand Obama nie eine gemeinsame Sprache. Bei Ashraf Ghani, Karzais Nachfolger, liegen die Dinge anders. Nicht nur, dass Ghani an der Columbia University studierte, bei der Weltbank in Washington arbeitete und somit als intimer Amerikakenner gilt. Er versteht es auch, Töne anzuschlagen, die an der Pennsylvania Avenue Wirkung hinterlassen.

"Afghanistan bittet die Vereinigten Staaten nicht, für uns den Job zu erledigen. Unser Endziel ist die Eigenständigkeit", versprach er in einem Essay, den er gemeinsam mit seinem Regierungschef Abdullah Abdullah in der "Washington Post" veröffentlichte. Eine Verbeugung vor Obama. Zugleich stellten beide die strategische Schlüsselposition ihres Landes heraus, indem sie voller Pathos anmerkten, Afghanistan sei die "östliche Mauer, die dem Gemetzel des 'Islamischen Staats‘ Einhalt gebietet". Eine Steilvorlage für die Republikaner. Ganz ähnlich klingt nämlich John Boehner, der Speaker des Repräsentantenhauses, wenn er davor warnt, die IS-Fanatiker könnten in Afghanistan genauso erstarken, wie sie im Irak an Einfluss gewannen. Kein Wunder also, dass Boehner dem Gast den roten Teppich ausrollte, indem er ihn am Mittwoch vor beiden Kammern des Kongresses reden ließ.

Allerdings gibt es auch deutlich konkretere Gründe, die den kühlen Rechner Obama zu einem Sinneswandel bewogen. In Kandahar und Dschalalabad betreiben Pentagon und CIA zwei Stützpunkte, auf die sie bei Antiterroroperationen nicht verzichten wollen. In Dschalalabad waren 2011 die Navy Seals gestartet, bevor sie Osama Bin Ladens Versteck im pakistanischen Abbottabad stürmten. Zudem dient die Basis als Drehscheibe für Drohnenangriffe in den unwegsamen Stammesgebieten der Grenzregion Pakistans. Wolle man an der Antiterrorstrategie keine Abstriche machen, heißt es in Washington, dürften kaum weniger als zehntausend US-Soldaten am Hindukusch stationiert sein.

(RP)
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