Cameron appelliert an Schotten "Wir wollen unbedingt, dass ihr bleibt"

London · Mit leidenschaftlichen Appellen und dem flehenden Versprechen einer größeren Eigenständigkeit haben David Cameron und andere britische Parteichefs in Schottland für das Vereinigte Königreich geworben.

David Cameron wirbt für einen Verbleib Schottlands im Königreich
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David Cameron wirbt für einen Verbleib Schottlands im Königreich

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Es sei eine "Familie von Nationen", zu der die "starke und stolze Nation" der Schotten seit 300 Jahren freiwillig gehöre, sagte Premierminister Cameron am Mittwoch in Edinburgh. "Mir würde das Herz brechen, wenn diese Familie von Nationen, die wir aufgebaut haben, zerrissen würde." Am 18. September stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab.

Labour-Führer Ed Miliband warnte, ein unabhängiges Schottland könne in eine "Abwärtsspirale" geraten, die sich negativ auf Löhne und Arbeitsbedingungen auswirken würde. Er werbe mit "Kopf, Herz und Seele" für die Einheit Großbritanniens. "Denn ich glaube, zusammen können wir mehr Gleichheit und eine sozial gerechtere Gesellschaft erreichen als alleine", sagte er in Cumbernauld nordöstlich von Glasgow. Auch der Parteichef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, warb weiter südlich in Selkirk für den Zusammenhalt des Königreichs.

Schottlands Regierungschef Alex Salmond verspottete die erst am Vortag angekündigte Reise der drei Parteiführer als Panikaktion: "Was wir heute erleben, ist ein Team Westminster, das für einen Tag nach Schottland jettet, weil unter ihnen Panik ausgebrochen ist." Während es ihm und seiner Schottischen Nationalpartei (SNP) um Arbeitsplätze und das Gesundheitssystem gehe, wollten Cameron und Miliband nur ihre Jobs retten.

Umfragen sagen für die Abstimmung ein enges Rennen zwischen Nationalbewegung und Unionisten voraus. Die Londoner Regierung hat den Schotten für den Fall eines "No"-Votums gegen die Unabhängigkeit versprochen, ihnen mehr Rechte etwa in der Steuer- und Finanzpolitik zu übertragen. Sollte mehr als die Hälfte der Wähler mit "Yes" antworten auf die Frage, ob Schottland ein eigenständiger Staat sein soll, dann würde das Land im Frühjahr 2016 unabhängig.

Die britische Königin ließ über einen Sprecher klarstellen, dass sie sich nicht in die Auseinandersetzung einmischen werde. Die Unparteilichkeit des Souveräns sei ein festgeschriebenes Prinzip der Demokratie. "Ihre Majestät ist einfach der Meinung, dass das eine Sache des schottischen Volkes ist", sagte der Sprecher.

Ein Überblick über die Folgen der Entscheidung Schottlands:

Die Probleme

Angesichts des Umfragepatts zwischen Befürwortern und Gegnern einer Abspaltung Schottlands von Großbritannien werden die Fragen nach den Folgen einer Unabhängigkeit im Rest des Königreichs immer ernsthafter debattiert. Auch wenn viele Überlegungen noch in ihren Anfängen stecken, scheint bereits festzustehen, dass die Abspaltung nach drei Jahrhunderten gemeinsamer Geschichte schrittweise vonstatten gehen dürfte. In groben Zügen lassen sich aber die absehbar größten Probleme für London nach dem angepeilten Unabhängigkeitstag am 24. März 2016 umreißen. Ein Überblick:

PARLAMENTE UND WAHLEN

Die schottische Regierung will nach einem erfolgreichen Referendum möglichst rasch die parlamentarischen Befugnisse von London nach Edinburgh verlegen. In Großbritannien soll jedoch im Mai 2015, also noch vor der offiziellen Unabhängigkeit, ein neues Parlament gewählt werden. Eine Verschiebung der Wahl gilt als nahezu ausgeschlossen. Vielmehr wird erwartet, dass die schottischen Abgeordneten in London über Fragen, die sie kurzfristig nicht mehr betreffen, dann nicht abstimmen dürfen.

VERFASSUNG UND KÖNIGSHAUS

Ein Konvent soll nach der Volksabstimmung eine Verfassung erarbeiten. Für Großbritannien ist vor allem relevant, dass ein Verbot von Atomwaffen geplant ist und Sprengköpfe sowie Unterseeboote aus Schottland abgezogen werden müssten. Queen Elizabeth II. kann sich, auch mit Blick auf ihre private Sommerresidenz in Balmoral im Nordosten Schottlands, hingegen zurücklehnen: Das Land soll konstitutionelle Monarchie mit der Queen als Staatsoberhaupt werden und auch im Commonwealth of Nations bleiben.

ÖL UND GAS

Es ist zu erwarten, dass die Seegrenzen zwischen Schottland und dem Rest des Vereinigten Königreichs nach geografischen Gesichtspunkten gezogen werden. Die Bohrinseln in der Nordsee würden so je nach Lage zu einem der Staaten gehören, wobei Edinburgh versuchen dürfte, sich schnell die Kontrolle über die Plattformen in seinem Hoheitsgebiet zu sichern. Etwa 85 Prozent der bekannten Vorkommen in der betroffenen Region dürften an Schottland gehen - und 15 Prozent seiner Volkswirtschaft ausmachen.

WÄHRUNG UND SCHULDEN

Das britische Pfund als Währung würden viele Schotten gern behalten. Eine tatsächliche Währungsunion mit Schottland als gleichberechtigtem Partner schließt Großbritannien aber zumindest auf lange Sicht aus. Schottland könnte trotzdem das Pfund als gesetzliches Zahlungsmittel nutzen - einen direkten Einfluss auf die Geldpolitik hätte das Land dann aber nicht. In der Frage, wie die britischen Staatsschulden von umgerechnet rund 1,8 Billionen Euro aufzuteilen sind, schlägt Schottland einen Schlüssel nach Einwohnern vor.

EU UND GRENZEN

Ob Schottland als eigenständiger Staat ohne Weiteres in der EU bleiben könnte oder sich womöglich neu um eine Mitgliedschaft bewerben müsste, ist umstritten. Für Großbritannien, das innerhalb des Schengenraums nach wie vor intensive Grenzkontrollen betreibt, stellen sich damit vor allem Fragen nach der künftigen Reisefreiheit im bisher geeinten Land. Ein Zankapfel ist bereits der schottische Plan, die Einreisebestimmungen zu lockern, weshalb London entlang der Grenze Kontrollen errichten könnte.

(dpa/AFP)
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