Krise in Ägypten Offenbar Anschlag auf Gaspipeline

Kairo (RPO). Auf der ägyptischen Halbinsel Sinai ist am Samstag eine Gaspipeline explodiert. Die Flammen schossen meterhoch in den Himmel, wie Augenzeugen erklärten. Der Gouverneur der Region, Abdel Wahab Mabruk, sprach von Sabotage, nannte aber keine Einzelheiten. Verletzte gab es offenbar nicht.

Protest in Ägypten, Tag 12: Wichtige Gas-Pipeline explodiert
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Protest in Ägypten, Tag 12: Wichtige Gas-Pipeline explodiert

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Mabruk sagte einem ägyptischen Fernsehsender, das Feuer sei am späten Vormittag unter Kontrolle gebracht worden. Alle Ventile seien geschlossen worden. Zu der Explosion kam es an einem Gasterminal in der Nähe der Ortschaft El Arisch. Von der Station führen Pipelines nach Jordanien und Israel. El Arisch liegt etwa 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernt.

Die Pipeline war in der Vergangenheit Ziel von Angriffen. Beduinen hatten im vergangenen Juli versucht, die Leitung zu sprechen. Sie werfen der ägyptischen Regierung Diskriminierung und Untätigkeit vor. Es kam wiederholt zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und den Bewohnern der Region.

Lieferungen nach Israel eingestellt

Die Pipeline transportiert Gas vom ägyptischen Port Said am Mittelmeer nach Israel und Jordanien. Auf israelischer Seite hieß es, es sei nicht klar, ob die Explosion die Leitung nach Israel betreffe. Derzeit seien die Lieferungen aus Sicherheitsgründen eingestellt worden, sagte ein Sprecher des Infrastrukturministeriums. "Wir sind nicht sicher, was die Explosion auslöste."

Israel ist auf die Gaspipeline angewiesen, um seinen Energiebedarf zu decken und gibt Milliarden für das Erdgas aus Ägypten aus. Ägypten beliefert Israel seit Februar 2008 mit Erdgas. Der Vertrag wurde in Ägypten teilweise scharf kritisiert. Die Opposition erklärte, das Gas werde unter Marktpreis an Israel verkauft.

Die Pipeline war in der Vergangenheit Ziel von Angriffen. Beduinen hatten im vergangenen Juli versucht, die Leitung zu sprechen. Sie werfen der ägyptischen Regierung Diskriminierung und Untätigkeit vor.

Warnschüsse auf Tahrir-Platz

Auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo sind in der Nacht zum Samstag Schüsse gefallen. Berichte über Verletzte lagen nicht vor. Ein Demonstrant sagte, die Armee habe Warnschüsse abgegeben. Zuvor seien Schüsse von einer Stelle zu hören gewesen, an dem sich Anhänger von Präsident Husni Mubarak versammelt hätten. Die Soldaten trennen die beiden Gruppen. Nach den Schüssen sprangen die Demonstranten auf und skandierten Parolen gegen den Präsidenten.

Nach den erneuten Massenprotesten in Kairo wächst unterdessen der Druck auf den ägyptischen Staatschef Husni Mubarak weiter. Zehntausende Regierungsgegner haben am Freitag friedlich demonstriert, um Mubarak am "Tag des Abgangs" aus dem Amt zu jagen. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo kamen trotz der tagelangen blutigen Auseinandersetzungen mit Mubarak-Anhängern erneut Zehntausende Menschen zu Protesten gegen den Staatschef zusammen.

Unter ihnen waren auch viele Familien mit Kindern. Die Menge sang die Nationalhymne oder betete. Immer wieder ertönte der Ruf "Hau ab!" an die Adresse Mubaraks. Auf vielen Schildern war nur ein Wort zu lesen: "Jetzt!" - ein Hinweis auf den von der Opposition ausgerufenen "Tag des Abgangs".

Opposition ruft "Tag des Abgangs" aus

Da auch Verteidigungsminister Hussein Tantawi und ranghohe Offiziere auf den Platz kamen, hatte die Demonstration zumindest die Billigung der Streitkräfte. Die Soldaten hatten diesmal, anders als an den Vortagen, gemeinsam mit Demonstranten Einlasskontrollen errichtet.

Am Nachmittag versammelte sich eine Gruppe von Mubarak-Anhängern mehrere Straßen entfernt und versuchte, zu dem Platz vorzurücken. Sie schlugen mit Knüppeln auf Metallzäune, um ihren Gegnern Angst einzujagen. Die Demonstranten warfen aber Steine und drängten die Mubarak-Anhänger zurück.

Bislang kamen bei den Kämpfen im Bereich des Platzes mindestens acht Menschen ums Leben, etwa 900 wurden verletzt. In der Nacht zum Freitag harrten dort etwa 10.000 Demonstranten aus.

Hochrufe für Mussa

Mit bis zu 100.000 Teilnehmern war der Protest am Freitag die größte Kundgebung seit Dienstag, als mindestens eine Viertelmillion Menschen den Rücktritt Mubaraks forderten. Neben den Vertretern des Militärs kam auch der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa, zu den Demonstranten auf den Platz. Seine Wagenkolonne wurde von Rufen wie "Wir wollen dich als Präsidenten" begrüßt. Mussa gilt vielen Ägyptern als erfahrener Staatsmann, außerdem ist seine scharfe Rhetorik gegenüber Israel bei manchen Bürgern populär. Mussa erwägt nach eigenen Angaben eine Kandidatur bei einer künftigen Präsidentenwahl in Ägypten, auch eine Rolle in einer Übergangsregierung ist für ihn offenbar denkbar.

Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, einer der Anführer der Protestbewegung, rief Mubarak auf, "auf die deutliche Stimme des Volkes zu hören und in Würde zurückzutreten". Die bisherigen Zugeständnisse Mubaraks wies ElBaradei am Freitag als "Stückwerk" zurück.

EU scheut offene Rücktrittsforderung

Das Ausland verhält sich zumindest nach außen hin weiter zurückhaltend. So scheuen EU und USA weiter vor einer offenen Rücktrittsforderung an ihren langjährigen Bündnispartner im Nahost-Friedensprozess und Anti-Terror-Kampf zurück.

Hinter den Kulissen liefen aber Verhandlungen zwischen den USA und ägyptischen Regierungsvertretern über einen sofortigen Rückzug Mubaraks und die Bildung einer Übergangsregierung, die freie und faire Wahlen im Laufe dieses Jahres vorbereiten solle, sagten US-Vertreter.

Trotz der dramatischen Entwicklung in Ägypten hat sich die EU am Freitag nicht zu einer Rücktrittsforderung an Staatschef Husni Mubarak durchgerungen. Selbst auf eine Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen konnte sich der Gipfel in Brüssel nicht einigen. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es lediglich, der "geordnete Übergangsprozess" müsse sofort beginnen. Zudem betonten die 27 Staats- und Regierungschefs, dass auf das Demokratiestreben der Bevölkerung mit Dialog und nicht mit Unterdrückung geantwortet werden müsse.

Westerwelle lehnt Einmischung ab

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat das gewaltsame Vorgehen der ägyptischen Führung gegen Demonstranten scharf kritisiert, eine Einmischung des Westens in den Reformprozess aber erneut abgelehnt. "Man schwächt die demokratische Bewegung in Ägypten, wenn der Eindruck entsteht, sie sei eine Sache des Westens und nicht des ägyptischen Volkes selbst", sagte der FDP-Politiker am Freitag nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Berlin.

Mubarak lehnt einen Rücktritt aber weiter ab. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC sagte er am Donnerstag, er würde sein Amt jetzt niederlegen, könne dies aber nicht, weil dann das Land noch tiefer im Chaos versinke. Zugleich äußerte er großes Bedauern über die tödliche Gewalt zwischen den Gruppen, die für oder gegen die Regierung demonstrierten. Die Regierung sei dafür nicht verantwortlich. Mubarak gab der verbotenen Muslimbruderschaft die Schuld an der Eskalation der Gewalt.

Mubarak lehnt Rücktritt weiter ab

Ein Kehrtwende deutete sich im Verhalten der Regierung gegenüber der bislang verbotenen Muslimbruderschaft an. Der neue Vizepräsidenten Omar Suleiman lud die Organisation schon am Donnerstag zu Gesprächen über die Zukunft Ägyptens und den Übergang zur Demokratie ein. Das ist ein beispielloses Eingeständnis an eine Gruppe, gegen die die Regierung in den vergangenen Jahren hart vorging.

Die Vereinten Nationen verurteilten Übergriffe auf Aktivisten und Journalisten während der Unruhen in Ägypten. Die Angriffe seien abscheulich, die Festnahmen von Journalisten seien ein unverhohlener Versuch, die Nachrichten zu behindern, sagte Navanethem Pillay, Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), am Freitag auf einer Pressekonferenz in Genf.

Solidaritätsdemonstrationen in Berlin und anderen Städten

In der gesamten muslimischen Welt, aber auch in Europa haben Menschen am Freitag ihre Solidarität mit den ägyptischen Demonstranten bekundet. In Berlin forderten rund 450 Ägypter und Sympathisanten erneut den Rücktritt Mubaraks. In Madrid händigten spanische Mitglieder von Amnesty International der ägyptischen Botschaft nach eigenen Angaben eine Petition mit 86.000 Unterschriften zur Unterstützung der ägyptischen Demonstranten aus.

In vielen muslimischen Ländern drückten Gläubige und Prediger ihre Solidarität während und nach den Freitagsgebeten aus. In Istanbul fanden sich mehrere Tausend Gläubige ein. Auf einem großen Plakat an dem Gebäude stand "Nein zur Diktatur". In der türkischen Hauptstadt Ankara marschierten Dutzende Demonstranten zur ägyptischen Botschaft. Mehmet Pamak, Chef der proislamischen Kultur- und Forschungsstiftung, nannte Mubarak in seiner Rede eine Puppe Israels. Ägypten war das erste arabische Land, das 1979 einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnete.

Der oberste geistliche Führer im Iran, Ayatollah Ali Khamenei, sagte in einer Ansprache an Gläubige, Mubarak habe sein Volk betrogen, weil er solch enge Beziehungen zu den USA und Israel unterhalten habe. "Amerikas Kontrolle über die Führer Ägyptens hat Ägypten in einen der größten Feinde der Palästinenser und eines der größten Rückzugsgebiete der Zionisten verwandelt", sagte er.

Proteste kosten Ägypten 230 Millionen Euro täglich

Die Unruhen in Ägypten haben die dortige Wirtschaft nach Einschätzung von Finanzexperten bislang mindestens 2,3 Milliarden Euro gekostet. Jeder Tag der Proteste kostet das Land nach Berechnungen des Finanzinstituts Crédit Agricole umgerechnet rund 230 Millionen Euro, wie aus einem am Freitag veröffentlichten Bericht hervorgeht. Darin korrigierte die Investmentbank außerdem ihre Wachstumsprognose für Ägypten im laufenden Jahr nach unten, von 5,3 Prozent auf 3,7 Prozent. Das Haushaltsdefizit könnte in diesem Jahr von geschätzten 8,2 Prozent auf 12,3 steigen.

(RTR/dapd/KNA/AFP)
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