Anti-Terror-Einsatz: Kiew macht ernst Ost-Ukraine: Erste Schüsse in Kramatorsk

Izjum/ · Von Deeskalation keine Spur: Eine Kolonne ukrainischer Militärfahrzeuge steht kurz vor der östlichen Stadt Slawjansk. Offenbar will die Regierung in Kiew mit militärischer Präsenz die Hoheit in einigen ost-ukrainischen Städten zurückerobern. In Kramatorsk sollen erste Schüsse gefallen sein.

Ukrainische Regierungseinheiten und prorussische Separatisten haben sich bei der ostukrainischen Stadt Kramatorsk schwere Gefechte um den Flugplatz geliefert. Dabei hätten die Sicherheitskräfte den Landeplatz der Stadt rund 80 Kilometer nördlich von Donezk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow am Dienstag. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die nach Moskau orientierten Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht. Das Verteidigungsministerium in Kiew hatte zuvor mitgeteilt, dass in Kramatorsk ein Spezialeinsatz begonnen habe.

Die Fahrzeugkolonne, darunter zehn Panzer, stand etwa 40 Kilometer von Slawjansk entfernt, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag berichtete. In Slawjansk halten prorussische Kräfte seit Tagen mehrere Verwaltungsgebäude besetzt, die Führung in Kiew hatte für Dienstag den Beginn eines "Anti-Terror-Einsatzes" in der Region angekündigt.

Die ukrainische Regierung scheint gegen die prorussischen Bewaffneten im Osten des Landes keine friedlichen Mittel mehr zu haben. Mittlerweile sollen diese in neun Städten Regierungsgebäude besetzt haben. Trotz der Drohungen des ukrainischen Übergangspräsidenten Alexander Turtschinow eines "Antiterroreinsatzes", bauten die Besetzer ihre Stellungen sogar noch aus. Der russische Präsident Wladimir Putin forderte seinen US-Kollegen Barack Obama auf, die Regierung inKiew zu einer Deeskalation zu bewegen.

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Die prorussischen Bewaffneten verstärkten in den von ihnen gehaltenen ost-ukrainischen Städten ihre Stellungen und errichteten neue Barrikaden. 70 Kilometer vor einer von ihnen kontrollierten Stadt wurden ukrainische Panzerkampfwagen gesichtet. In den Straßen in der Kleinstadt Slawjansk, rund 160 Kilometer von der Grenze entfernt, wurden viele Kontrollstellen eingerichtet. Am Eingang der Stadt wehte ein russische Flagge. Auf einem Schild stand: "Wenn wir es nicht machen, wird es keiner tun."

Turtschinow sagte in Kiew, mit dem Antiterroreinsatz sollten die Separatisten "entwurzelt" werden. Die Aktion werde in einer "verantwortungsvollen und ausgewogenen" Art und Weise ausgeführt. Ziel sei, "die Bürger der Ukraine zu verteidigen, den Terror zu stoppen, Kriminalität zu stoppen und Versuche zu stoppen, das Land zu zerteilen". Allerdings war nicht klar, wie sich die Maßnahme von der am Vortag verkündeten unterscheiden würde - als letztendlich nichts passierte. Dass die Zentralregierung die Aufständischen nicht in den Schranken halten konnte, lag auch daran, dass viele der örtlichen Sicherheitskräfte die Seiten wechselten.

Russland warnt vor gewaltsamem Eingreifen

Russland warnte Kiew erneut davor, mit Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten vorzugehen. Es könne ansonsten sein, dass Moskau nicht an der für Donnerstag geplanten internationalen Konferenz über die Ukraine teilnehmen werde. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte nach einem Gespräch mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi: "Man kann nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche abhalten."

Derweil teilte das Innenministerium in der Region Donezk mit, die Polizeistation in Kramatorsk sei "befreit" worden. Der Flughafen in der Nähe werde aber weiter durch die Aufständischen kontrolliert.

Immer angespannter wird auch die wirtschaftliche Lage der Ukraine. Die Zentralbank erhöhte den Leitzins um satte sieben Prozentpunkte auf 14,5 Prozent. Das soll die Währung unterstützen, die zuletzt auf Rekordtiefststände gefallen war. Das Risiko der Inflation soll so in Grenzen gehalten werden. Trotzdem können steigende Zinssätze die Wirtschaft schädigen, da Löhne und Hypotheken für die Einwohner und die Unternehmen teurer werden.

Nachdem Moskau gedroht hatte, die Energielieferungen zu stoppen, teilte die RWE AG am Dienstag mit, man habe begonnen, Gas in die Ukraine über Polen zu liefern. Das Land könne bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr bekommen. Der Bedarf liegt bei bis zu 55 Milliarden Kubikmetern.

In Kiew wurden zwei pro-russische Politiker von pro-westlichen Aktivisten angegriffen. Oleg Zarjow, Kandidat bei den Präsidentschaftswahl am 25. Mai, wurde am Dienstag von Dutzenden Aktivisten verprügelt. Ein anderer pro-russischer Politiker, Michailo Dobkin, wurde mit grünem Desinfektionsmittel angesprayt und mit Mehl beschmissen. Moskau klagte die Behörden in Kiew an, solche Angriffe zeigten, dass die bevorstehenden Wahlen weder fair noch demokratisch seien.

Putin drängte Obama, die Führung in Kiew vom Einsatz von Gewalt abhalten, um ein Blutvergießen zu verhindern. Zudem wies der Kremlchef eine russische Verwicklung in die Unruhen in der Ostukraine zurück. Vorwürfe, wonach russische Agenten die Eskalation angefacht hätten, seien "auf unzuverlässigen Informationen basierende Spekulationen".

Obama erklärte laut einem ranghohen US-Vertreter, eine diplomatische Lösung der Krise sei zwar noch immer sein Ziel. Doch sei das Vorgehen Moskaus diesen Bestrebungen nicht förderlich. Er bekräftige, alle irregulären Truppen im Land müssten ihre Waffen niederlegen. Putin forderte er auf, seinen Einfluss zu nutzen und diese Gruppen zum Rückzug aus den besetzten Gebäuden aufzurufen. Das jüngste Telefonat hatte Russland angebahnt.

(AFP/AP/dpa)
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