Sicherheitskonferenz in München Kanzlerin Merkels Modell für Ägypten

München (RPO). Deutschland wird bei der Lösung des Volksaufstandes in Ägypten voraussichtlich eine wichtige Rolle spielen. "Wer wären wir, wenn wir nicht sagen, dass wir an der Seite dieser Menschen stehen?", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Sicherheitskonferenz in München. Und sie will den Ägyptern auf dem Weg in die Demokratie mit ihren eigenen Erfahrungen in der DDR helfen.

 Angela Merkel brachte in ihre Rede ihre Erfahrungen mit dem Umbruch in der DDR ein.

Angela Merkel brachte in ihre Rede ihre Erfahrungen mit dem Umbruch in der DDR ein.

Foto: dapd, dapd

Dass die jungen Ägypter zu Zehntausenden und Hunderttausenden nicht nach Hause gehen, sondern so lange ausharren wollen, bis das Mubarak-Regime in Ägypten gestürzt ist, kann die in der DDR aufgewachsene Bundeskanzlerin nur zu gut nachvollziehen. "Wir haben damals auch keinen Tag warten wollen", sagte sie in der Rückschau auf die Dynamik von 1989.

Sie gehörte damals zu den Männern und Frauen der ersten Stunde, die im neu gegründeten "demokratischen Aufbruch" der DDR die Demokratie und dann die Wiedervereinigung bringen wollte. Sie seien sich absolut sicher gewesen, die richtigen Ideen zu haben. Und dann kamen die Wahlen - "und wir hatten satte 0,9 Prozent".

Merkel gegen sofortige Wahlen

Aus dieser eigenen Erfahrung leitete Merkel in München den übergeordneten Ratschlag ab: "Wahlen als Beginn des Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch", sagte die Kanzlerin ohne Umschweife. Denn das könne dazu führen, dass ausgerechnet die neuen Bewegungen keine Chance hätten. Erst müssten die nötigen Strukturen geschaffen werden.

Damit ist sich Merkel einig mit US-Präsident Barack Obama. Seine Außenministerin Hillary Clinton machte in München klar: "Der Übergang kann nur gelingen, wenn er gut geplant ist." Denn der Übergang zu einer offenen, transparenten und fairen Gesellschaft berge auch viele Risiken, die dazu führen könnten, dass am Ende doch wieder ein diktatorisches oder autokratisches Regime stehe.

Das zuvor mit Merkel abgestimmte Konzept sieht vor, dass sich die Gruppen, die in Ägypten am Neuaufbau mitwirken wollen, sich zum Gewaltverzicht verpflichten sollten. Ägypten brauche nun einen "Geist der Toleranz und des Kompromisses", stellte Clinton fest. Sowohl die Kanzlerin als auch die US-Außenministerin nannten Rechtsstaat, Transparenz und Pressefreiheit als wichtige Bausteine einer ägyptischen Demokratie, deren Durchsetzung von den Verantwortlichen garantiert werden müsse.

USA und EU wollen sich eng abstimmen

Der britische Premier David Cameron betonte, die Vorstellung sei "naiv", in Ägypten einfach einen Schalter umlegen zu müssen, um demokratische Verhältnisse zu haben. Großbritannien habe auch "Jahrhunderte gebraucht, bis wir eine stabile Demokratie hatten". Bis es an den Aufbau der Zivilgesellschaft in Ägypten gehen kann, wollen die USA und die Europäische Union in enger Abstimmung eine Lösung für das wichtigste Drängen der Mengen nach einem Regime-Sturz zu kanalisieren versuchen.

Mit seiner Bereitschaft, im September nicht erneut kandidieren zu wollen, habe Hosni Mubarak bereits ein wichtiges und richtiges Signal ausgesandt. Auf den Fluren und in den Verhandlungszimmern des Bayerischen Hofes loten die Delegationen aus vielen Ländern aus, ob sich auch Kompromisse finden lassen, die Mubarak bis dahin formal im Amt belassen, real aber den Weg für Verhandlungen ohne ihn möglich machen.

Dabei ist, wie unsere Redaktion aus Regierungskreisen erfuhr, auch an eine mögliche entscheidende Rolle Deutschlands gedacht. Mubarak könne seinen Regierungssitz für eine längere Zeit verlassen, um sich in Deutschland medizinisch behandeln zu lassen und in den folgenden Monaten zu einer Kur im Lande bleiben, während sein neuer Stellvertreter Omar Suleiman mit Aufständischen und gesellschaftlichen Gruppen die nächsten Schritte aushandeln könne.

Clinton: Region von einem "Sturm" heimgesucht

Bestürzung lösten in diesem Zusammenhang Berichte über einen Mordanschlag auf Suleiman aus. Aus den Delegationen war zu erfahren, dass sich westliche Botschaften und EU-Diplomaten auch um eine enge Abstimmung mit dem ägyptischen Militär bemühen, dem eine Schlüsselrolle für einen möglichst unblutigen Umbruch beigemessen wird.

Über die Ursachen der Unruhen waren sich die Experten in München weitgehend einig. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die Menschen seien auf die Straße getrieben worden durch Armut, Enttäuschung über ihre eigenen Perspektiven und das Fehlen guter Regierungsführung: Korruption, ineffektive öffentliche Institutionen und Mangel an Demokratie.

Clinton sah die Region von einem "Sturm" heimgesucht. Gut ausgebildete junge Menschen, die dank neuer Kommunikationstechniken gut vernetzt seien, hätten keine Arbeit und forderten massive Verbesserungen nun zu Recht ein. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy sagte, dass sich Aufstände so wenig vorhersagen ließen wie Erdbeben, dass es nun für die EU aber darauf ankomme, der Region soziale und wirtschaftliche Perspektiven zu geben. Dabei komme es auch darauf an, die Nahrungsmitelpreise in den Griff zu bekommen. Denn wenn diese weiter stark stiegen, werde sich jede neue Regierung auch in Ägypten nicht lange halten.

Idee eines Anti-Terrorismus-Zentrums

Clinton wies zudem auf die wachsende Wasserknappheit in der Region und die kleiner werdenden arabischen Erdölvorkommen hin. Insofern hörte die Konferenz mit besonderem Interesse auf die Botschaft, die der saudi-arabische Außenstaatssekretär Prinz bin Saud Al-Kabir mit nach München gebracht hatte. Alle Länder seien vom Terrorismus bedroht, und so rege sein Land die Schaffung eines internationalen Zentrums gegen Terrorismus an, in dem die Informationen aus allen Ländern einlaufen und der Kampf gegen den Terrorismus koordiniert werden solle.

Cameron bemerkte dazu, dass der Austausch von Geheimdienstinformationen jetzt schon recht gut klappe. Der britische Premier versuchte, in München Europa "aufzuwecken", dass es sich stärker um islamistische Bedrohungen innerhalb der EU kümmere. Auch hier gebe es viele junge Menschen, die aufgrund falsch verstandener Ideologie zu Terroristen werden könnten. Dem müsse man durch eine scharfe Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus begegnen.

Cameron brachte dazu zwei provokante Thesen. Den Islamismus stärkten auch diejenigen, die sich gegen den Bau von Moscheen aussprächen, denn das heize den Islamismus an. Auf der anderen Seite sei es jedoch "kompletter Unsinn", islamische Organisationen ohne weitere Überprüfung ihrer Ziele als Garanten gegen ein Abrutschen junger Menschen in den Islamismus anzusehen und vielleicht sogar zu fördern.

Zunächst müssten diese Organisationen einem Test unterworfen werden, wie sie es mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, mit den individuellen Menschenrechten und der freiheitlichen Demokratie hielten. Die Konferenz befasst sich am Nachmittag mit den Gefahren von Attacken im Internet und wird am Abend noch einmal intensiver Lösungsmöglichkeiten für Ägypten und Tunesien diskutieren.

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