Sigmar Gabriel auf Sommertour Schippern für Erwin und die SPD

Rostock · SPD-Chef Sigmar Gabriel will in Rostock Wahlkampfhilfe leisten. Dabei ist er nach einer Kette von Rückschlägen selbst angezählt.

Sigmar Gabriel besucht auf Sommerreise Sellering und Rostock
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Sigmar Gabriel besucht auf Sommerreise Rostock

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Der Ausflugsdampfer "Rostocker 7" gleitet gemächlich durch den Hafen der Hansestadt, vorbei an der ehemaligen Neptun-Werft und den bis zu 300 Meter langen Passagierschiffen, die hier festgemacht haben. Plötzlich taucht vor Sigmar Gabriel das Gelände der ehemaligen Heinkel-Werke auf, wo mitten im Zweiten Weltkrieg der Schleudersitz für deutsche Kriegsflugzeuge erfunden wurde. "Jaja, ich weiß schon, was ihr jetzt denkt: Als der Schleudersitz fertig war, ist er direkt verbunden worden mit dem SPD-Vorsitzenden", scherzt der Parteichef. Erwin Sellering, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident, lächelt gequält.

Gabriel ist nach Rostock gekommen, um für Sellering Wahlkampfhilfe zu leisten. Der Parteifreund im hohen Norden hat es nötig — die CDU liegt in Umfragen knapp vorn. Am 4. September wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, und es könnte gut sein, dass Sellering sein Amt an den CDU-Konkurrenten Lorenz Caffier verliert.

Doch ob Gabriel wirklich helfen kann, ist offen. Er ist angeschlagen nach drei Jahren als Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in einer spektakulären Entscheidung Gabriels Ministererlaubnis zur Fusion der Einzelhandelsketten Kaiser's Tengelmann und Edeka gestoppt — aber das ist nur das letzte Glied in einer Reihe schlechter Nachrichten.

2013 hatte sich Gabriel das Wirtschaftsressort ausgesucht, um es zu einer Art Gegen-Kanzleramt auszubauen. Er sah in dem um Teile des Umweltressorts aufgewerteten Wirtschafts- und Energieministerium den strategischen Ort, um der Kanzlerin in der großen Koalition Paroli zu bieten. Gabriel wollte so das Profil als Alternative zu Angela Merkel schärfen, um die SPD aus dem Umfragetief zu führen und 2017 als Kanzlerkandidat mehr Chancen zu haben als der unglückliche Peer Steinbrück 2013.

Das ist gründlich schiefgegangen. Die SPD ist gegenüber 2013 sogar noch weiter abgesackt. Das Wirtschaftsressort hat sich für Gabriel als Bumerang erwiesen: Kritik und Niederlagen, die er als Wirtschaftsminister erleidet, schlagen negativ auf seine Reputation als SPD-Vorsitzender durch. Alles, was Gabriel als Wirtschaftsminister nicht gelingt, zählt bei der SPD als Minuspunkt. Seit Wochen wird spekuliert, ob Gabriel im Januar wirklich entscheidet, selbst als Kanzlerkandidat anzutreten - oder ob er nicht Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz oder EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Vortritt lässt.

Am meisten Erfolg hatte er noch in der Energiepolitik: Gleich zu Beginn der Legislaturperiode gelang es ihm, eine Reform der Förderung erneuerbarer Energien durchzubringen, die den Anstieg der Strompreise stoppte. Doch dann gingen die Waffenexporte in Krisengebiete weniger zurück, als Gabriel versprochen hatte. Und beim transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP konnte Gabriel die Gegner in seiner Partei bisher nicht bändigen.

Die Blaupause für TTIP ist Ceta, das ausgehandelte Freihandelsabkommen der EU mit Kanada. Am 19. September sollen 250 Delegierte auf einem SPD-Kongress für das Ceta-Abkommen stimmen. Tun sie es nicht, ist Gabriels Pro-TTIP-Kurs endgültig Makulatur. Er wird dann ein Wirtschaftsminister sein, der sich gegen die ureigenen Interessen der deutschen Industrie stellt.

Dann ist da auch noch der unangenehme Fusionsfall Kaiser's Tengelmann/Edeka. Gabriel habe gemauschelt, als er die Fusion per Ministererlaubnis gegen das Veto des Bundeskartellamts durchwinkte, verdächtigt ihn das OLG Düsseldorf. Eine höchstrichterliche Ohrfeige.

Das Gericht ist der Meinung, Gabriel sei befangen gewesen, und wirft ihm vor, dass er keine Protokollnotizen anfertigen ließ von seinen "geheimen" Treffen mit den Edeka-Vertretern. Er wehrt sich, sagt, das Gericht stelle falsche Behauptungen auf. Allerdings hat er einzelne Treffen nicht sofort öffentlich gemacht, die dann doch bekannt wurden - ein typischer Fehler, wenn jemand stark unter Druck gerät.

Trotz alldem sieht er entspannt und tief gebräunt aus nach zwei Wochen Urlaub mit seiner Familie auf der Nordsee-Insel Amrum. "Welche Möglichkeiten hat ein Wirtschaftsminister denn überhaupt, wenn er nicht einmal Sondierungsgespräche führen darf?", fragt er am Rande der Rostocker Reise. Ihm gehe es darum, 5000 bis 8000 Jobs bei Tengelmann zu retten, viele davon in NRW. Wenn das kein Gemeinwohlgrund für eine Fusionserlaubnis sei, sei er mit seinem Latein am Ende.

Im Kern führe das OLG doch eine "politische Auseinandersetzung", es wolle nur das unerwünschte Instrument der Ministererlaubnis kippen. "Natürlich werden wir Rechtsmittel einlegen", kündigt Gabriel an. Er stellt sich auf ein langwieriges Gerichtsverfahren ein. Denn ein endgültiges Urteil des OLG Düsseldorf wird frühestens für November erwartet. Erst danach kann Gabriel vor den Bundesgerichtshof ziehen: Es werden damit viele neue Schlagzeilen kommen, in denen Gabriel wieder nicht gut aussieht.

Immer wieder musste er Rücktrittsgerüchte dementieren, zuletzt vor wenigen Wochen. Doch Gabriel ist keiner, der aufgäbe oder seinen Humor verlöre. "Mach' ihn nicht platt, das ist doch der Wähler!", ruft er Sellering zu, als dieser auf dem Kapitänssessel des Rostocker Ausflugsdampfers Platz genommen hat und das Schiff für einen Moment direkt auf einen Segler zusteuert.

(mar)
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