Türkei-Reise des Bundespräsidenten Türkische Christen hoffen auf Wulff

(RP). Mit seinem heutigen Besuch in Tarsus macht der Bundespräsident auf die schwierige Lage der 100 000 Christen in der Türkei aufmerksam. Für Gottesdienste brauchen sie die Genehmigung der Behörden. Dabei trat das Christentum von Anatolien aus seinen Siegeszug in Europa an.

Wulff spricht vor dem türkischen Parlament
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Schwester Maria faltet die Hände. "Sie lieben uns hier", sagt sie. Schwester Maria lächelt dabei, aber ihre Augen hinter der großen Brille bleiben ernst und wachsam. "Wir haben keine Probleme, es gibt keinen Druck. Der Polizeipräsident zum Beispiel, der ist uns wie ein Bruder." Der Polizeipräsident steht draußen auf dem Hof der Paulus-Kirche im südtürkischen Tarsus und bespricht letzte Vorbereitungen für die Messe, zu der heute Bundespräsident Christian Wulff erwartet wird.

Die katholische Kirche am Geburtsort des Christen-Apostels mitten in der muslimischen Türkei wird für das Ereignis herausgeputzt, es riecht nach frischer Farbe. An den Straßenlampen hängen türkische und deutsche Fähnchen.

In Tarsus will Wulff sein Engagement für die kleine Minderheit der rund 100 000 Christen in der Türkei mit der Teilnahme an einem ökumenischen Gottesdienst in der Paulus-Kirche unterstreichen. Seit 16 Jahren lebt Schwester Maria in Tarsus. Trotz ihrer 74 Jahre wirkt die italienische Nonne alert und energisch. Dass sie eine Nonne ist, sieht man ihr nicht an. Schwester Maria und die beiden anderen Ordensfrauen in Tarsus, die "Töchter der Kirche", dürfen außerhalb des Gottesdienstes in der Öffentlichkeit keine religiösen Gewänder tragen. "Kein großes Problem", sagt Schwester Maria und lächelt wieder.

Sie und ihre beiden Mitschwestern, die eine Art christlicher Stallwache in der Paulus-Stadt bilden, sind die einzigen Christen im Geburtsort des Apostels. Eine christliche Gemeinde gibt es in Tarsus schon lange nicht mehr. Die Teilnehmer für den Gottesdienst werden heute über Hunderte und Tausende Kilometer herangeschafft, aus Istanbul und Ankara, aus Adana und Iskenderun, und natürlich aus Deutschland. Zelebriert werden soll der Gottesdienst von den Pfarrern der deutschen Gemeinde in Istanbul, beide mit diplomatischem Status als deutsche Konsulatsmitarbeiter im Lande.

Kulturdenkmal und Museum

Die Kirche in Tarsus, die erst mehr als 1000 Jahre nach dem Tod des Apostels errichtet wurde, wird mangels Gemeinde heute als Kulturdenkmal und Museum geführt. Der Kleinstadt, die vor allem vom Anbau von Zitrusfrüchten lebt, beschert der Glaubenstourismus einen unerhofften Boom. Allein im vergangenen Jahr besuchten 15 000 Ausländer die Paulus-Kirche. Seit die Kirche im Paulus-Jahr 2008/09 für Gottesdienste geöffnet wurde, rollen die Touristenbusse von Frühjahr bis zum Herbst vom Flughafen der nahen Großstadt Adana aus in die Stadt. In den Altstadtgassen um den sogenannten Paulus-Brunnen und die mit einem Glasdach gesicherten Reste des angeblichen Wohnhauses des Apostels haben sich Cafés und ein schickes Hotel angesiedelt.

Mit seiner Solidaritätsaktion für die bedrängten Christen in der Türkei hätte Wulff an vielen Orten in Anatolien ein Zeichen setzen können: in Antiochien, wo die Anhänger von Jesus Christus erstmals Christen genannt wurden; in Ephesos, wo eine der ersten christlichen Gemeinden lebte; in Nikäa, wo das erste Ökumenische Konzil zusammentrat; in Konstantinopel, wo das christliche Glaubensbekenntnis formuliert wurde. Antakya, Efes, Iznik und Istanbul heißen diese Städte heute, und weder in der Türkei selbst noch in Westeuropa wissen die meisten Menschen, dass die christliche Religion vor allem aus Anatolien stammt. Nur wenige wissen, dass die große Kirchenspaltung zwischen West und Ost sich in der Hagia Sophia im heutigen Istanbul vollzog.

Die Initialzündung für all diese Entwicklungen zur größten Religion der Welt ging aber von Tarsus aus, der damaligen Hauptstadt von Kilikien, und ihrem berühmtesten Sohn, dem Apostel Paulus. Dort noch als Saulus geboren im Jahr vier oder fünf nach Christus, wurde Paulus zum Motor des Christentums. Ohne ihn und seine unermüdlichen Missionsreisen kreuz und quer durch die antike Welt wäre die Botschaft Jesu Christi nicht ausgesät worden, ohne seine Gemeindegründungen hätte der Glauben keine Wurzeln geschlagen, ohne seine Briefe und Schriften wäre die europäische Geistesgeschichte eine andere geworden.

Bei Wulffs Besuch geht es darum, Tarsus als christliches Symbol zu stärken. Die türkische Regierung hat angedeutet, dass sie bald der Forderung der katholischen Kirche nachkommen könnte, die Kirche wieder dauerhaft für Gottesdienste zu öffnen. Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sind bei aller eigenen muslimischen Frömmigkeit aufgeschlossen für die Forderung der Christen nach mehr Rechten. Doch noch immer haben die Christen Probleme beim Kirchenbau und der Ausübung ihrer Religion. In Tarsus zum Beispiel brauchen alle Gottesdienste in der Paulus-Kirche bisher eine behördliche Genehmigung, und Schwester Maria und die anderen beiden Nonnen müssen nach jeder Messe die für den Gottesdienst benötigten Utensilien und besonders die Kreuze wieder verschwinden lassen.

Rainer Korten, deutscher Pfarrer von Antalya, teilt die Begeisterung für den Gottesdienst in Tarsus nicht. Das sei reine "Symbolpolitik", in Tarsus gebe es ja keine christliche Gemeinde, findet der Pfarrer der Sankt-Nikolaus-Kirche an der türkischen Riviera. Korten betreut die rund 10 000 deutschen Rentner, die sich dauerhaft zwischen Antalya und Alanya in der Sonne niedergelassen haben. Der katholische Pastor ist selbst ein Pionier der christlichen Religionsfreiheit in der Türkei: Als erster ausländischer Geistlicher überhaupt erhielt er bei seiner Ankunft vor sechs Jahren eine Arbeitsgenehmigung.

"Erhebliche Schwierigkeiten"

Deutsche Politiker würden besser daran tun, einmal eine christliche Gemeinde in der Türkei zu besuchen, findet Korten, um sich über deren "erhebliche Schwierigkeiten" zu informieren. Die Sankt-Nikolaus-Gemeinde ist bei den Behörden als Verein angemeldet, weil es Kirchengemeinden in der Türkei juristisch überhaupt nicht gibt. Nur durch diesen Kunstgriff konnte die Gemeinde überhaupt Räume anmieten. In der Vereinssatzung ist festgehalten, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: der freie Zutritt zur Kirche und die Einfuhr von religiösen Schriften. Und ein behördlicher Inspektor wacht darüber, dass bei der Jahreshauptversammlung die türkische Nationalhymne angestimmt wird. Viel wichtiger als symbolische Gottesdienste findet Korten deshalb "klare Forderungen für die Freiheit der Christen hier — so wie sie Muslims in Deutschland genießen".

Das Problem sind nicht Gül und Erdogan, das Problem sind Männer wie Ilker Cinar, auch er ein Sohn der Stadt Tarsus und zeitweise selber Christ — zumindest behauptete er das: Mit 23 Jahren zum Protestantismus übergetreten, gründete Cinar in Tarsus eine Gemeinde und arbeitete sich darin rasch zum eigenen Pfarrer hoch. Zwölf Jahre lang reiste er als Protestant durchs Land. Dann konvertierte er 2005 mit dramatischer Geste live im Fernsehen zum Islam. Was folgte, war eine buchstäblich mörderische Diffamierungskampagne: Die Christen hätten die Türkei unterwandert, behauptete Cinar.

Die Missionare hätten ein Milliardenbudget, um im Auftrag fremder Mächte — der USA, der EU — das Land zu schwächen. 40 000 geheime Untergrundkirchen gebe es im Land bereits, das Ende der Türkei sei nahe. Die Medien fachten eine Hysterie an, die bald umschlug: Im Februar 2006 wurde der katholische Priester Andrea Santoro in Trabzon ermordet, im Januar 2007 der armenische Christ Hrant Dink, im April 2007 drei Protestanten im osttürkischen Malatya — alle von türkischen Jugendlichen. Erst im Juni 2008 flog Cinar auf, dank einer kleinen, aber tüchtigen türkischen Zeitung: Der zweifache Konvertit stand seit 1992 auf den Gehaltslisten des Militärgeheimdienstes.

Offiziell sind solche Umtriebe in Tarsus aber kein Thema. Schwester Maria tritt aus der Paulus-Kirche auf den Hof. Auch sie hofft, dass sich etwas ändert nach dem Besuch des deutschen Staatsoberhauptes.

(RP)
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