Interview mit Volker Kauder "Die religiöse Toleranz lässt gerade überall auf der Welt nach"

Berlin · Unionsfraktionschef Volker Kauder spricht im Interview über seine Reise in den Libanon und den Schutz von Christen in deutschen Flüchtlingsheimen.

 Volker Kauder ist Chef der Unionsfraktion im Bundestag.

Volker Kauder ist Chef der Unionsfraktion im Bundestag.

Foto: dpa, nie pil wst

Herr Kauder, Sie kommen gerade aus dem Libanon, der bei vier Millionen Einwohnern eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat. Können die Menschen dort überhaupt gut versorgt werden?

Kauder Nach den Zusagen auf der Londoner Geberkonferenz haben sich die Aussichten für die Flüchtlinge im Libanon, aber auch in den anderen Ländern der Krisenregion in jedem Fall verbessert. Zumindest die Grundversorgung mit Lebensmitteln und Wasser scheint sichergestellt! Wie uns auch Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagten. Ich hoffe, dass es auch mit der medizinischen Versorgung vorangeht. Hier müssen die Betroffenen bislang einen Eigenanteil tragen, was vielen aber sehr schwer fällt. Wir müssen die Situation aber ständig weiter beobachten und kontrollieren, ob sich die Lage in einigen Monaten wirklich verbessert hat. Geldzusagen sind immer das Eine. Die Mittel müssen auch bei den Notleidenden ankommen. Die Flüchtlinge tragen ein wirklich schweres Schicksal, wie mir ein Besuch in einer Zeltsiedlung gezeigt hat.

Wie bewerten Sie die geschlossenen Grenzen auf der Balkanroute angesichts der Großzügigkeit des Libanons?

Kauder Länder wie der Libanon, Jordanien, aber auch die Türkei zeigen ein sehr großes Herz gegenüber Flüchtlingen. Sie haben die übergroße Zahl der Flüchtlinge aufgenommen. Das vergessen einige in Europa immer sehr schnell. Humanität ist in vielen Staaten zu einem Fremdwort geworden. Natürlich kann Europa nicht alle Flüchtlinge aufnehmen. Aber die Antwort auf die Tragödie kann nicht in einer reinen Abschottungspolitik liegen, die dann auch noch die Einheit Europas gefährdet.

Der Druck der Flüchtlinge in Nordafrika auf Europa wird bleiben. Gehen Sie davon aus, dass sich neue Flüchtlingsrouten bilden und künftig auch wieder mehr Flüchtlinge an die deutsche Grenze gelangen?

Kauder Die Entwicklung der nächsten Monate ist schwer vorherzusagen. Sie hängt vor allem davon ab, was nun in Syrien passiert. Wenn es Frieden in Syrien gäbe, würden sich sicher noch weniger Menschen auf den Weg machen, es würden auch viele in ihre Heimat zurückkehren. Die Genfer Friedensgespräche sind sicher ein Anfang. Aber gerade die libanesischen Spitzenpolitiker, die ich gesprochen habe, meinen, dass Europa und vor allem die USA sich noch stärker engagieren müssen. Das kann ich verstehen. Europa hat in dieser Region Einfluss. Den müssen wir nutzen, auch wenn ein Interessenausgleich und damit eine Friedenslösung gerade in Syrien noch schwieriger sein dürfte als eine Lösung des Atomstreits mit dem Iran. Aber wir müssen die Aufgabe jetzt energisch angehen. Der Grund für die Flüchtlingskrise muss beseitigt werden.

Man hört immer wieder, dass innerhalb der Flüchtlingsgruppen Christen diskriminiert und gewalttätig behandelt werden. Was kann man dagegen tun?

Kauder Zunächst haben wir alle kein genaues Bild von der Gesamtlage. Das muss schnellstmöglich erstellt werden. Aber auch die vielen geschilderten Einzelfälle reichen aus, um sich Sorgen zu machen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich an diesem Montag erneut in einer größeren Veranstaltung mit dem Thema beschäftigen.

Bedarf es eines besonderen Schutzes von Christen in Flüchtlingsheimen in Deutschland?

Kauder Niemand darf in unserem Land aus religiösen Gründen bedrängt werden — nicht auf der Straße, nicht im Flüchtlingsheim, nirgendwo. Vor allem sind die Betreiber der Flüchtlingsheime gefordert, für die Sicherheit der Bewohner zu sorgen. Eine Trennung nach Konfessionen — die Christen in das Heim, die Muslime dort und die Jesiden woanders — ist keine Lösung. Damit hätten diejenigen, die andere ausgrenzen wollen, schon gewonnen.

Wollen Sie im geplanten Integrationsgesetz Maßnahmen verankern, die das friedliche Miteinander der Religionen in Deutschland sichern?

Kauder Jeder, der sich integrieren möchte, sollte in irgendeiner Form ein Bekenntnis zu den Grundwerten des Landes abgeben. Dazu zählt auch die Religionsfreiheit. Das wäre ein wichtiger Schritt. Vielleicht sollte man die Glaubensfreiheit auch besonders betonen, denn die religiöse Toleranz lässt gerade überall auf der Welt nach. Und das darf sich nicht bei uns fortsetzen.

Eva Quadbeck führte das Interview.

(qua)
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