Grünen-Parteitag Sieg der Realos über die Parteilinke

Meinung | Hamburg · Den längsten Applaus erhielt in Hamburg Winfried Kretschmann, die zurzeit stärkste Figur bei den Grünen.

Die Grünen - der Marsch durch die Institutionen
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Foto: Grüne

Mit einer leidenschaftlichen Rede überzeugte Baden-Württembergs Ministerpräsident die Mehrheit der Delegierten beim Bundesparteitag in Hamburg davon, dass es richtig von ihm war, vor zwei Monaten dem in seiner Partei höchst umstrittenen Asylkompromiss von Bund und Ländern zuzustimmen.

Kretschmanns Ja im Bundesrat war grüne Realpolitik pur. Denn im Gegenzug konnte er Union und SPD abtrotzen, dass sich die Flüchtlinge in Deutschland künftig viel freier als bisher bewegen können, dass sie schneller eine Arbeit aufnehmen und Geldleistungen erhalten können: Zugeständnisse, die zuvor undenkbar gewesen waren.

Überhaupt haben sich in Hamburg die so genannten Realo-Politiker aus den Bundesländern und in der Parteiführung gegen den linken Flügel auf ganzer Linie durchgesetzt.

Ein generelles Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete lehnte der Parteitag ab.

Parteichef Cem Özdemir sprach von einer "kleinen Sensation", denn der Beschluss bedeutete die endgültige Abkehr vom radikalen Pazifismus früherer Jahre. Im konkreten Fall des Kriegs gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" im Nordirak sprachen sich die Grünen zwar erneut gegen deutsche Waffenlieferungen aus, gestanden Andersdenkenden wie Özdemir jedoch zu, nach ihrem freien Gewissen zu entscheiden. Die Grünen vermeiden also auch hier künftig eine dogmatische Position.

Die Kritik aus den Reihen der Parteilinken an Kretschmann oder Özdemir bliebt trotz leidenschaftlicher Debatten gedämpft. Sämtliche Anträge der Parteiführung gingen durch, die der Parteilinken scheiterten.

Damit ging die Rechnung des Bundesvorstandes voll auf: Aus Hamburg sollten die Grünen ein Bild der Harmonie und Geschlossenheit senden. Darunter litt allerdings die Kritik am politischen Gegner, die viel zu kurz kam. Der Begriff "große Koalition" fiel kaum auf diesem Parteitag, was ein Armutszeugnis für eine Partei ist, die eine wählbare und ernst zu nehmende Alternative zu Union und SPD sein will.

Weiter bestehende Konflikte zwischen dem Realo-Flügel und der Parteilinken wurden unter dem Teppich gekehrt, und könnten daher bald wieder aufbrechen. Über die Steuerpolitik etwa wurde nicht diskutiert. Die Parteilinke strebt hier Steuererhöhungen für Gutverdienende und Vermögende an, Realo-Politiker wollen solche Forderungen mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 lieber mäßigen.

Auf Bundesebene haben sie Schwarz-Grün bereits fest im Blick: Da Rot-Rot-Grün im Bund weniger Chancen eingeräumt werden, ist Schwarz-Grün derzeit die am meisten realistische Machtoption der Grünen für 2017.

(mar)
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