Israel - siegreich, aber ohne Frieden

Im Sechstagekrieg stand Israel einem Bündnis aus Ägypten, Jordanien und Syrien gegenüber. Der Konflikt endete am 10. Juni 1967 und entzweite die gesamte Region. Unsere Korrespondentin hat eine israelische und eine palästinensische Familie besucht, deren Leben sich durch den Krieg drastisch veränderte.

Sie weint, noch bevor sie zu reden beginnt. Ruthi Langotsky, 79, feingliedrig, elegant in dunkler Stoffhose, grauer Bluse und Jäckchen. Sie ist sorgsam frisiert, trägt dezent aufgetragenen Lidschatten und Lippenstift, goldene Ohrstecker. Kein graues Haar lässt auf ihr Alter schließen. Als der Krieg ausbrach, wohnte sie mit ihrem ersten Mann Jakob Eylam, geborener Buchmann, und ihrem dreieinhalbjährigen Sohn Alon in Abu Tor, direkt an der Grenze zwischen West- und Ost-Jerusalem. Wie viele Israelis hatte Buchmann seinen Namen hebräisiert. Er nannte sich fortan Jakob Eylam. "Wenn ich auf die Straße ging", erinnert sich seine Frau, "winkte ich den jordanischen Soldaten auf der anderen Seite zu, und sie winkten zurück".

Der Palästinenser Mohammed Burkan hatte bis zum Krieg "noch nie einen Juden gesehen". Zum Zeitpunkt des Junikrieges 1967 war er 21 Jahre alt und hörte den Geschichten der Leute zu, die über Massaker berichteten, von dem Dorf Dir Jassin, wo jüdische Untergrundkämpfer im April 1948 willkürlich Hunderte Kinder, Frauen und Männer ermordeten. Von seinem Opa erfuhr er als Kind, dass es auch andere Juden gab, nette Nachbarn, die der Großvater in seinem Haus in Hebron versteckte und denen er zur Flucht verhalf, als 1929 Araber ein Massaker unter den Juden in der Stadt anrichteten. In den 40er Jahren zogen die Eltern Burkans von Hebron in die Altstadt Jerusalems. Mohammeds Vater kaufte ein Zimmer im Jüdischen Viertel und später mit dem Geld vom Verkauf des Grundstücks in Hebron ein Stück Land in Beit Hanina, wo sie eines Tages "wie früher" wieder Datteln und Trauben anbauen wollten.

Für die beiden Familien Burkan und Eylam nahm das Leben mit dem Sechstagekrieg eine Wende. Mohammed Burkan und Ruthi Langotsky, beide sind heute in ihren 70ern, waren damals jung, frisch verheiratet und Eltern von Kleinkindern, als der Krieg und die Besatzung ihrem Glück ein Ende machte. Ruthi Eylam verlor ihren Mann Jakob, der Israels Fallschirmspringern angehörte, Mohammed Burkan verlor sein Haus. Seine Eltern waren die letzten Araber, die aus dem Jüdischen Viertel der Altstadt vertrieben wurden.

Der Krieg begann am Montag, 5. Juni, um 8 Uhr morgens. Ruthi Langotsky hatte Angst - nicht um sich und ihren Sohn, sondern um ihren Mann. Es gab Gerüchte, dass die Fallschirmspringer über Ägypten abspringen sollten, um die Fluglandeplätze zu sprengen. "Das wäre reiner Selbstmord gewesen." Der Plan wurde geändert, aber davon wusste sie zu diesem Zeitpunkt nichts. Sie lief zum Kindergarten, um den kleinen Alon zu holen und wollte dann gleich wieder nach Hause, falls ihr Mann anrufen sollte. Dass auch Jordanien in den Krieg verwickelt werden würde, damit rechnete sie nicht.

In der Altstadt fielen die ersten Schüsse gegen 11 Uhr. Burkan und seine Freunde räumten einen Stall aus, richteten ein Lazarett ein, zerrissen Laken, brachten Wassereimer und warteten ab, bis es Nacht wurde. Die Leute hatten auf Befehl der Jordanier ihre Wohnungen verdunkelt. "Es war stockfinster", erinnert sich Burkan. Zusammen mit einem der jordanischen Polizeikommandanten zog er los, um in den Gassen nach Verletzten zu suchen. "Plötzlich war eine Leuchtbombe über uns. Die Juden waren schon bis zum Löwentor vorgedrungen. Wir hörten Explosionen, aber Verletzte kamen nicht zu uns."

Erst am vierten Tag des Krieges hörten die Gefechte in Jerusalem auf, Israels Truppen zogen weiter Richtung Norden. Die Kämpfe gegen die syrische Armee dauerten bis zum letzten Kriegstag. Ruthi Langotsky hatte nichts mehr von Jakob gehört. "Wir gingen in den Zoo, um die Tiere zu füttern." Auch dort war bombardiert worden. "Am Eingang kam uns ein Nashorn entgegen." Sie ahnte nichts Böses, ging zum Markt, um einzukaufen, und wartete auf ihren Mann. "Ich kochte für ihn." Wie genau Jakob Eylam gefallen ist, hat seine Frau nie erfahren.

Die ersten Juden, denen Mohammad Burkan begegnete, waren Beamte der Stadt, die die Einwohner registrierten. Mit der Zeit "haben wir uns an sie gewöhnt", sagt er und setzt hinzu, dass er auch ein wenig neugierig war. "Wir wollten sie kennenlernen." Anfangs kamen nur einzelne Israelis, dann regelrechte Besucherströme zur Klagemauer und ins Jüdische Viertel. Mohammed und seine Freunde erkannten ihre Chance, schnell zu Geld zu kommen. "Wir fingen an, Schmuck zu verkaufen." Das Geschäft lief so gut, dass "wir schon bald keine Ware mehr hatten". Die Familie konnte das Geld gut gebrauchen, denn Israel hatte dem Vater, der bis dahin in der Stadtverwaltung angestellt war, sofort gekündigt. Ein paar Jahre später bekam Mohammed Burkan als Maler eine Stelle im Kibbuz Ramat Rachel am Stadtrand von Jerusalem, wo er bis zu seiner Pension blieb.

Jahre vorher war Jakob Eylam in Ramat Rachel aufgewachsen. "Er hatte eine schwere Kindheit", sagt Ruthi Langotsky. Jakob war sechs Jahre alt, als seine Mutter den Jungen in den Kibbuz gab, wo er blieb, bis er 13 war. Jakob Eylam war schon 1956 zur Armee eingezogen worden, scheiterte anfangs an den Prüfungen für die Fallschirmspringereinheit und schaffte es später doch. "Alles packte er in 30 Jahre Leben." Das Video seiner Kameraden zeigt ihn mal in Uniform, mal lesend oder musizierend und immer wieder mit seinem Sohn auf den Schultern oder im Sitzen auf den Knien.

Wie schwer traumatisiert viele nach dem Krieg waren, zeigt sich an Alon Eylam, der nur noch aus Erzählungen Erinnerung an den Vater hat. Als seine Mutter wieder heiratete und fortan Ruthi Langotsky hieß, änderte auch der Junge seinen Namen. Er machte seinen Nachnamen zum Vornamen - aus Alon wurde Eylam - und übernahm den Familiennamen seines Stiefvaters Langotsky. "Er wollte so heißen, einen Vater und Geschwister haben und alles andere hinter sich lassen", erinnert sich Ruthi Langotsky.

"Mein Sohn", sagt sie und hat wieder Tränen in den Augen, "war nach dem Krieg so traumatisiert, dass er erst mit über 50 selbst Vater wurde". Er hat immer gesagt: "Wie kann ich einem Kind garantieren, dass ich nicht plötzlich aus seinem Leben verschwinde." Ausgerechnet in Deutschland "fühlt er sich sicher, so absurd das klingen mag". Ruthis Großeltern väterlicherseits lebten bis zur Machtergreifung Hitlers in Hanau. Beide sind in Theresienstadt ermordet wurden.

Mohammed Burkan hat dreimal geheiratet und sieben Kinder, vier aus der ersten und drei aus seiner dritten Ehe. "Meine zweite Frau konnte keine Kinder bekommen, deshalb habe ich Anfang der 90er Jahre erneut geheiratet." Soad Burkan ist deutlich jünger als er. Sie lauscht dem Gespräch im Vorbeigehen, räumt Einkäufe weg. Zu oft hat sie die Geschichte der Familie ihres Mannes über die letzten Araber, die das Jüdische Viertel verließen, gehört.

Schon ein Jahr nach dem Krieg begann die Enteignung in der Altstadt. Mohammed Burkan lebte mit seiner Familie damals schon in Beit Hanina, aber seine Eltern waren noch in der Wohnung seiner Kindheit. "Am 10. Januar 1977 kam die Polizei", sagt er. "Wir haben uns nicht gewehrt." Erst als einer der Beamten ihn aufforderte, ein Dokument zu unterschreiben, wurde er zornig. "Ich war vorher in die Türkei gefahren, um die Unterlagen zu besorgen." Das Haus gehörte seiner Familie. Er bekam es nie zurück.

Inzwischen leben die Familien der Brüder Burkan isoliert und umgeben von jüdischen Siedlern aus Pisgat Seew, das sich immer weiter auf dem Land von Beit Hanina ausbreitet. Ein Kontakt zu den Nachbarn besteht nicht. Nüchtern denkt Burkan an die Zeit zurück, als Jordanien Ost-Jerusalem kontrollierte, und wo es "auch keine Demokratie gab, aber wer ein Haus besaß, der wusste, dass es seins war, und dass niemand es ihm wegnehmen würde".

Burkans Sohn Hamed verdient sich seinen Lebensunterhalt bei den Israelis. "Es kann keinen Frieden geben, wenn man Leuten ihr Haus wegnimmt und es anderen gibt", sagt der 27-Jährige. Gern würde er das Haus, in dem sein Vater aufgewachsen ist, einmal von innen sehen. Ein paarmal sind die beiden schon dortgewesen, von den heutigen Bewohnern aber immer gleich wieder weggeschickt worden.

Hamed Burkan ist sicher, dass er und seine Familie eines Tages zurückkehren werden. In der Altstadt "fühlen wir, dass wir hierher gehören". Vater und Sohn sind sich einig, dass die Besatzung enden muss, um Frieden und Recht für Juden und Palästinenser zu erreichen. "Unser Schicksal ist, zusammen zu leben", sagt Mohammed Burkan.

(RP)
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