Putschversuch in der Türkei Erdogans Antwort ist Rache

Bei dem versuchten Putsch durch das türkische Militär sind 265 Menschen gestorben. Präsident Erdogan hat inzwischen mehr als 1500 Militärs festnehmen und 2500 Richter im Land absetzen lassen.

Putschversuch in der Türkei: Erdogans Antwort ist Rache
Foto: Selcuk Samiloglu

Es war eine dramatische Nacht in der Türkei. Während Präsident Recep Tayyip Erdogan außerhalb der Hauptstadt weilte, hatten Teile des türkischen Militärs am späten Freitagabend einen Putschversuch gegen Erdogan gestartet. In der Haupstadt Ankara und in Istanbul besetzten Militärs zunächst Straßen und wichtige öffentliche Plätze. Darunter den Platz vor dem Präsidentenpalast in Ankara, den Taksim-Platz und die Bosporus-Brücke in Istanbul.

Das Militär in der Türkei sieht sich als Wächter der weltlichen Verfassung von Staatsgründer Kemal Atatürk. Denn zusammen mit Atatürk erkämpften viele Offiziere des Militärs die Freiheit des Landes. 1923 wurde die Republik Türkei also auch durch das Militär gegründet. Ein Grund, warum sich das Militär befugt sieht, Präsidenten zu stürzen, die nach seiner Ansicht nicht die Verfassung der Republik achten.

Mit dem Putsch nun sollten unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederhergestellt werden. So hatte es die Armee bereits drei Mal seit 1950 gemacht und für kurze Zeit die Macht übernommen — zuletzt 1980.

Nun also der Putschversuch gegen Erdogan. Weil das Staatsfernsehen genauso wie die sozialen Netzwerke in der Türkei abgestellt worden war, wird Präsident Erdogan per Handy-Video dem Fernsehsender CNN Türkei zugeschaltet "Ich rufe das türkische Volk auf, sich auf öffentlichen Plätzen und an Flughäfen zu versammeln. Ich habe nie geglaubt, dass es eine höhere Macht gibt als das Volk", sagt er.

Und das Volk folgte ihm. Im ganzen Land ziehen die Menschen mit türkischen Fahnen auf die Straßen und Plätze. In Istanbul und Ankara stellen sie sich mit erhobenen Armen den Panzern der Militärs entgegen, während gleichzeitig von der Regierung geschickte Kampfjets über die Städte fliegen, um die Putschisten zurückzudrängen. Von beiden Seiten wird geschossen.

Die Armee hatte mit Militärhelikoptern das Parlamentsgebäude in Ankara bombadiert. Ein ranghoher Regierungsvertreter hatte aber kurz darauf betont, dass alle Abgeordneten die Kontrolle über ihre Büros behalten hätten. Bilder zeigen das stark beschädigte Gebäude. Auch die Polizeistation in Ankara soll angegriffen worden sein.

Demonstranten zeigen die chaotische Lage in Istanbul und Ankara mit ihren Smartphones live beim Video-Dienst Periscope. Immer wieder sind in den Videos Explosionen und Schüsse zu hören. Polizisten kämpfen gegen Putschisten.

Die deutsche Regierung, die USA und die EU haben inzwischen den Putschversuch verurteilt. Die demokratische Ordnung in der Türkei müsse respektiert werden, teilte der deutsche Regierungssprecher mit und US-Präsident Obama rief die türkischen Parteien auf, die demokratisch gewählte Regierung Erdogans zu unterstützen. Das machen dann auch alle vier türkischen Parteien.

Auf den Straßen stellen sich derweil immer mehr Menschen den Panzern der Armee entgegen. Versuchen, sie zu stoppen. Stellen sich mit erhobenen Armen als Zeichen des Friedens um die Militärfahrzeuge.Die Militärs lassen sie gewähren, weigern sich, auf die Zivilisten zu schießen. Die Situation kippt zugunsten der Regierung.

Während sich nach und nach auch in nordrhein-westfälischen Städten wie Essen, Duisburg und Düsseldorf tausende Erdogan-Anhänger auf den Straßen versammeln, verkündet der türkische Geheimdienst um zwei Uhr am Samstagmorgen, dass der Putschversuch abgewendet sei. Kurz darauf geht der staatliche Sender TNT wieder auf Sendung und Ministerpräsident Binali Yildirim sagt, die Lage sei wieder "weitgehend unter Kontrolle". Tatsächlich bleibt sie unübersichtlich. Es gibt weiter Schüsse und Explosionen. Polizisten führen aber nach und nach immer mehr Militärs ab und besetzen die Panzer.

Gegen vier Uhr landet dann Präsident Erdogan in Istanbul und äußert sich am Flughafen vor den Medien. Die Putschisten werden einen "hohen Preis" dafür zahlen. Die Armee müsse nun "gesäubert werden". Schon kurz nach dem Putschversuch zeigt sich, dass der wegen autoritärer Gesetze gegen Presse und Justiz umstrittene Präsident mit Rache statt Aussöhnung auf den gescheiterten Staatsstreich reagieren wird.

Verantwortlich für den Aufstand macht er den Geistlichen Fethullah Gülen. Der einstige Erdogan-Verbündete lebt im Exil in den USA. Die Gülen-Bewegung distanziete sich prompt von dem Putschversuch. Seit 40 Jahren setzt sich die Bewegung für Frieden und Demokratie ein.

Gülen gilt heute als Erzfeind Erdogans. Er soll staatliche Institutionen unterwandert und einen Putsch vorbereitet haben. In Abwesenheit wurde er dafür verurteilt. Die Gülen-Bewegung ließ Erdogan im Mai 2016 als terroristische Vereinigung einstufen. Etwa acht Millionen Menschen folgen Gülen und seiner religiösen Bewegung. Er fordert immer wieder mehr Bildung statt den Bau von Moscheen. Er will aber auch mehr Einfluss in der Türkei, wo er Universitäten und Medienanstalten betreibt. Gülens Stiftung soll über ein Milliardenvermögen verfügen.

Deutsche Politiker sehen die Bewegung aber durchaus auch kritisch. Denn Gülen rechtfertigt unter anderem die Todesstrafe für Religionswechsler, lobt den Dschihad und relativiert die Rechte der Frauen.

Für die türkische Regierung ist zunächst egal, wer Drahtzieher des Militärputschs ist. Noch in der Nacht werden mehr als 1500 Militärs festgenommen. General Ümit Dündar hat kommissarisch die Führung des Militärs übernommen. Gleichzeitig feiern Erdogan-Anhänger auf der Bosporus-Brücke und dem Taksim-Platz sowie den Straßen von Ankara den Sieg über das Militär. Sie schmücken die verlassenen Panzer mit türkischen Fahnen und umarmen die Polizisten — als Dank für den Einsatz gegen die Putschisten. Auch Menschen, die nicht für Erdogan oder seine Partei AKP sind, sind erleichtert. Selbst Erdogan sei besser, als eine Militärregierung, sagen einige von ihnen gegenüber Medien.

Wenige Stunden später untermauert Erdogan seine Macht, in dem er fast 2500 Richter absetzen lässt. Offenbar sieht der Präsident auch Verbindungen der Justiz zu dem Putschversuch. Er spricht von dem Putsch als "Geschenk Gottes", das die "Reinigung des Militärs" beschleunige. Gleichzeitig betont er den Wert der Demokratie. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt die türkische Regierung vor Überreaktionen. Im Umgang mit den Verantwortlichen für die "tragischen Ereignisse der letzten Nacht kann und sollte sich der Rechtsstaat beweisen", sagte Merkel.

Am Tag nach dem Putschversuch deutet allerdings nichts daraufhin, dass Erdogan auf mehr Demokratie oder Aussöhnung mit Militär und Opposition setzt, sondern auf Härte und Rache als Zeichen seiner Macht.

(rent)
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