Borussia Mönchengladbach Borussia will der Wahrscheinlichkeit trotzen

Mönchengladbach · Im ersten Champions-League-Heimspiel darf sich Gladbach endlich mal wieder mit einem britischen Klub messen. Es gibt Parallelen zum Gegner Manchester City, aber auch große Kontraste. Darum ist es die alte Geschichte von David gegen Goliath.

Borussias Bilanz gegen englische Teams
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Foto: Imago

Sevilla war, bei allem Respekt, noch nicht so richtig Champions League. Man kannte sich aus der Europa League, nur ein paar Monate lag der Besuch in Andalusien zurück. Aber heute kommt Manchester City. Das ist Champions League. Großer Glanz, Superlative. Und England. Danach haben sich Borussias Fans gesehnt, seit sie wieder das Recht haben, über Europa-Reisen zu sinnieren. 2012 wurden es die Ukraine, Zypern, die Türkei, Frankreich und Italien, zwei Jahre später Bosnien, nochmal Zypern, die Schweiz und zweimal Spanien. Alles schön, alles gut — aber nicht die Insel. Kein Liverpool, kein Arsenal, kein Manchester.

Nun ist es Manchester geworden. Lieber hätten die Gladbach- Freunde vielleicht das andere Manchester gehabt, ManUnited. Old Trafford, das Theater der Träume. Und die Gruppe, ja die wäre auch eine andere gewesen. Manchester United, PSV Eindhoven und ZSKA Moskau. Klingt weniger brutal als Sevilla, Juventus Turin und Manchester City. Eine "Hammergruppe". Aber England ist dabei. Das erste Mal auf die Insel seit 1996, als es den legendären Doppelsieg gegen Arsenal gab — erst das 3:2 in Highbury, den ersten Borussen-Sieg auf der Insel, dann das 3:2 in Köln. Herrliche Erinnerungen. Und nun Manchester City, das Etihad-Stadion. Für viele Fans ein neuer "Ground".

Manchester ist cool

Und: Manchester ist cool. Nicht nur wegen des Fußballs. Verdammt gute Musik kommt von da. Joy Division, New Order, The Fall, Simply Red, Oasis, vor allem aber The Smiths, die es leider nur fünf Jahre gab (1982 bis 1987). Deren Sänger Morrissey hat dem Fußball in Manchester ein bewegendes Lied gewidmet: "Munich Air Disaster 1958". Es geht in dem Song um das Flugzeugunglück von München, bei dem 1958 acht Spieler der Mannschaft von Manchester United starben. Der frühere Drummer der Smiths, Mike Joye, ist indes wie viele andere aus der Musikszene Manchesters bekennender Fan der Citizens. Der Gitarrist der Smiths, Johnny Marr, absolvierte als Jugendlicher sogar ein Probetraining bei "City".

Es gibt aber nicht nur eine besondere Verbindung der Citizens zur Musik. In kaum einem anderen englischen Klub spielten so viele Deutsche. Bert Trautmann war der erste. Er kam als Kriegsgefangener nach England, blieb dort und wurde einer der besten Torhüter der Welt. Als "City" ihn verpflichtete, demonstrierten 20.000 Menschen gegen ihn, weil er ein deutscher Fallschirmjäger war. Später war er ein Liebling der Fans. 545 Spiele machte er zwischen 1949 und 1964 für die Citizens. 1956 spielte "Traut the Kraut" im FA-Finale gegen Birmingham mit gebrochenem Genick und hielt den 3:1-Sieg fest. Seine Skulptur steht im Stadtmuseum von Manchester. Dahin hat es Michael Frontzeck nicht geschafft.

Borussen trainieren für Duell mit ManCity
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Borussia und Manchester City haben noch mehr gemeinsam als Frontzeck. Ein 12:0 zum Beispiel. Es ist für beide Klubs der höchste Sieg ihrer Geschichte. Im Fall der Gladbacher war 1978 Borussia Dortmund die Leidtragende, bei den Citizens liegt der Torrausch schon viel länger zurück. Knapp 90 Jahre bevor die Gladbacher ihr Rekordergebnis herausschossen, am 4. Oktober 1890, wurde Liverpool Stanley derart hoch besiegt. Noch etwas verbindet die beiden Fußballunternehmen: Ihre Herkunft. Die Heimat beider, Mönchengladbach wie Manchester, war früher eine Hochburg der Tuchindustrie. Mönchengladbach wurde sogar das "Manchester vom Niederrhein" genannt. Und Ende der 1990er waren beide Traditionsvereine sportlich fast zeitgleich an einem historischen Tiefpunkt angekommen: Borussia stieg 1999 zum ersten Mal in die Zweite Liga ab, ein Jahr zuvor war ManCity sogar drittklassig geworden.

Citys Ausgaben übersteigen Borussias Marktwert

Heute nun treffen sie sich auf der höchsten Ebene des europäischen Fußballs. Doch mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Die Transferaktivitäten des Sommers skizzieren die Größenverhältnisse: Borussia gab für Stürmer Josip Drmic zehn Millionen Euro aus, es war der zweitteuerste Transfer der Klubgeschichte. "City" holte für 74 Millionen Euro Kevin de Bruyne vom VfL Wolfsburg. Nebenbei kamen Raheem Sterling für 62,5 Millionen und Nicolas Otamedi für 44,6 Millionen Euro. Das Geld, das Manchester in dieses Trio investierte, übersteigt deutlich den geschätzten Marktwert der gesamten Gladbacher Mannschaft (rund 144 Millionen Euro).

Auch Borussia hat sich mal für de Bruyne interessiert. Doch musste sie früh aussteigen, als der VfL Wolfsburg, freundlich unterstützt von VW, mitbot und schließlich für rund 22 Millionen Euro den Zuschlag vom FC Chelsea erhielt. "Das zeigt, was für uns möglich ist — oder eben nicht", sagt Borussias Manager Max Eberl. Nun hatte auch Wolfsburg keine Chance, als Manchester City ernst machte. "Die astronomischen Ablösesummen sind keine gute Entwicklung" , sagt Eberl. Er hat sich zuletzt entschieden, weiter den Borussen-Weg mitzugehen, bis 2020. Mit all seinen Grenzen nach oben. Während "City" Stars in jeder Preisklasse haben kann, "entwickeln wir Stars", sagt Eberl.

So treffen heute im Borussia-Park zwei Welten aufeinander. "Größer könnte der Kontrast nicht sein", gesteht Eberl. Der eine Verein habe "unglaubliche finanzielle Möglichkeiten", der andere müsse sich jeden Euro "erarbeiten", so Eberl. "Bei City ist der Himmel das Limit", vermutet er. Dass dies so ist, hat zum einen mit den exorbitanten Fernsehgeldern zu tun, die britische Klubs kassieren. Ab 2016 bekommt die Premier League für drei Jahre 6,9 Milliarden Euro nur für die Liveübertragungen in Großbritannien — das sind 13,75 Millionen Euro pro Spiel, 70 Prozent mehr, als der aktuelle Vertrag bringt. Doch schon jetzt kann keine europäische Liga mit der Premier League mithalten.

Manchester lebt vom Scheich

Vor allem aber macht ein Scheich den Unterschied. Mansour bin Zayed al-Nahyan heißt er und ist seit September 2008 Besitzer des Manchester City FC. Für 250 Millionen Euro kaufte er den Klub, seither hat er viele Hundert Millionen Euro in das Fußball-Projekt gesteckt, allein in den ersten 18 Monaten waren es 440 Millionen. Ein Jahr zuvor war die Abu Dhabi Investment Group auch ein Thema im Borussia-Park. Ein 100-Millionen-Euro-Deal stand im Raum, doch Borussia prüfte alles und entschied sich dagegen.

Das Manchester-Modell wäre ohnehin nicht möglich in Gladbach. "Wir sind ein Mitgliederverein und müssten eine solche Entscheidung von der Mitgliederversammlung treffen lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Mitglieder dazu ja sagen würden", sagt Borussias Geschäftsführer Stephan Schippers. Zudem: Durch das 50 plus 1, dem sich der deutsche Fußball verschrieben hat, wäre eine solche Übernahme nicht möglich. "Die Klubs in England sind Eigentümervereine, da ist die Situation anders", weiß Schippers, der sich nachdrücklich für die 50-plus-1-Regelung, die verhindern soll, dass Großunternehmen oder andere Kapitalgeber die vollständige Kontrolle über die Profimannschaften von Vereinen übernehmen, und das Financial Fairplay der Uefa ausspricht.

Gespielt wird nach wie vor auf dem Rasen, dort, wo die Wahrheit des Spiels zu finden ist. Das Geld sortiert gleichwohl heute Abend vorerst die Favoriten-Situation deutlich ein. "Der Wahrscheinlichkeit nach haben wir keine Chance", sagt Eberl. Manchester City ist angetreten, um in diesem Jahr die Champions League zu gewinnen, Borussia ist Novize in Europas Eliteklasse und will Erfahrungen sammeln. Aber nicht nur negative. Max Eberl erinnert an die Geschichte von David und Goliath, das ist ein üblicher Vergleich in derartigen Konstellationen.

Manchesters Defensive offenbart Lücken

Für beide Gegner geht es um viel, denn beide haben das erste Spiel verloren. Borussias 0:3 beim FC Sevilla war bitter, doch dürfte die Heimniederlage gegen den zweiten Gruppenfavoriten, Juventus Turin, den englischen Vizemeister Manchester noch härter getroffen haben. Dass "City" nicht nur von Champions-League-Finalisten wie Turin besiegbar ist, machte am vergangenen Wochenende Tottenham Hotspur vor. Während Borussia 3:1 in Stuttgart gewann, unterlag ihr Gegner dort 1:4 und verlor die Tabellenführung an den Stadtrivalen United. Allein de Bruyne, Schütze des Führungstreffers, war ein Lichtblick. Die Defensive hingegen war bemerkenswert durchlässig. Das könnte ein Ansatz für Gladbachs Trainer André Schubert sein. Er wird bei seinen Videostudien zum Spiel die neuralgischen Punkte des Gegners herausarbeiten.

Auch Schubert kennt die Geschichte von David und Goliath, natürlich. Und ihren Ausgang. Entsprechend stellt er fest: "Unser Gegner hat viel, viel bessere Voraussetzungen, aber mit einem guten Plan kann man so einen Gegner packen." Wie man gegen Manchester nicht verliert, weiß der Trainer zumindest. Mit der U23 Borussia hat er zuletzt im Premier-League-Cup bei den "kleinen" Citizens gespielt und ein 1:1 ergattert. Das wäre heute Abend durchaus ein beachtliches Ergebnis. Und es gibt Gründe, dass es dazu oder gar zu mehr kommen kann.

Während Manchester City als illustre Ansammlung von Topstars zu beschreiben ist, setzt Borussia auf ein (nun wieder) funktionierendes Kollektiv. "Wir werden als Team alles in die Waagschale werfen", versichert Eberl. Ein guter Plan plus Teamgeist plus das Selbstvertrauen der zuletzt zwei Siege — in der Summe kann Borussia damit der Wahrscheinlichkeit trotzen. Hinzu kommt der natürliche Vorteil des David: Keiner erwartet von ihm, Goliath zu besiegen. Gladbach kann nur gewinnen, Manchester City hat etwas zu verlieren. Geld schießt nicht zwingend Tore, doch es verpflichtet. "Manchester, so much to answer for", singen die Smiths. Die erste Antwort gibt es heute im Borussia- Park. Die Frage ist: Von wem?

(RP)
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