Von Triumphen und vom Niedergang Beim 1. FC Köln leidet der Geißbock still

Köln (RP). Der 1. FC Köln gehört zu den beliebtesten und traditionsreichsten deutschen Fußballvereinen. Einst nannte er sich stolz "Weltclub". Doch seit zwei Jahrzehnten läuft er seinen Ansprüchen weit hinterher. Eine Geschichte von großen Fußballern, von Triumphen und vom Niedergang.

Die beiden Gäste aus München saugten die Informationen auf wie Schwämme das Wasser. Sie spitzten die Ohren, wenn Kölns Präsident Franz "der Boss" Kremer zu ihnen sprach. Sie machten sich eifrig Notizen. Nur ob sie auch die Länge der Grashalme auf den Plätzen am Geißbockheim und den Luftdruck im Lederball maßen, ist nicht überliefert.

Im Januar 1965 hospitierten Robert Schwan und Wilhelm Neudecker beim 1. FC Köln. Der Manager und der Präsident des FC Bayern München ließen sich zeigen, wie ein moderner Fußballverein funktioniert: Management, Sponsoren-Akquise, Öffentlichkeitsarbeit, Trainingsmethoden und so weiter und so fort. Die kleinen Bayern, die gerade an der Schwelle zur Bundesliga standen, bildeten sich beim großen FC fort, beim amtierenden Deutschen Meister, dem Tabellenführer der ersten Liga, dem Viertelfinalisten im Europapokal.

Der Rückblick auf solche Episoden erklärt, wie sehr die Anhänger des FC gerade in diesen Wochen wieder leiden. Wochen, in denen sich die Republik über "die da in Köln" lustig macht. In denen es in der Führung drunter und drüber geht und aus der Jahreshauptversammlung eine Stunksitzung wird. Der sportliche Erfolg bleibt aus und die Gefahr des fünften Abstiegs binnen 13 Jahren rückt greifbar nahe. Die kleinen Bayern von einst spielen mittlerweile in einer anderen Galaxie als der große FC von damals.

Und die Kölner Medien potenzieren den Spott. Die vier Tageszeitungen widmen sich intensiv ihrem Klub, die Sportschau-Redaktion beim WDR legt nach, die RTL-Leute senden selbstverständlich mit Wonne, was bei ihnen vor der Haustür passiert. Harald Schmidt und Stefan Raab sorgen dank ihrer lokal verwurzelten Gag-Schreiber in Kölner Studios zudem dafür, dass das ganze Land am rheinischen Fußball-Leiden teilhaben darf.

Es gibt wenige Vereine, bei denen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen und für die die glorreiche Vergangenheit so eine lähmende Last ist, weil die Gegenwart immer an ihr gemessen wird. Die "elitäre Arroganz", die der wackelnde Manager Michael Meier vor ein paar Jahren mal vermisste, gehört zum genetischen Code des Klubs.

Es begann damit, dass Kremer, der legendäre Gründungspräsident, nach dem Gewinn der ersten Meisterschaft 1962 auf dem Neumarkt das bis heue nicht eingelöste Versprechen hinausposaunte: Nun werde die Mannschaft auch den Europapokal nach Köln holen. Der 1. FC Köln war die erste Adresse im deutschen Fußball, als die Bundesliga laufen lernte. Hans Schäfer ("de Knoll"), einer der Helden von Bern, prägte das Spiel, bis Wolfgang Overath übernahm.

Keine WM, keine EM ohne FC-Profis in tragenden Rollen. Die Trikots lieferte der Pariser Hersteller Jacques Fath, das Geißbockheim im Grüngürtel wurde zur Pilgerstätte für Vereinsvertreter aus dem In- und Ausland, und nicht zu Unrecht hieß ein Buch, in dem Hans-Gerhard König diese Epoche der Vereinsgeschichte aufarbeitete: "Vom Vorstadtverein zum Weltclub".

Neulich, auf der turbulenten Mitgliederversammlung, wagte sich ein 18-Jähriger ans Mikrofon, der "von Geburt an FC-Fan" sei, wie er sagte. "Wie fühlt sich Erfolg eigentlich an?", wollte der Teenager von Wolfgang Overath, dem Präsidenten wissen, der gleichermaßen die glorreichen Zeiten wie die Tristesse dieser Tage verkörpert.

Nur vom Hörensagen weiß der junge Anhänger von Meisterschaften, Pokalsiegen und Europapokal-Nächten. Nie sah er Heinz Flohe, Bernd Schuster oder Pierre Littbarski live auf dem Müngersdorfer Rasen — oder Roger van Gool, den ersten Millioneneinkauf der Bundesliga. Dem Double 1978 unter Trainer Hennes Weisweiler folgte nur noch eine glanzvolle Phase Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Dritter 1988, Zweiter 1989 und noch einmal Zweiter 1990.

Der Trainer hieß Christoph Daum. Er kam den Kölnern abhanden, als er laut von einem Wechsel nach Italien träumte, sich Extravaganzen leistete und Präsident Dietmar Artzinger-Bolten ins WM-Quartier der Nationalelf nach Erba in Italien reiste, um dem Coach zu kündigen. Diese Trennung war eine der entscheidenden Wegmarken beim Niedergang des 1. FC Köln.

Nach Daums Rausschmiss folgte die "Bielefeldisierung"

Der Spitzenklub verwandelte sich in einen "Anderthalbligisten", der zu schlecht für die Erste, aber zu gut für die Zweite Liga ist. Er machtet eine Art "Bielefeldisierung" durch. Ein anderer Tiefpunkt: das Verschwinden der "Häßler-Millionen". Nie ließ sich klären, was aus dem Transfererlös von 15 Millionen Mark wurde, den der Klub für den Wechsel von Weltmeister Thomas Häßler zu Juventus Turin bekam.

Die chaotische Vereinspolitik schlug sich in Transfers nieder, die der "Express" in einer ständig länger werdenden "Liste des Grauens" genüsslich veröffentlichte, und in der der Franzose Lilian Laslandes (von den Fans "Laslandesliga" genannt) einen besonderen Rang einnahm. Allein in den Spielzeiten 91/92 und 92/93 verschliss der FC sechs Trainer. Es fehlte ein starker Mann, der sportliche Kompetenz mit Führungsstärke paarte: so wie Uli Hoeneß in München, wie Reiner Calmund über viele Jahre auf der anderen Rheinseite bei Bayer Leverkusen, wie Rudi Assauer in seinen besten Tagen auf Schalke oder später Klaus Allofs bei Werder Bremen.

Mit der rasanten Entwicklung des Bundesliga-Fußballs in den 90er Jahren hielten die oftmals in der Erinnerung gefangenen Kölner nicht mit. Ein Phänomen, das ja auch den rheinischen Rivalen Borussia Mönchengladbach ergriff. Die Bayern zogen davon, Borussia Dortmund warf auf Gedeih und Verderb mit Geld um sich, Werksklubs wie Leverkusen und später Wolfsburg mischten die Liga auf, und taktische Innovationen gingen von Freiburg aus, aber nicht von Köln.

Der Retrostil brachte Daum zurück, Overath und — nach einem Gastspiel in München — Lukas Podolski. Er brachte aber keinen Fortschritt, keine Titel. Nur einen wenig ehrenhaften: Zeitweise war Köln Europas einzige Millionenstadt ohne Erstligist. Und zum Unvermögen kam Pech. Den ersten Abstieg besiegelte der Schalker Oliver Held 1998, als er ein Kölner Tor mit einem für alle, außer für das Schiedsrichtergespann, offensichtlichen Handspiel verhinderte. Noch so eine entscheidende Wegmarke.

Zu einem großen Klub machen den FC heute allein die Fans. Der frühere Sportdirektor Udo Lattek brachte es auf den Punkt, als er die Stimmung im Stadion pries und sagte: "Das einzige, was stört, ist die Mannschaft." Rudi Völler findet, dass das Beste in Köln die halbe Stunde vor Spielbeginn ist. Das ganze Stadion feiert dann zu jeder Jahreszeit Karneval. Vor der Partie morgen gegen den VfL Wolfsburg liegt der Schnitt im 50.000-Zuschauer-Stadion bei 49.033. Nur zwei deutsche Klubs verbuchen im Netzwerk Facebook mehr Anhänger.

Doch Köln hat noch Selbstvertrauen. Das macht Stadionsprecher Michael Trippel am Sonntag kurz vor halb sechs deutlich, wenn er die Gäste "in der schönsten Stadt Deutschlands" begrüßt. Und den Glauben an die Zukunft des Vereins hat selbst der schwer angeknockte Manager Michael Meier noch nicht verloren. "Sportslab", das bislang mäßig erfolgreiche System zur weltweiten Talentsuche, bezeichnete er auf der Mitgliederversammlung als reif für die Champions League. Nicht viele haben da gelacht.

(RP)
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