Kolumne: Gegenpressing Wenn Riesen Angst vor Fußball-Zwergen haben

Düsseldorf · Gibraltar spielt Flachpass-Fußball wie die Spanier und "Kick and Rush" wie die Engländer. Löw sucht schon nach taktischen Antworten.

Die zu Unrecht noch nicht berühmte Fußball-Nationalmannschaft von Gibraltar hält wahrscheinlich den Weltrekord. Sie hat noch kein Länderspiel verloren. Böse Menschen behaupten, der wesentliche Grund sei, dass sie erst ein Spiel bestritten hat. Dem ungleich prominenteren Gegner Slowakei wurde ein torloses Unentschieden abgemauert.

Das wird die deutsche Mannschaft bestimmt in Angst und Schrecken versetzen. Sie trifft schließlich in der Qualifikation zur Europameisterschaft auf Gibraltar. Und Jordan Perez, der Nationaltorhüter, hat bereits voller Mitgefühl für den deutschen Coach erklärt: "Ich möchte da nicht in der Haut des gegnerischen Trainers Joachim Löw stecken." Immerhin war der Schlussmann so freundlich, einen ersten Blick in die taktische Zauberkiste zu gewähren. Gibraltar spiele Flachpass-Fußball wie Spanien und "Kick and Rush" wie die Briten. Allerhand. Löw wird erschüttert nach tauglichen Antworten suchen.

Gibraltar ist das jüngste Kleinod in der Sammlung europäischer Nationalteams, die sich um die EM-Teilnahme kämpfen. Ähnlich große fußballerische Verdienste haben sich bislang San Marino oder Andorra erworben. Und so mancher wird sich bereits danach sehnen, in naher Zukunft die Stadtauswahl von Belgrad-Süd im Wettbewerb zu begrüßen. Bei der Neigung des Balkans zur Kleinstaaterei ist der Zeitpunkt sicher nicht mehr weit. Und beim ausgewiesenen Ballsport-Talent der Menschen aus dieser Gegend sind die Aussichten auf fußballerische Erfolge nicht einmal fürchterlich gering.

Ein logischer Schritt auf diesem Weg ist die baldige Teilnahme der Nationalmannschaft des Vatikan. Das wird Realität, wenn sich der römische Stadtstaat denn entschließt, nicht nur Angehörigen der Schweizergarde oder Kardinälen die vatikanische Staatsangehörigkeit zu verleihen. Über das Doppelpass-Spiel der Kardinäle ist übrigens bis heute fast ebenso wenig bekannt wie über das Gegenpressing von Gibraltar. Das muss ja nicht so bleiben.

Die Begeisterung über tiefere Einblicke in die Geheimnisse des Fußballs von Zwergen wie Gibraltar hält sich bei den Riesen im europäischen Reich in engen Grenzen. Wahrscheinlich haben sie Angst. Denn die Zwerge können ihnen nicht nur vors Schienbein treten oder mit holprigen Plätzen verwöhnte Stars ärgern. Sie können die Großen auch bildschön blamieren. Fragen Sie einen Österreicher gelegentlich mal nach den Färöern, nach einem Torwart mit Zipfelmütze, nach einem 0:1 und dem Jahr 1990. Vermutlich wird er nicht zu freundlich darauf antworten.

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(RP)
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