Erster Chinese bei der Tour de France Schnarchender Ji schreibt Geschichte

Besancon · Als erster Chinese in 111 Jahren Tour de France hat Cheng Ji bereits Geschichte geschrieben. Bei der Sprintvorbereitung gehört er zu den Helfern von Marcel Kittel. In den Bergen wird die Luft dünn. Sein persönliches Ziel ist das Tour-Finale in Paris.

 Als erster Chinese in 111 Jahren Tour de France hat Cheng Ji bereits Geschichte geschrieben.

Als erster Chinese in 111 Jahren Tour de France hat Cheng Ji bereits Geschichte geschrieben.

Foto: afp, AG

Gewöhnlich ist das Einzelzimmer bei den Radsport-Teams immer dem Kapitän vorbehalten. Beim Team Giant-Shimano ist das anders. Nicht etwa Supersprinter Marcel Kittel, sondern Cheng Ji kommt bei der Tour de France in den kleinen Genuss von ein wenig Luxus. Das hat nicht etwa damit zu tun, dass der Mann aus Harbin der erste chinesische Teilnehmer in 111 Jahren Tour de France ist. Nein, Ji schnarcht derart laut, dass es keiner mit ihm aushält.

Ji freut es. So kann er ungestört mit seiner Frau im fernen China kommunizieren. Er sieht sie nur in den Wintermonaten, wenn er daheim ist. Ansonsten geht er seinem Beruf in Europa nach. Das klappt nicht immer so gut. Im Gesamtklassement liegt er mit mehr als zwei Stunden Rückstand auf dem letzten Platz. Inzwischen hat er erfahren, dass es dafür einen Preis gibt: die "Lanterne rouge" (rote Laterne). Aber das sei nicht sein Ziel. Die Platzierung ist ohnehin egal, Ji hat auch so seinen Wert für den niederländischen Rennstall bewiesen.

Vor allem wenn es darum geht bei der Sprintvorbereitung für den dreimaligen Etappengewinner Kittel Ausreißergruppen einzuholen, ist Ji gefragt. Im Team hat er längst den Spitznamen "Breakaway Killer" erhalten. "Er macht seine Sache gut", lobte Kittel den asiatischen Kollegen, der am Dienstag pünktlich zum Ruhetag seinen 27. Geburtstag feierte. Und John Degenkolb ergänzte: "Bis jetzt ist das sehr beeindruckend. Auch im Fahrerfeld sagen sie schon: So schlecht ist er gar nicht. Ich hoffe, dass er bis Paris durchhält."

Seine Daseinsberichtigung habe er aus sportlichen Gründen und nicht, weil der chinesische Markt für die Sponsorensuche interessant sein könnte, betonte die Teamleitung um Sportdirektor Marc Reef. Es ist Jis dritte Teilnahme an einer Grand Tour. Bei der Spanien-Rundfahrt 2012 wurde er Letzter, beim Giro d'Italia vor einem Jahr stieg er nach fünf Etappen aus. Nun kämpft er sich über Frankreichs Landstraßen und will am 27. Juli in Paris ankommen.

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Bei der Tour gehört er noch zu den Exoten im Feld, in seiner Heimat ist Ji dagegen das Gesicht des Radsports. Sieben chinesische Journalisten begleiten sogar das Rennen, aus Deutschland sind auch nicht viel mehr dabei. Jeden Tag wird im chinesischen TV zwei Stunden live von der Rundfahrt berichtet - und das zur PrimeTime, denn die Etappen enden gegen 23.00 Uhr chinesischer Zeit. Die Einschaltquoten stimmen offensichtlich. "Er ist sehr populär. Mehrere Millionen Chinesen schauen jeden Tag zu", sagt TV-Journalistin Xin Wang. Sie ist bereits das zwölfte Mal bei der Tour, aber das Interesse in der Heimat ist erst jetzt mit Ji schlagartig gestiegen.

Ji ist der Hype um seine Person ein wenig unangenehm. "Es geht doch nicht darum, wo einer herkommt, sondern was er sein will und an was er glaubt. Es ist doch ganz einfach: Versuche es und gehe deinen Weg", sagt der Tour-Neuling. Als Junge hatte er sich einst auf den Mittelstrecken in der Leichtathletik versucht, ehe er zum Bahnradsport gewechselt ist. Schließlich ist im nördlichen Harbin nur im Sommer Radsport im Freien möglich, im Winter wird es mitunter bis minus 20 Grad kalt. "Anfangs habe ich nur 53, 54 Kilogramm gewogen.
Ich hatte kaum Muskeln", erinnerte sich Ji.

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Mit den Muskeln kamen die ersten kleineren Erfolge. 2007 schaffte er den Sprung nach Europa zum damals noch zweitklassigen Shimano-Team. Bei den Niederländern wurde er behutsam aufgebaut. "Er kann noch stärker werden, muss sich noch mehr fokussieren", sagte Reef. Jis Teilnahme sei eine große Sache für das Team, für die Tour und für China. "Er nimmt die Rolle eines Botschafters ein." Und ihm Team ist er längst akzeptiert - solange keiner mit ihm das Zimmer teilen muss.

(dpa)
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