Wahl in Düsseldorf Ein Abend der kleinen und großen Dramen

Düsseldorf · Die großen Parteien teilten sich das Düsseldorfer Rathaus auf, um die Auszählung zu verfolgen. Es wurde das längste Public Viewing der Stadt.

Wahl in Düsseldorf: Abend der kleinen und großen Dramen
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Um 18.40 Uhr fotografiert der SPD-Chef das beeindruckende Ergebnis seiner Partei, aber er muss dabei lachen. Die Sozialdemokraten liegen zu diesem Zeitpunkt deutlich vor der CDU. Andreas Rimkus macht mit dem Handy einen Schnappschuss des Ergebnisses, das auf einer Leinwand eingeblendet wird. Natürlich weiß er: Zu dieser Zeit sind gerade einmal ein paar Wahlkreise ausgezählt, das Zwischenergebnis hat keine Aussagekraft. Trotzdem sieht es toll aus. Einige Stunden später wird sich Rimkus über ein echtes tolles Ergebnis freuen — aber das weiß er noch nicht. Neben dem SPD-Chef stehen zwei Kandidaten der Piraten, die eigentlich nicht im Rathaus mitfeiern, sondern in der Altstadt ihre Party ausrichten — aber an diesem langen Abend vermischen sich die Parteien immer mehr.

Es bleibt ja auch genügend Zeit für Besuche, für Handyfotos und andere Zerstreuung: Wer am Wahlabend ins Rathaus gekommen ist, muss Geduld mitbringen. Der Abend folgt nicht der Dramaturgie einer Bundestagswahl, in der um 18 Uhr die Tendenz feststeht und zwei Stunden später schon fast das Ergebnis. Die ersten aussagekräftigen Zahlen zur Kommunalwahl werden gegen 21 Uhr erwartet, es kann deutlich länger dauern, bis alle Resultate feststehen. Also warten.

Den größten und schönsten Raum dafür hat die Union abbekommen. Sie trifft sich im Sitzungssaal im ersten Obergeschoss. Es geht dort laut zu wie im Brauhaus. In der Ecke wird Füchschen gezapft, auf Bistrotischen mit orangenen Tischdecken stehen Brezel. Die gehen gut weg, der Fraktionsgeschäftsführer muss bald für Nachschub sorgen. Die ersten Hochrechnungen für die Europawahl machen Hoffnung, dass es ein guter Abend wird. Ein Gesprächsthema bei den Alttrinkern der Union: Bei der FDP nebenan gibt es nur Wasser.

Die Liberalen haben wirklich nur Sinziger und gelbe Pappbecher bereitgestellt, vielleicht haben sie befürchtet, dass es wenig Grund zum Feiern geben wird. An den Wänden ihres kleinen Saals hängen Bilder der früheren Düsseldorfer Oberbürgermeister. Es ist um 18 Uhr voll und heiß, die Besucher stehen bis auf den Gang. Trotzdem ist es still. Erst eine halbe Stunde später haben die FDP-Mitglieder die ersten Hochrechnungen für Europa- und Kommunalwahl halbwegs verdaut. Sie verfolgen auf ihrer Leinwand, wie die Balken immer mal wieder größer oder kleiner werden.

Die Linke muss mit dem schlechtesten Raum vorliebnehmen: Sie feiert in der Garderobe im Erdgeschoss. Dafür hat die Partei das beste Buffet mitgebracht. Es gibt Roastbeef-Tapas, Hackbällchen und Tomaten-Chutney. Das ist zu viel zu essen für wenige Besucher — die große Wahlparty steigt im linken Zentrum an der Corneliusstraße. Der "Nackte Cowboy", der als Einzelkandidat angetreten war, spielt unterdessen in Unterhose Musik vor dem Rathaus.

Weil das Anstarren der Balkendiagramme auf die Dauer zu langweilig ist, beginnen die Mitglieder aller Parteien, einander zu besuchen, erst nur einige, später lässt sich kaum unterscheiden, wer zu wem gehört. Ein FDP-Mitglied kommt in die Ratskantine, in der die SPD ihre Fässchen aufgestellt hat. Man entdeckt Gemeinsamkeiten: Im Wahlkampf auf der Straße, so erzählt der FDP-Mann, hatten viele Passanten versichert, dass sie seine Partei wählen. Dem SPD-Mann ist es ebenso ergangen. Beide waren sich deshalb sicher, dass die Wahl gut wird. Nun sind beide verunsichert.

Die Grünen sollten eigentlich wie immer im unteren Foyer feiern, aber sie sind verschwunden. Wahlleiter Stephan Keller wundert sich. Er findet im Foyer stattdessen den einsamsten Mann des Abends. Der ist städtischer Mitarbeiter und sitzt neben einer Leinwand, auf der man die Auszählung der Integrationsratswahl verfolgen kann, was aber niemand will. Wahlleiter Keller findet die Grünen schließlich um die Ecke: Sie haben sich das "Ufer 8" gemietet, einen schicken Club. Vor der Tür stehen Parteimitglieder und rauchen — erstaunlich viele für die Partei des Nichtraucherschutzes. Im Innern liegen schon Sträuße für die Kandidaten bereit, jeder wird einen bekommen, ungeachtet des Ergebnisses. Aber die Blumen werden noch eine Weile warten müssen.

Als gegen 21 Uhr endlich die ersten Ergebnisse feststehen, herrscht bei der SPD eine Atmosphäre wie im Fußballstadion. Die Parteimitglieder brüllen "Thomas, Thomas", obwohl der OB-Kandidat noch gar nicht da ist. Das Handy dient jetzt nicht mehr zum Fotografieren, sondern um die aktuellen Zwischenstände anzuschauen — außer beim "Nackten Cowboy", der sich etwas übergezogen hat, einen goldenen Hut trägt und sich unter die Genossen gemischt hat. Der macht munter Fotos. Auf einmal spielen sich im Rathaus viele Dramen zur selben Zeit ab, wie das von Ratskandidat Philipp Tacer (SPD). Der schaut immer wieder auf sein Handy und schüttelt den Kopf: Neun von zehn Stimmbezirken sind ausgezählt und er hat 90 Stimmen Vorsprung — ein Herzschlag-Finale. Irgendwann brüllt eine Frau: "Ja, Philipp!" Er hat es geschafft. Auch bei der CDU wird gejubelt, aber verhaltener. Der Abend hatte mehr versprochen.

Auf der Wahlparty der CDU sind nun überraschend viele Grüne zu finden, wo sie abstreiten, dass eine schwarz-grüne Koalition ausgemachte Sache ist. Auf der Wahlparty der Grünen finden sich derweil mehrere Piraten, die immer noch nicht zur eigenen Party zurückgekehrt sind und für eine schwarz-grün-orange Koalition werben. Die Grünen wirken wenig begeistert.

Gegen 22.30 Uhr leert sich das Rathaus langsam. Die FDP-Spitze will bei Wein und in Ruhe den furchtbaren Abend ausklingen lassen, nur die Feier der Grünen im Club verspricht noch eine lange Nacht. Vielleicht aber auch nicht. Auch die Grünen wissen, dass die nächsten Tage anstrengend werden. In drei Wochen trifft man sich im Rathaus wieder zur Stichwahl.

(RP)
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