Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil im Salafisten-Prozess um Bonner Bombe erwartet

Düsseldorf · Seit mehr als zweieinhalb Jahren führt die Justiz in Düsseldorf einen Prozess gegen vier mutmaßliche islamistische Terroristen aus der Bonner Salafisten-Szene. Am Montag soll das Urteil verkündet werden.

 Prozessbeginn 2014: Der Angeklagte Marco G. (rechts) begrüßt seinen Mitangeklagten Koray D.. Der Prozess wurde unter schärfsten Sicherheitsbedingungen durchgeführt.

Prozessbeginn 2014: Der Angeklagte Marco G. (rechts) begrüßt seinen Mitangeklagten Koray D.. Der Prozess wurde unter schärfsten Sicherheitsbedingungen durchgeführt.

Foto: dpa, fg htf

Über dem Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts taucht dröhnend ein Polizei-Hubschrauber auf und landet auf dem Dach. Ein gefesselter Gefangener wird aus dem Helikopter gezerrt, als wäre er der Staatsfeind Nr. 1 - seit Monaten jede Woche die gleiche Prozedur. Es ist Marco G., der auf diese Weise in den Gerichtssaal gebracht wird. Dort wird ihm seit mehr als zweieinhalb Jahren der Prozess gemacht. Dem mutmaßlichen islamistischen Terroristen droht die Höchststrafe: Lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld.

Den drei Mitangeklagten aus der Salafisten-Szene winken Strafen zwischen 11 und 14 Jahren. So hat es zumindest die Bundesanwaltschaft beantragt. Der Prozess hat bereits 154 Verhandlungstage gedauert und dürfte Millionen Euro Steuergeld verschlungen haben, doch näher gekommen sind sich Anklage und Verteidigung trotz allen Aufwands nicht, im Gegenteil: Die Verteidiger haben für alle vier Angeklagten Freisprüche beantragt.

Sie sagen, dass keiner der Vorwürfe erwiesen sei. Weder, dass Bonn einem blutigen Bombenanschlag nur knapp entronnen ist, noch dass ein Mordkomplott gegen den Vorsitzenden der rechtsradikalen Anti-Islam-Partei Pro NRW vereitelt wurde. Sie bestreiten drittens, dass das Quartett jemals eine islamistische Terrorgruppe gewesen sei.

Am 10. Dezember 2012 wurde an Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs unter einer Bank eine verdächtige blaue Sporttasche entdeckt. Darin versteckt waren ein Rohr, gefüllt mit Sprengstoff, und ein Wecker. Die Apparatur war mit Drähten verbunden.

Der Bahnhof wird evakuiert, die Polizei schießt mit einem Wassergewehr auf den Sprengsatz. Doch die Spurensicherung findet anschließend keinen Zünder. Weil er durch die Entschärfung vernichtet wurde? Oder weil es keinen gab, da es sich nur um eine "letzte Warnung an die Ungläubigen" gehandelt habe, wie die Verteidiger sagen?

An der Apparatur findet sich DNA des Sohnes und der Frau von Marco G.. Doch das kommt erst heraus, als der aus Oldenburg in Niedersachsen stammende Konvertit im März 2013 in der Nähe des Hauses des Rechtsextremisten Markus Beisicht in Leverkusen festgenommen wird. Da steuert er ein Auto, das die Polizei bereits "verwanzt" hat.

Mit dem DNA-Abgleich wird den Ermittlern klar, dass ein Zusammenhang zur Bombe vom Bonner Hauptbahnhof besteht. In Marco G.s Kühlschrank findet sich später ganz ähnlicher Sprengstoff, in seinem Staubsauger eine Pistole, auf seinem Computer eine Al-Kaida-Anleitung zum Bombenbau. Die Bonner Bombe, so die Bundesanwaltschaft, sei allein sein Werk gewesen.

Die Eskalation, die vor fünf Jahren zu Salafisten-Krawallen und einer Radikalisierung der islamistischen Szene in NRW führte, ist seither längst in Vergessenheit geraten. Die rechtsradikale Splitterpartei Pro NRW hatte mit Mohammed-Karikaturen und Demonstrationen vor Moscheen die radikale Gegenseite provoziert. Die terroristische "Islamische Bewegung Usbekistan" schrieb schließlich drohend im Netz: "Tod der Pro NRW".

Marco G. (29), Enea B. (46), Koray D. (28) und Tayfun S. (27) sollen schließlich geplant haben, den Aufruf in die Tat umzusetzen: mit der Erschießung des Chefs der rechtsextremen Partei. Pistolen mit Schalldämpfer lagen laut Anklage schon bereit. Als Todesschütze soll Enea B. auserkoren gewesen sein, wegen seiner Ausbildung zum Elite-Polizisten in Albanien.

Salafisten fielen vor Gericht unangenehm auf

Der Staatsschutzsenat unter Vorsitz von Richter Frank Schreiber bekam es im September 2014 mit widerspenstigen Angeklagten zu tun. Mal fühlt sich einer beim Beten gestört und weigert sich, den Saal zu betreten, mal bleiben die Männer beim Eintritt des Senats demonstrativ sitzen, mal werden Drohungen und Beschimpfungen ausgestoßen.

Marco G. schien besonders bemüht, unangenehm aufzufallen, sammelte 43 Ordnungshaft-Beschlüsse wegen ungebührlichen Verhaltens und über 160 Tage Ordnungshaft. "Allahu akbar!" (Gott ist groß) rief er, als er den Saal beim Prozessauftakt betrat. In Niedersachsen war er nicht als besonders gottesfürchtig aufgefallen, dafür als Schulschwänzer, Drogenkonsument und Krimineller mit abgebrochener Berufsausbildung. Wegen Überfällen und Beihilfe zum Drogenhandel hat er bereits zwei Jahre Jugendstrafe im Gefängnis abgesessen.

Psychiater Prof. Norbert Leygraf attestierte ihm eine unterdurchschnittliche Intelligenz und geringe Leistungsbereitschaft. Sein Leben habe er nahezu durchweg von Sozialleistungen des Staates finanzieren lassen, dem er so feindselig gegenüber stehe.

Mehrere der Verteidiger standen den Angeklagten in nichts nach und lieferten ein Paradebeispiel dessen, was Anwälte Konfliktverteidigung nennen. Als dann Rasierklingen, ein Stichwerkzeug und Skizzen in der Zelle des Hauptangeklagten entdeckt werden, die auf Ausbruchpläne hindeuten, muss er fortan im Hubschrauber zwischen Gefängnis und Gericht pendeln - aus Sicherheitsgründen.

Er komme sich vor "wie ein Zuschauer im falschen Film", sagte der mitangeklagte Koray D. noch am vergangenen Montag. Die Vorwürfe seien "lächerlich". An diesem Montag endet die Vorstellung.

(dpa/lnw)
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