Krefeld Eine packende Debatte

Krefeld · Die SPD-Basis hat über die Aufnahme von Verhandlungen für eine Große Koalition diskutiert. Eine Sternstunde.

 Finger hoch zum Debattenbeitrag: Gut 80 SPD-Mitglider diskutierten über den Einstieg in Verhandlungen über eine weitere Große Koalition. Ganz rechts SPD-Parteichef Ralph-Harry Klaer, neben ihm Moderator Oliver Leist, der auf die Einhaltung der Drei-Minuten-Redezeit achtete. Das Format funktionierte glänzend.

Finger hoch zum Debattenbeitrag: Gut 80 SPD-Mitglider diskutierten über den Einstieg in Verhandlungen über eine weitere Große Koalition. Ganz rechts SPD-Parteichef Ralph-Harry Klaer, neben ihm Moderator Oliver Leist, der auf die Einhaltung der Drei-Minuten-Redezeit achtete. Das Format funktionierte glänzend.

Foto: vo

Die SPD steht in der Not der Entscheidung - und sie hat dazu eine außergewöhnliche Debatte geliefert: dicht, diszipliniert, klug, jede Seite schlüssig argumentierend. Das Format - jeder Redner hatte drei Minuten - verhinderte Girlanden und jene Art des Monologisierens, die einem in Talkshows den letzten Nerv raubt. Wenn Debatten nur so wären wie jetzt bei der SPD, hätte Politik viel mehr Zuhörer.

Zum Ergebnis: Parteichef Ralph-Harry Klaer ist der SPD-Delegierte für Krefeld, der beim Bundesparteitag am Sonntag in Bonn mit darüber abstimmt, ob es in Berlin zu Koalitionsverhandlungen für eine Große Koalition (Groko) kommt. Er hat es nicht direkt gesagt, aber deutet man seine Beiträge, so darf man sagen: Er wird mit Ja stimmen. Wichtig dabei, und das hat er mehrfach betont: Am Ende entscheiden die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag. Am Sonntag geht es also erst einmal darum, überhaupt weiterzuverhandeln. In der Krefelder Debatte zeichnete sich ab, dass es an der Basis eine Mehrheit für das Verhandlungsmandat gibt - sie war nicht überwältigend, aber deutlich. Inhaltlich standen sich Verantwortungs- und Gesinnungsethiker gegenüber. Die Gedanken der Groko-Gegner kreisten vor allem um die Frage, wie der Niedergang der SPD zu stoppen und wie der Idealismus der Partei zu retten ist. Neben der - von der SPD nicht durchgesetzten - Bürgerversicherung wurde die Flüchtlingspolitik mehrfach als Ausschlusskriterium genannt. Eine junge Frau war entsetzt über die im Sondierungspapier formulierte Obergrenze für Flüchtlinge. "Wir haben Jahre gesagt: Es darf keine Obergrenze geben, und jetzt knicken wir vor CDU/CSU ein." Sie war für Kompromisslosigkeit in diesem Punkt, selbst wenn die SPD auf 15 Prozent absacken sollte: "Dann werden uns die Leute glauben, dass wir noch Ideale haben." Auch die Juso-Vorsitzende Stella Rütten brandmarkte das Thema Obergrenze als Verrat an einer wichtigen humanistischen Position. "Wir sollen mal mutig sein und was ausprobieren", rief sie unter starkem Applaus - und meinte die Ablehnung von Verhandlungen. Ein Mann betonte, die Maßnahmen gegen Altersarmut reichten bei weitem nicht aus; ein andere sekundierte: "Wir haben kein soziales Profil mehr." Es fehlten die Bürgerversicherung und die SPD-Ablehnung der Obergrenze bei Flüchtlingen - "und wir schreien ja".

Auch Mangel an Vertrauen in CDU / CSU spielte eine große Rolle: "Das Papier ist nichts wert", sagte einer rundum; er nannte den Glyphosat-Alleingang des CSU-Landwirtschaftsministers und die Beschimpfung der SPD-Basis als "Zwergenaufstand" von CSU-Mann Dobrindt: "Ich verstehe nicht, wie man mit der CSU noch vertrauensvoll zusammenarbeiten kann." Ein anderer sagte zu Dobrindt empört: "So spricht man nicht von SPD-Mitgliedern"; es fehle an Respekt.

Die Befürworter wiesen immer wieder auf das, was in einer neuen Groko zu erreichen wäre. "Land geht vor Partei", sagt knapp Gerd Politt, der für die "Arbeitsgemeinschaft 60 plus" in der SPD sprach. Obwohl auch er das Thema Altersarmut in dem Sondierungspapier unterbelichtet sah, sprach er sich für Verhandlungen aus - wie auch der Vorstand der AG 60 plus.

Der Eindruck, dass die Alten für und die Jungen gegen eine Groko sind, ist so nicht ganz richtig. Zwar sind die Jusos fast geschlossen gegen eine Neuauflage - in Krefeld hat aber der junge Gewerkschaftssekretär Manuel Bloemers in einem geschliffenen Beitrag gegen zu viel Emotion in dieser Entscheidung plädiert: Man könne nicht einfach, sagte er mit Blick auf Stella Rütten, mal mutig sein und etwas ausprobieren - "das kann man bei einem Land mit 84 Millionen Menschen nicht machen." Er plädierte für Pragmatismus: "Der Kopf weiß, welchen Weg ich gehen will, und das Herz sagt, wo ich hinwill." Und er ermahnte seine Partei: "Wir müssen uns auch fragen, wann wir verlernt haben, uns geil zu finden." Einer anderer sah "mehr Positives als Negatives" im Sondierungspapier und sagte: "Es ist für Deutschland besser, wenn wir in eine Regierung mit vernünftigen Ergebnissen hineinkommen." Ein Weiterer formulierte kurz: "Mitregieren ist besser als draußen stehen. In der Opposition erreicht man nichts." Mit Blick auf den Niedergang der SPD-Wahlergebnisse gab es auch Selbstkritik. "Wir haben unsere Kanzler immer selbst abgeschafft", beklagte einer - der Gedanke, dass die SPD lieber mit sich hadert als Erfolge zu vertreten, wurde überhaupt häufig genannt. Ralph-Harry Klaer sagte auch: "Ich fand das Verhalten von Martin Schulz nach der Wahl ausgesprochen dämlich." Denjenigen, für die die Bürgerversicherung ein Ausschlusskriterium ist, sagte er mit Blick auf das 20-Prozent-Ergebnis der SPD im Bund: "Die Bürgerversicherung ist mit 80 Prozent abgewählt" - nicht durchsetzbar.

Dieser Pragmatismus und der Wille, mit dem Gewicht von 20 Prozent der Stimmen SPD-Politik durchzusetzen, überwog an diesem Abend. Verlierer gab es nicht. Diese Debatte war denkwürdig und der Beweis: Selbstvergewisserung einer Partei funktioniert auch im Medium des Streites.

(RP)
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