Gipfel in Chicago Nato startet Raketenschild

Chicago · Die Staats- und Regierungschefs der 28 Bündnismitglieder stellten am Sonntag während des Nato-Gipfels in Chicago die erste Stufe des neuen Raketenschilds in Dienst. Damit verfügt das Militärbündnis erstmals über eine eigene Raketenabwehr.

Zehn Jahre deutscher Afghanistan-Einsatz in Zahlen
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Foto: dapd, Musadeq Sadeq

Frankreich hat sich nach Ansicht seines neuen Präsidenten François Hollande mit seinem Kurswechsel beim Abzug aus Afghanistan in der Nato durchgesetzt. "Wir haben erreicht, dass die Position Frankreichs vollständig respektiert und umgesetzt wird", sagte Hollande am Sonntagabend (Ortszeit) in Chicago.

Besonders die Bundesregierung hatte auf dem Gipfel zuvor den Alleingang gerügt.
Frankreich will seine Kampftruppen noch bis Jahresende abziehen - und damit zwei Jahre früher als in der Nato geplant.

Hollande sagte, er habe den Partnern die Abzugspläne erläutert und zugleich in Aussicht gestellt, dass sich Frankreich weiterhin im Rahmen der ISAF-Schutztruppe in Afghanistan engagieren wolle. Zur deutschen Kritik merkte Hollande an, er habe beim Gipfel neben Bundeskanzlerin Angela Merkel gesessen und sie habe nichts geäußert, was auf eine Beunruhigung schließen ließe.

Als Konsequenz aus dem Libyen-Krieg will die Nato zudem ihre Bodenaufklärung deutlich verbessern. Sie gab in Chicago grüne Licht für die Beschaffung von fünf unbemannten Drohnen. Das Bodenaufklärungssystem AGS (Alliance Ground Surveillance) soll 2016 bereit sein und von 13 Staaten gemeinsam aufgebaut werden.
Deutschland konnte allerdings nur unter Vorbehalt zustimmen, weil der Haushaltsausschuss das teure Projekt zunächst auf Eis gelegt hat.

Zugleich verständigte sich das Bündnis auf eine Liste von mehr als 20 Projekten, die jeweils von einigen Ländern gemeinsam geschultert werden. Mit der sogenannten Smart Defense (Intelligente Verteidigung) sollen Kosten gespart werden, weil die Fähigkeiten geteilt werden.

Die Projekte reichen von der Entschärfung von Sprengfallen durch Roboter bis hin zur Luftbetankung. Auch soll es mehr Spezialisierung unter den 28 Nato-Partner geben. Unter deutscher Führung wird beispielsweise die Fähigkeiten zur Seefernaufklärung zusammengeführt. Zu Smart Defense gehört auch die unbefristete Sicherung des Luftraumes im Baltikum durch Nato-Partner, auch daran beteiligt sich die Bundesrepublik.

Hollande verteidigt "pragmatischen" Beschluss

Mit Blick auf die französischen Abzugspläne warnte Außenminister Guido Westerwelle vor einem "Abzugswettlauf" unter den Truppenstellern. Ein schnellerer Rückzug "aus innenpolitischen Gründen" könne die terroristische Bedrohung verstärken. "Wir sollten klug genug sein, gemeinsam bei dem zu bleiben, was abgestimmt und abgesprochen worden ist." Kanzlerin Merkel schlug in dieselbe Kerbe.
Deutschland stehe "sehr fest" zu dem verabredeten Prinzip "Gemeinsam hinein, gemeinsam wieder raus".

Auch US-Präsident Barack Obama bekannte sich zum gültigen Abzugsplan. "Wir stehen vereint in der Entschlossenheit, die Mission zu erfüllen." Bis 2014 lägen noch "harte Tage und viel Arbeit" vor den ISAF-Truppen. Auch danach könne sich das Land auf die Hilfe und Freundschaft der Staatengemeinschaft verlassen, sagte er in der Eröffnungsrede in seiner Heimatstadt. Angereist waren neben den Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten auch mehr als 30 Spitzenvertreter anderer Länder und internationaler Organisationen.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sieht durch den Alleingang Frankreichs den Afghanistan-Fahrplan nicht gefährdet. Schrittweise werde nun der Kampfeinsatz zur einer Unterstützung der einheimischen Kräfte. "Ich bin zuversichtlich, dass wir die Solidarität in der Koalition bewahren können. Es wird keinen Wettlauf zum Ausgang geben."

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, es sei noch unklar, wie viele deutsche Soldaten nach 2014 beratend und unterstützend in Afghanistan bleiben werden. Der Rückzug sei teuer und militärisch komplizierter als die Entsendung. Es gebe Fortschritte bei Abzugsrouten über Pakistan und neuerdings auch "denkbaren Zugängen über Usbekistan". Gemeint ist der Landweg per Eisenbahn.

15.000 Nato-Gegner ziehen durch die Innenstadt

Nach dem Start des Raketenschilds lud die Nato Russland, das seine nationalen Sicherheitsinteressen bedroht sieht, erneut zur Mitarbeit ein. Es liege "im gemeinsamen Interesse", bei der Raketenabwehr zu kooperieren. Moskau pocht seit Monaten auf eine Kooperation auf Augenhöhe. Die Nato und vor allem die USA lehnen eine stärkere Einbindung Moskaus aber bislang ab.

Begleitet wurde der Gipfel von überwiegend friedlichen Protesten, bei denen nach Angaben der Organisatoren 15.000 Kriegsgegner durch die Innenstadt zogen. Am Rande kam es, wie schon Samstagnacht, zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei der Sicherheitskräfte Schlagstöcke einsetzten und Dutzende Demonstranten festnahmen. Zudem wurden vier junge Männer verhaftet, weil sie Brandanschläge geplant haben sollen, darunter auf eine Wahlkampfzentrale Obamas.

(APD)
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