Nach dem Ausnahmezustand Türkei setzt Europäische Menschenrechtskonvention aus

Istanbul · Nach dem Ausnahmezustand nun der nächste Schritt in der Türkei: Die Europäische Menschenrechtskonvention soll zeitweise ausgesetzt werden. Die türkische Opposition warnt erneut vor einer Alleinherrschaft Erdogans.

Seit dem Putschversuch gehen Erdogan-Anhänger jeden Abend auf die Straße

Seit dem Putschversuch gehen Erdogan-Anhänger jeden Abend auf die Straße

Foto: dpa, tb ks

Den Schritt kündigte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus nach übereinstimmenden Angaben türkischer Medien an. Außerdem solle die Lage im Land in den kommenden 45 Tagen normalisiert werden, um den Ausnahmezustand dann zu beenden. Zunächst hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Ausnahmezustand für 90 Tage ausgerufen.

In Frankreich war nach den Terroranschlägen vom November 2015 ebenfalls der Ausnahmezustand ausgerufen und daraufhin die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise ausgesetzt worden. Auch die Regierung in Kiew hatte wegen der Gewalt im Kriegsgebiet Ostukraine einige Artikel der Menschenrechtskonvention außer Kraft gesetzt.

Erdogan hat sich nach der Verhängung des Ausnahmezustands Kritik aus Europa nachdrücklich verbeten. Auch europäische Länder hätten bereits bei weniger gravierenden Anlässen den Ausnahmezustand verhängt, sagte Erdogan mit Blick auf Frankreich. Wer zu diesen Ländern schweige, habe "definitiv nicht das Recht, die Türkei zu kritisieren". Unter dem landesweiten Ausnahmezustand kann Erdogan weitgehend per Dekret regieren.

Die türkische Führung reagiert damit auf den gescheiterten Putschversuch vom Wochenende, für den Erdogan das Netzwerk des islamischen Predigers Fethullah Gülen verantwortlich macht. Bereits vor Verhängung des Ausnahmezustands wurden Tausende mutmaßliche oder vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Militär, Polizei, Justiz, Schulen und Hochschulen festgenommen oder suspendiert.

In Istanbul lief das Leben trotz des Ausnahmezustands normal weiter. Geschäfte, Cafés und Restaurants waren geöffnet wie immer. Auf den Straßen und Plätzen der Stadt waren auch keine zusätzlichen Sicherheitskräfte im Einsatz. Noch am Nachmittag sollte das Parlament in Ankara zusammenkommen. Die Nationalversammlung kann die Dauer des Ausnahmezustandes verändern oder ihn aufheben, was aber angesichts der Mehrheit von Erdogans AKP als ausgeschlossen gilt.

Die türkische Opposition warnte vor einer Alleinherrschaft des Präsidenten. Die türkische Gesellschaft sei gezwungen gewesen, zwischen einem Putsch und einem undemokratischen Regime zu wählen, teilte die pro-kurdische Partei HDP mit. "Diese Wahlmöglichkeit lehnen wir ab." Der Putschversuch sei zu einer Gelegenheit geworden, alle Gegner der Regierung auszuschalten und die demokratischen Rechte und Freiheiten weiter einzuschränken, hieß es.

Auch die größte Oppositionspartei CHP verurteilte die Verhängung des Ausnahmezustands. "Das war Illoyalität, Undank und ein ziviler Putsch gegen das Parlament", sagte CHP-Fraktionschef Özgür Özel dem TV-Sender CNN Türk vor einer Sitzung des Parlaments. Beide Parteien hatten den Putschversuch - wie auch die ultrarechte MHP - kurz nach dessen Beginn Ende vergangener Woche verurteilt.

(crwo/dpa)
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