Armenier-Morde waren Genozid Türkei ruft ihren Botschafter aus Deutschland zurück

Berlin · Ungeachtet der deutlichen Kritik der türkischen Regierung hat der Bundestag die sogenannte Armenien-Resolution verabschiedet. In der Erklärung wird die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges als Völkermord bezeichnet.

 Armenische Flagge vor dem Bundestag: Breite Mehrheit für Resolution

Armenische Flagge vor dem Bundestag: Breite Mehrheit für Resolution

Foto: dpa, his pzi

Der Bundestag hat am Donnerstag die Resolution zu den Massakern des Osmanischen Reiches an den Armeniern im Jahr 1916 bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung verabschiedet — und sie damit als Völkermord bezeichnet. Zugleich wiesen die Parlamentarier in dem Antrag von Union, SPD und Grünen auf die Mitschuld des damaligen Deutschen Kaiserreichs hin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) fehlten wegen anderer Termine bei der Abstimmung.

Die Südkaukasusrepublik Armenien hat die Völkermord-Resolution als wertvollen Beitrag in der internationalen Debatte begrüßt. "Während Deutschland und Österreich als frühere Verbündete des Osmanischen Reiches ihren Teil der Verantwortung anerkennen, leugnen die türkischen Behörden den unwiderlegbaren Fakt des Völkermordes beharrlich", sagte Außenminister Edward Nalbandian am Donnerstag. "Die internationale Gemeinschaft wartet seit 101 Jahr darauf, dass sich die Türkei ihrer eigenen Geschichte stellt", sagte er in der Hauptstadt Eriwan.

Türkischer Botschafter soll aus Berlin abberufen werden

Die türkische Regierung hatte die Resolution bereits im Vorfeld kritisiert und reagierte verärgert. Aus Protest gegen die Armenier-Entschließung des Bundestages will die Türkei nun nach Angaben von Medienbrichten ihren Botschafter aus Berlin zurückziehen. Botschafter Hüsein Avni Karslioglu werde noch am Donnerstagnachmittag das Flugzeug nach Ankara besteigen, meldete die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" auf ihrer Internetseite. Auch die Online-Ausgaben der regierungsfreundlichen Zeitung "Sabah" berichtete, die Türkei rufe ihren Botschafter zurück.

Eine Bestätigung der türkischen Regierung für die Meldungen lag zunächst nicht vor. Die Türkei hatte nach der Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch andere Länder in den vergangenen Jahren ebenfalls mit der vorübergehenden Rückbeorderung ihrer Botschafter reagiert.

Bundestagspräsident wehrt sich gegen Einschüchterung

Vor der Aussprache verurteilte Bundestagspräsident Norbert Lammert im Beisein von Vertretern der armenischen und türkischen Botschaft, die an der Debatte teilnahmen, Drohungen gegen Parlamentarier mit türkischem Migrationshintergrund. "Wir werden sie nicht hinnehmen und uns gewiss nicht davon einschüchtern lassen."

Die Parlamentarier betonten, es gehe nicht darum, die heutige türkische Regierung auf die Anklagebank zu setzen. Diese trage an den Verbrechen keine Schuld, sie trage aber eine Verantwortung, so der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Rolf Mützenich. Die Resolution sei ein Appell zur Aufarbeitung dieser Vergangenheit des Osmanischen Reiches. Er verwies auf die deutsche Mitschuld.

Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen Armenier, Aramäer, Assyrer und Pontos-Griechen getötet.
Historiker sprechen vom ersten Völkermord der Geschichte. Die Türkei widerspricht dem und räumt lediglich Massaker, Vertreibungen und beiderseitige Gewalttaten ein. Bislang haben rund 20 Staaten den Massenmord als Genozid bezeichnet. Auch der Papst sprach vom "ersten Völkermord im 20. Jahrhundert".

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Franz Josef Jung (CDU), betonte, nur wer sich zur Vergangenheit bekenne, könne die Zukunft gestalten. Zur Aufarbeitung wolle auch Deutschland seinen Beitrag leisten.

Der Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, betonte, es gehe nicht um eine Stigmatisierung. Die Resolution solle Ermutigung für Wissenschaftler sein, "Fragen zu stellen". Zugleich erklärte er, er mache sich mit Blick auf die aktuelle Situation in der Türkei große Sorgen "um das Ostchristentum". Ausgerechnet an der "Geburtsstätte des Christentums" sei die Religion vom Aussterben bedroht.

Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi erinnerte an viele Länder, die die Massaker bereits zuvor als Völkermord verurteilt hätten. Dazu gehören unter anderem Frankreich, die Niederlande, Russland, der Vatikan, Chile und Venezuela.

Unterdessen hatte die türkische Regierung die Armenier-Resolution des Bundestags kurz nach der Verabschiedung als "null und nichtig" bezeichnet. Das deutsche Parlament habe die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg auf der Grundlage "verzerrter und gegenstandsloser Unterstellungen" als Völkermord eingestuft und damit einen "historischen Fehler" gemacht, erklärte Regierungssprecher Numan Kurtulmus am Donnerstag im Kurznachrichtendienst Twitter. Für die türkische Regierung sei die Entscheidung daher gegenstandslos.

Die Vorsitzende des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Jaklin Chatschadorian, sieht dagegen in der Resolution eine große Hilfe. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte sie, die Charakterisierung der türkischen Gewalttaten von 1915 als Völkermord nütze den Armeniern sehr.

(rent/gol/rls/dpa/Reuters/KNA/AFP/dpa/isw)
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