Analyse Jetzt regiert eine Frau in Mainz

Mainz · Kurt Beck, der dienstälteste Ministerpräsident, räumt seinen Platz für die bisherige Arbeitsministerin Malu Dreyer. Die 51-Jährige, die an MS leidet, macht CDU-Spitzenfrau Julia Klöckner das Opponieren schwer.

 Ab jetzt übernimmt Malu Dreyer das Amt von Kurt Beck.

Ab jetzt übernimmt Malu Dreyer das Amt von Kurt Beck.

Foto: dpa, Roland Holschneider

Morgen um 11 Uhr, nach der Vereidigung von Marie-Luise "Malu" Dreyer (SPD), hat Rheinland-Pfalz die erste Ministerpräsidentin seiner Geschichte; und Deutschland neben Hannelore Kraft (SPD, NRW), Christine Lieberknecht (CDU, Thüringen), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Saarland) bereits die vierte Länderchefin.

Am Mittwoch um 11, wenn die Juristin und bisherige Sozial- und Gesundheitsministerin Dreyer im Mainzer Landtag ihren Amtseid ablegt, geschieht noch etwas Historisches: Kurt Beck, der dienstälteste Ministerpräsident, tritt ab. Er, der am 5. Februar 64 Jahre alt wird und nicht mehr ganz gesund ist (Probleme mit der Bauchspeicheldrüse), hat das Land an Rhein, Mosel und Nahe 18 Jahre und drei Monate regiert, noch ein wenig länger, als Becks pfälzischer Landsmann Helmut Kohl Bundeskanzler gewesen ist.

Und noch etwas Außergewöhnliches kann morgen aus Rheinland-Pfalz vermeldet werden: In keinem anderen Bundesland besteht ein solcher Frauenüberschuss auf höchster politischer Ebene. Die neue Ministerpräsidentin versammelt fünf Ministerinnen (zwei von der SPD und drei von den Grünen) und vier Minister (alle SPD) an ihrem Kabinettstisch.

Beck und Dreyer im Vergleich

Brechen politisch also ganz neue Zeiten an in Mainz? Stilistisch mit Sicherheit. Denn der Abgang des alten sozialdemokratischen Recken Kurt Beck und die gleichzeitige Macht-, besser: Verantwortungs-Übernahme, durch die fast auf den Tag um zwölf Jahre jüngere Malu Dreyer markieren mehr als einen Geschlechter-Wechsel an der Landesspitze: Beck gelang ein früher, typisch sozialdemokratischer, auch eindrucksvoller Aufstieg. Maurersohn, Volksschule, Mittlere Reife auf dem zweiten Bildungsweg, Elektriker, Gewerkschafter, Bürgermeister im Heimatdorf Steinfeld (Südpfalz), Landtagsmandat, Fraktionsvorsitz, Ministerpräsident als Nachfolger Rudolf Scharpings.

Zum Vergleich: Malu Dreyer, Schuldirektoren-Tochter, Abiturientin, Studentin, zunächst der Theologie und Anglistik, dann aufgrund besserer beruflicher Perspektiven der Rechtswissenschaft. Vor ihrer Ministerinnen-Karriere arbeitete die mit dem Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) verheiratete Frau als Staatsanwältin sowie als Bürgermeisterin von Bad Kreuznach.

Sozialdemokrat Beck und Sozialdemokratin Dreyer — sie sind zwar in derselben Partei, aber, wie es heute heißt, anders sozialisiert. Auch im Temperament unterscheiden sich beide: Beck wirkt bullig, reagierte aber oft dünnhäutig, wenn nicht sogar unbeherrscht, egal ob Angriffe von der offensiven, jungen CDU-Oppositionsführerin Julia Klöckner kamen oder von vorlauten Passanten, die ihm nicht mit Respekt, sondern aus Becks Sicht ungebührlicher Rotzlöffeligkeit entgegentraten. Beck, so bestimmend wie manchmal aufbrausend (Parteifreundin Andrea Nahles bezeichnete ihn einst als "Buddha mit Zündschnur"), wurde in seinen letzten Amtsjahren nicht ohne Grund spöttisch "König Kurt" genannt. Malu Dreyer hingegen vermittelt das Bild einer zarten, zurückhaltenden, fröhlichen Person mit vielen Lachfältchen neben den Augen. Mitarbeiter und andere Weggefährten warnen jedoch davor, Dreyers harten Kern und die ernsthafte Entschiedenheit zu übersehen, die unter der weichen Schale der neuen Nummer eins im Land der Reben und vielerorts florierenden Wirtschaft versteckt sind.

Klöckner hat es jetzt schwer

Die von Helmut Kohl (er war von 1969 bis 1976 Regierungschef in Mainz) als Hoffnungsträgerin gepriesene CDU-Fraktions- und Parteichefin Julia Klöckner könnte als Erste zu spüren bekommen, was es heißt, Malu Dreyer als politische Hauptgegnerin zu haben. Mit Kurt Beck, der — unbarmherzig, wie es in der Politik zugeht — spätestens seit der blamablen Landespleite am Nürburgring als Auslaufmodell galt, hatte Klöckner vergleichsweise leichtes Spiel. Schon bei der letzten Landtagswahl 2011 war sie dem Oldie dicht auf den Fersen. Anschließend gewann Klöckner, die mittlerweile auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ist, immer mehr politisches Oberwasser im Landtag. Ihre Sympathiewerte überstiegen zuletzt die von Beck, der zuvor mit großem Fleiß und reichlich Geschick bei Weinfesten und Firmenbesichtigungen "nah bei de Leut'" war und in fast zwei Regierungs-Jahrzehnten in Mainz ein dickes Popularitätspolster angelegt hatte.

Jetzt liegt Malu Dreyer bei den Sympathiewerten vorne. Klöckner wurde in der zweiten Jahreshälfte 2012 böse überrascht, als der listige Beck sein Ass namens Malu Dreyer aus dem Ärmel zog. Ihr können Klöckner und die CDU die für den Steuerzahler zwischen Koblenz und Speyer womöglich sündhaft teure Pleite "am Ring" nicht anlasten; anders als Beck sowie Innenminister und SPD-Landeschef Roger Lewentz gilt Dreyer in dieser Landes-Affäre als unbelastet.

Zwei weiteren Schwierigkeiten wird sich Oppositionschefin Klöckner ab morgen verstärkt gegenübersehen: Sie ist zwar knapp zwölf Jahre jünger als Dreyer, kann diese aber im Kampf Frau gegen Frau beim besten Willen nicht zum alten Landeseisen sortieren, wie ihr das mit dem zuletzt altfränkisch-patzig wirkenden Beck gelungen war. Und — hier bewegt sich Klöckner, bewegen sich alle anderen Konkurrenten der neuen Regierungschefin auf psychologisch heiklem Terrain — Malu Dreyer ist sichtbar krank. Kann man gegen so jemanden ungeniert Attacken reiten, ohne für kaltschnäuzig-unsympathisch gehalten zu werden?

Eiserner Wille, trotz MS

Vor vielen Jahren brach bei der künftigen Ministerpräsidentin eine nicht in den gemeinhin üblichen Schüben, vielmehr schleichend verlaufende Form der Multiplen Sklerose (MS) aus. Wegstrecken zu Fuß fallen ihr schwer. Deshalb nimmt sie hilfreich stützende fremde Arme, immer öfter auch einen Rollstuhl in Anspruch. Sie, die mit ihrem Ehemann (er war Witwer und brachte drei Kinder in die Ehe) in einem Wohnprojekt bei Trier für Behinderte und Nichtbehinderte lebt, nennt ihren Rollstuhl kess "meinen Rolli". Das signalisiert, dass Dreyer ihrem Handicap mit lebensbejahendem Grundoptimismus begegnen will. Eiserner Wille und Arbeitsdisziplin zeichnen Becks Nachfolgerin aus. Sie versäumt keine Physiotherapie-Stunde frühmorgens, und Arbeitstage unterhalb der Zwölf-Stunden-Marke sind ihr fremd.

Der scheidende Kurt Beck, auch er ein Arbeitstier, versprach seiner Frau, sich ab übermorgen nicht in Haushalts-Angelegenheiten einzumischen, um die er sich in 25 Jahren nicht gekümmert habe. Beck wird der SPD-nahen Ebert-Stiftung vorstehen.

(RP/csr)
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