Kurz vor EU-Gipfel Merkel wehrt sich gegen Schulden-Vergemeinschaftung

Berlin · Kurz vor dem Gipfel des Europäischen Rates in Brüssel wehrt sich Kanzlerin Angela Merkel gegen Begehrlichkeiten der EU-Nachbarn. Eine Vergemeinschaftung von Schulden sei mit Deutschland nicht zu haben, machte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin deutlich. Unterdessen sind der Rettungsschirm ESM und der europäische Fiskalpakt unter Staatsrechtslehrern umstritten.

Der Euro-Rettungsschirm ESM
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Foto: dpa, Boris Roessler

Hintergrund für die Stellungnahme der Kanzlerin über Sprecher Seibert sind fortwährende Forderungen in der EU unter anderem nach einem Schuldenfonds, mit dem reiche Länder für die Schulden anderer einstehen. Seibert erklärte, Europa und die Währungsunion seien in einer schwierigen Phase. Das hohe Zinsniveau, das einige Länder derzeit zu ertragen hätten, sei ein Teil dieser Schwierigkeiten. Das sei der Bundesregierung bewusst und sie setze alles daran, zu "vernünftigen und erfolgreichen Wegen aus dieser Krise beizutragen", antwortete Seibert auf die Frage einer italienischen Journalistin - Italien leidet ähnlich wie Spanien unter einem hohen Zinsniveau.

Kanzlerin Merkel sei jedoch "besorgt, dass gerade in diesen Tagen vor dem Europäischen Rat immer wieder der Wunsch nach den vermeintlich einfachen Wegen geäußert wird, der ja meist gleichbedeutend ist mit dem Wunsch nach vergemeinschafteter Haftung", sagte Seibert. Die Bundesregierung widersetze sich dem aus europa- und nationalrechtlichen Gründen, aber auch, "weil es unserer tiefsten wirtschaftlichen und politischen Überzeugung entspricht, dass Haftung und Kontrolle immer Hand in Hand gehen müssen." Hier müsse es immer eine Balance geben, "und von dieser Balance sind wir in Europa derzeit sehr weit entfernt."

Euro-Rettungsschirm unter Staatsrechtlern umstritten

Der neue Rettungsschirm ESM und der europäische Fiskalpakt sind unter Staatsrechtslehrern umstritten. Die "rote Linie", die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum EU-Vertrag von Lissabon gezogen hatte, sei noch nicht erreicht, meint der Passauer Professor Christoph Herrmann. "Im Fiskalpakt gibt es zwar Sanktionen, aber keine Möglichkeit eines direkten Eingriffs in den Haushalt. Außerdem ist das Ziel eine Begrenzung der Schulden, die ohnehin bereits europarechtlich und verfassungsrechtlich vorgesehen ist."

Die Bundestagsfraktion der Linken sowie der Verein "Mehr Demokratie" gemeinsam mit der ehemaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) haben Klagen gegen ESM und Fiskalpakt angekündigt. "Ich würde die Auffassung der Kläger nicht teilen, dass der Bundestag sich quasi selbst entmachtet", meint Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Die Rolle des Parlaments werde auch im Zusammenhang mit dem neuen Rettungsschirm ESM und dem Fiskalpakt ausreichend beachtet.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Lissabon-Urteil Grenzen für die europäische Integration gesetzt. Dem Nationalstaat muss demnach "ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse" bleiben. Ansonsten sei eine Abstimmung über eine neue Verfassung nötig.

Nach Ansicht des Leipziger Staatsrechtslehrers Christoph Degenhart, der die Kläger von "Mehr Demokratie" vertritt, ist es so weit: "Die Gesamtwirkung des Pakets ist so, dass ein Referendum erforderlich wäre." Es gebe keine sichere Haftungsbegrenzung; der ESM könne weitgehend ohne Kontrollen agieren. "Das Fiskalpakt mit seinen weitgehenden Kontrollrechten für die europäischen Institutionen bringt einen Souveränitätsverlust."

(APD)
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