Analyse Schwarz-Rot braucht neue Ziele

Berlin · Nach einem harmonischen Start knirscht es nun im Gebälk der großen Koalition. Die SPD hat sich auf die Verteidigungsministerin eingeschossen. Die CSU will endlich auch mal ein paar Punkte machen.

 Der Zauber der ersten Monate ist verflogen: Sigmar Gabriel, Angela Merkel.

Der Zauber der ersten Monate ist verflogen: Sigmar Gabriel, Angela Merkel.

Foto: afp, OA-IW

Der Zauber der ersten Monate, in der die große Koalition gerne das Bild von großen Gesetzen und großer Harmonie verbreitete, ist verflogen. Mittlerweile schleichen sich in den Alltag der Koalitionäre kleinere Boshaftigkeiten (die SPD gegen die Verteidigungsministerin) und größere inhaltliche Gegensätze (Horst Seehofer gegen alle) ein. Inmitten dieser Stimmung, in der das Gemurre über die anderen nicht mehr zu überhören ist, tagt heute Abend ab 19 Uhr im Kanzleramt der Koalitionsausschuss.

Ein klares Ziel für ihr Treffen haben die Koalitionäre nicht vereinbart. Dem Vernehmen nach kommen die Streitfragen um die Außen- und Verteidigungspolitik auf den Tisch, die Energiepolitik, die digitale Agenda und die Vorbereitung des IT-Gipfels im Oktober, die Maut und die drohende Eintrübung der Konjunktur. Man wolle auch neue Ziele für das kommende Jahr abstecken, hieß es aus Koalitionskreisen.

Der Koalitionsausschuss besteht üblicherweise aus den Partei- und Fraktionschefs sowie den Generalsekretären. Bislang vermieden es Kanzlerin Angela Merkel sowie die Chefs von SPD und CSU, wirklich alle zusammenzutrommeln, die sich dazugehörig fühlen. Sie lösten Streitpunkte und Stimmungstiefs lieber unter sich. So sollte der Koalitionsausschuss beispielsweise schon am 11. September tagen. Dann gerieten aber der Verkehrs- und der Finanzminister in der Frage der Pkw-Maut aneinander. Die drei Großen, wie Merkel, Gabriel und Seehofer in der Koalition genannt werden, zogen es vor, den Konflikt allein zu bereinigen.

Das Treffen heute Abend im Kanzleramt wird für die weitere Atmosphäre in der Koalition entscheidend sein. Die Fragen sind: Wird es gelingen, sich auf neue gemeinsame Ziele zu einigen? Und: Lassen sich die Differenzen und öffentlichen Auseinandersetzungen der letzten Wochen einfangen?

Eine Aussprache über die Außen- und Verteidigungspolitik erscheint dringend notwendig. Zwischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist eine Konkurrenz darüber entstanden, wer überzeugender umsetzt, was beide Minister Anfang des Jahres mit ihren Reden und Interviews zur neuen Verantwortung Deutschlands in der Welt meinten.

Steinmeier war nun mehrfach überrascht, wie schnell die Verteidigungsministerin mögliche Einsätze der Bundeswehr öffentlich thematisiert. Zuletzt in der Frage, ob die Bundeswehr Aufklärungsdrohnen in die Ukraine schickt und ein Ausbildungscamp im Irak baut. Die Regierungsparteien werden sich eine einheitliche Linie geben müssen, wie weit man sich in den internationalen Konflikten engagieren möchte und in welcher Form man auf die vielen neuen Anfragen der Verbündeten reagieren sollte.

Auch die Fragen der Etikette im Umgang miteinander wird man wohl besprechen müssen. Ein öffentliches Dauer-Geläster der SPD über die Verteidigungsministerin kann sich die Union nicht gefallen lassen. Dass die Sozialdemokraten dabei schon Grenzen überschritten haben, zeigte nicht zuletzt Unionsfraktionschef Volker Kauder, der in neun gemeinsamen Regierungsjahren erstmals von der Leyen öffentlich den Rücken stärkte. Die SPD wiederum ist verärgert über die immer neuen Aufschläge aus dem Verteidigungsministerium zu immer mehr Einsätzen der Bundeswehr. Aus ihrer Sicht muss sich von der Leyen mehr und besser in der Koalition abstimmen.

Die im Vergleich zur außenpolitischen Lage als Klein-Klein erscheinenden Konflikte in der Innenpolitik bergen auch Sprengstoff. Während sich CDU und SPD redlich bemühten, die Bedeutung des Koalitionsausschusses und die mögliche Konfliktlage verbal herunterzufahren, heizte Seehofer aus München die Debatte munter an. Gleich zweimal tat der öffentlich kund, dass über die für die Energiewende benötigten Nord-Süd-Stromtrassen aus seiner Sicht noch nicht entschieden sei. Er kündigte dazu einen Dialog mit seinen bayerischen Bürgern an. Der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende darf diesen Debatten-Beitrag als Watschn werten.

Dem CSU-Chef passen zudem die Pläne von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die Hartz-IV-Sanktionen zu lockern, nicht in den Kram. Der arbeitenden und steuerzahlenden Bevölkerung lassen sich derartige Erleichterungen schlecht vermitteln. Bei der Pkw-Maut wiederum steht die CSU unter Zugzwang. Bislang zeichnet sich keine Lösung ab, wie das Thema innen- und europapolitisch befriedet werden kann. Bei diesem Thema wird die CSU mindestens auf Treue zum Koalitionsvertrag beharren, möglicherweise auch mehr Unterstützung einfordern.

Bislang sind Union und SPD ganz gut damit gefahren, den Koalitionsvertrag buchstabengetreu abzuarbeiten. Nun warten aber neue Herausforderungen, die beim Verfassen des Vertrags noch nicht absehbar waren. Und das gilt nicht nur für die Außenpolitik. Im kommenden Jahr droht eine Eintrübung der Konjunktur. Die Partei- und Fraktionsspitzen wollen heute auch beraten, wie man auf einen drohenden Anstieg der Arbeitslosigkeit reagieren muss.

Beim Thema digitale Agenda setzt sich auch mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag nicht ausreichen, um das Land auf die fortschreitende digitale Revolution vorzubereiten. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte bereits öffentlich angedeutet, dass man bei diesem Thema weit über den Vertrag hinausgehen müsse.

(qua)
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