Analyse Die neue deutsche Außenpolitik

Berlin · In der jungen Bundesrepublik wurde die Bundeswehr als Verteidigungsarmee geschaffen. Seit der Wiedervereinigung übernimmt Deutschland zunehmend mehr Verantwortung in der Welt. Die Entscheidung für Waffenlieferung in den Irak stellen eine neue Dimension dar.

Bundespräsident Joachim Gauck musste sich mehrfach die Frage gefallen lassen, wann er endlich eine bahnbrechende Rede halte. Dabei geht es um die entscheidende Rede, die aus einem Bundespräsidenten einen historisch bedeutsamen Bundespräsidenten macht. Als Vorbilder gelten Richard von Weizsäcker mit seiner Ansprache zum 8. Mai 1945, dem Tag des Kriegsendes, oder Roman Herzog mit seiner Ruck-Rede.

Ganz offensichtlich hat Gauck diese entscheidende Rede im Januar bei der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten, als er eine neue Verantwortung Deutschlands in der Welt forderte. Damals mahnte er Politik und Volk, mehr zu tun für jene Sicherheit in Europa und der Welt, die über Jahrzehnte von anderen gewährt worden sei. "Auch wer nicht handelt, übernimmt Verantwortung", sagte Gauck. Als hätte sich die Regierung diese Worte zu Herzen genommen, traf sie gegen den Grundsatz, wonach sie keine Waffen in Krisengebiete liefert, die Entscheidung, die Kurden im Irak mit Waffen auszurüsten.

Der Bundespräsident hatte den historischen Zeitpunkt erkannt, an dem Deutschland eine außenpolitische Wende einleiten sollte. Die dramatische Ereignislage in der Welt beschleunigt nun diesen Prozess in der praktischen Politik.

Bislang war die deutsche Außenpolitik von einer Zurückhaltung und Risikovermeidung geprägt, die ihre natürliche Erklärung in der deutschen Geschichte findet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Schrecken der Nazi-Herrschaft war Deutschland kein souveräner Staat mehr. Nur Schritt für Schritt gestatteten die Besatzungsmächte Deutschland zur Eigenständigkeit zurückzukehren. Die Einbettung in das westliche Verteidigungsbündnis mit dem Nato-Beitritt 1955 war die Voraussetzung dafür, dass 1956 die Bundeswehr entstehen konnte. Viele Jahre war sie eine reine Verteidigungsarmee. Mehr hätte die Weltgemeinschaft nicht zugelassen.

Ihre Wiederbewaffnung verbanden die Deutschen mit einer stärkeren internationalen Einbindung. So schlossen sich 1957 die ersten Staaten im Herzen Europas zur EWG, dem Vorläufer der heutigen EU, zusammen. Das Zusammenspiel von Bündnis- und Wehrpolitik zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die deutsche Außenpolitik. Über viele Jahrzehnte gab es zwei Standbeine: die deutsch-französische Freundschaft verbunden mit der europäischen Einbindung und die transatlantische Beziehung.

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre kam es zur ersten kleinen Emanzipation von den Vereinigten Staaten, als Deutschland seine eigenständige Ostpolitik begann. Die ansonsten starke Anbindung an die Amerikaner, in deren Rahmen Kanzler Helmut Schmidt den Nato-Doppelbeschluss und in seiner Konsequenz das Aufstellen der Pershing-Raketen befürwortete, führte in Deutschland zu heftigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Ein wachsender Teil der Gesellschaft interpretierte den Vorsatz, wonach nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen dürfe, so, dass Deutschland eine grundsätzlich pazifistische Haltung einnehmen solle. Aus dieser Bewegung sind Anfang der 80er Jahre die Grünen entstanden.

Welche Rolle Deutschland in der Welt spielen solle und ob von einem neuen, großen Deutschland noch einmal eine Gefahr ausgehen könne, diskutierte die Welt erneut vor 25 Jahren, als Bundeskanzler Helmut Kohl nach dem Berliner Mauerfall die Wiedervereinigung vorantrieb. Die damalige britische Premierministerin Thatcher warnte vor einem Großdeutschland. Sie war aber die einzige im Club der früheren Besatzungsmächte, die eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten verhindern wollte.

Das wiedervereinigte Deutschland trat in der Außenpolitik selbstbewusster auf. "Schritt um Schritt wird die Bundesrepublik von einem Nutznießer zu einem Garanten internationaler Sicherheit und Ordnung", beschrieb Gauck in seiner Münchner Rede diese Phase. 1993 in Somalia musste die Bundeswehr in ihren ersten Out-of-Area-Einsatz ziehen. Und dann sind es Ende der 90er Jahre ausgerechnet die pazifistischen Grünen, die der deutschen Außenpolitik eine neue Dimension eröffnen. Mit der Zustimmung der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer ziehen deutsche Soldaten im Kosovo erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs in einen Kampfeinsatz. Er ist noch nicht einmal von einem UN-Mandat gedeckt.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erkannte die deutsche Regierung, dass der globale Terror einer neuen Verteidigungsstrategie bedarf. Im Kampf gegen Osama bin Laden stand sie treu an der Seite der USA. Der damalige Verteidigungsminister Peter Struck prägte den Satz, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt.

Die grundsätzliche Haltung, dass sich die Deutschen lieber heraushalten und militärisch nur in fest verankerten Bündnissen handeln, blieb dennoch erhalten. Auch die Regierungen von Kanzlerin Angela Merkel sind bislang dieser Prämisse gefolgt. Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte der Regierung in der vergangenen Woche spöttisch entgegen gehalten, sie müsse sich von ihrer Schutzwesten-Doktrin verabschieden. Im Außenministerium ärgerte man sich über diesen indirekten Vorwurf der Feigheit. Denn die Regierung hatte bereits selbst erkannt, dass eine Grundsatzentscheidung ansteht und beriet über Waffenlieferungen an den Irak.

(qua)
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