Düsseldorf Im Endlos-Wehrdienst über den Wolken

Düsseldorf · Der rote Fokker-Dreidecker aus dem Ersten Weltkrieg fängt 1970 bei einem Nato-Manöver über der Nordsee knatternd einen riesigen amerikanischen B-52-Atombomber ab - ein absurdes Szenario. Und doch überspannt die Geschichte des Bundeswehr-Transportflugzeugs "Transall" technisch eine ähnliche Zeitspanne. Denn die "Transall" fliegt seit mittlerweile mehr als einem halben Jahrhundert.

Die C-160, so die offizielle Bezeichnung (C steht dabei für Cargo, also für Fracht, die Zahl für die Quadratmeter der Tragflächen), macht zurzeit immer wieder durch spektakuläre Pannen von sich reden und wird als trauriges Beispiel für die Rüstungsmisere der Bundeswehr angeführt. Das aber hat die zweimotorige dickbäuchige Maschine, von den Soldaten liebevoll "Trall" genannt, nicht verdient. Der Nachfolger A 400 M lässt seit Jahren auf sich warten.

Ein Rüstungsprojekt wie das der C-160 würde sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) heute wünschen: Es gab keine Verzögerungen, der Kaufpreis blieb im Rahmen, und das Flugzeug erwies sich als robust und sicher. Zudem war das Projekt seinerzeit hochmodern, kann die C-160 doch über die große Heckrampe problemlos Fahrzeuge und Container einladen und hat ein Fahrwerk, das selbst holprige Gras- und Wüstenpisten verkraftet. Zum Landen braucht die Propellermaschine nur 550 Meter, zum Starten reichen 730.

Erste Projektstudien für den Militärtransporter gab es 1957, als das Düsen-Zeitalter der Zivilluftfahrt vorsichtig begann und Kurztrips für jedermann in die USA, nach Dubai oder Ägypten unvorstellbar waren. Auch an Satelliten-Navigation, Landkarten auf dem iPad oder den Digitalfunk dachte noch niemand. Bis etwa 1998 flog deshalb in der "Transall" ein Bordnavigationsfunker mit, der die Position unter anderem über einen Sextanten nach den Sternen bestimmen musste. Beim Erstflug 1963 war die "Trall" ein richtungweisendes Projekt: Entwickelt und gebaut wurde das Flugzeug vom deutsch-französischen Konsortium "Transporter Allianz" (daher "Transall") - eine binationale Luftfahrt-Zusammenarbeit, die später mit Airbus und EADS einen Höhepunkt erreichen sollte. Die C-160 fliegt auch heute nicht nur bei der deutschen Luftwaffe, sondern ebenfalls in Frankreich und in der Türkei.

Die Maschinen der Bundeswehr wurden weltweit schnell zum Symbol deutscher Hilfe bei Katastrophen und erhielten den inoffiziellen Titel "Engel der Lüfte". Denn Tausende Menschen verdanken dem unverwüstlichen Flugzeug ihr Leben. Ob nach Erdbeben und Überschwemmungen, bei Hungersnöten oder bei der Belagerung Sarajevos und Srebrenicas im jugoslawischen Bürgerkrieg ab 1992: Unermüdlich schleppten die "Trall" Lebensmittel, Trinkwasser, Medikamente, Zelte und Decken heran - stets unter dem sonoren Brummen ihrer Triebwerke und oftmals unter Lebensgefahr.

Im Dezember 1984 während einer Hungerkatastrophe in Ost-Afrika verursachte ein Steinschlag auf einer unbefestigten Piste einen Haarriss an einem Propellerblatt der dort eingesetzten C-160, die von der Besatzung "Else" genannt worden war. Der schwer beladenen, dramatisch an Höhe verlierenden "Else" gelang in letzter Minute über eine Bergkette hinweg im äthiopischen Addis Abeba eine Notlandung. Im Februar 1993 wurde der Ladungsmeister einer C-160 beim Anflug auf Sarajevo durch Flak-Splitter schwer verletzt; mehrere Maschinen waren zuvor durch Beschuss beschädigt worden.

In Afrika wurde ein Verfahren entwickelt, Hilfsgüter ans Ziel zu bringen, wenn eine Landung unmöglich war: Aus nur fünf Metern Höhe werden die Säcke abgeworfen, große Frachtpaletten zieht ein Fallschirm aus der Maschine heraus und ermöglicht ihre sichere Landung.

Als "Mädchen für alles" dient die "Transall" in der Luftwaffe: In Afghanistan war sie fliegende Krankenstation und transportierte jüngst die Stimmzettel für die Präsidentenwahl. 1997 half sie bei der Evakuierung von 194 Botschaftsangehörigen aus bürgerkriegsähnlichen Wirren in Albanien; im Februar 2011 rettete sie 132 Mitarbeiter einer deutschen Ölfirma aus den Aufständen in Libyen.

Mit dem "Rüstsatz Löschwasserbehälter" kann das Flugzeug Waldbrände bekämpfen. Und Tausende von Fallschirmjägern machten in Altenstadt in Oberbayern ihre ersten Sprünge aus einer "Trall". Im Kalten Krieg existierte ab 1975 sogar eine regelmäßig beflogene Militärfrachtroute von Hohn bei Rendsburg über Köln und Stuttgart nach Landsberg am Lech.

Trotz weit mehr als einer Million Flugkilometer gab es nur wenige Unfälle. Besonders tragisch war ein Absturz am 9. Februar 1975: Beim Landeanflug auf die Mittelmeer-Insel Kreta prallte eine "Transall" bei dichtem Schneetreiben wegen eines Navigationsfehlers gegen einen Berg - alle 42 Insassen starben.

Über die Jahre hinweg ist die Instandhaltung der "Transall"-Flotte schwierig geworden: Die Ersatzteilbeschaffung soll manchmal Detektivarbeit ähneln, wobei offenbar einzelne Maschinen ausgeschlachtet werden müssen. Von den 90 bei der Luftwaffe geflogenen "Tralls" gibt es heute noch 56, von denen aber nur 24 einsatzfähig sein sollen. Der heute beklagte Engpass ist teils "hausgemacht": Im Oktober 2011 hatte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) angeordnet, 20 der damals noch vorhandenen 80 Maschinen außer Dienst zu stellen - Grund war der hohe Spardruck.

Vom Ruhestand wird die C-160 trotz aller Alterswehwehchen vergeblich träumen: Selbst wenn die ersten A 400 M Ende dieses Jahres von der Luftwaffe übernommen werden, wie es die Industrie versprochen hat, dürften nach Berechnungen der Bundeswehr die letzten "Tralls" erst 2019 abgelöst werden.

(RP)
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