Fußball-WM 1978 in Argentinien Menotti formt Argentiniens Weltmeister

Buenos Aires (RPO). Mit 25 Jahren, während seiner aktiven Zeit als Fußballer, hat er im Rufe eines Playboys gestanden, der es liebte, nachts im offenen Sportwagen durch Buenos Aires zu brausen. Seit dem 25. Juni 1978 aber gilt Cesar Luis Menotti in Argentinien als ein Volksheld.

 Sepp Maier stand 1978 im deutschen Tor.

Sepp Maier stand 1978 im deutschen Tor.

Foto: ddp, ddp

"El Flaco" (der Dürre), wie der Volksmund den Nationaltrainer und Kettenraucher damals rief, trieb die Gauchos bei der WM im eigenen Land unter seiner Lebensmaxime "Adelante!"" (Vorwärts) zum ersten Titelgewinn. Durch einen 3:1-Endspielsieg nach Verlängerung über die Niederlande in Buenos Aires wurde erneut der Gastgeber Weltmeister.

"Nichts kann dieses Glück ersetzen, das ich mit meinen Spielern und unserem Volk jetzt teilen darf", kommentierte der Coach den Triumph. Wie ein Magier hatte er Massen, Medien und Mannschaft auf seine Offensivstrategie eingeschworen. "Wir haben bewiesen, dass mit Talent und Mut zum Angriff immer noch der WM-Titel erstürmt werden kann. Wir waren das Team mit dem stärksten Willen, den WM-Titel zu gewinnen", urteilte Menotti weiter.

In zweieinhalbjähriger Arbeit hatte der Mann aus Rosario eine Mannschaft geformt, die bei WM-Beginn kaum klangvolle Namen aufwies. Nach dem Championat indes kannte sie die ganze Welt: Ubaldo Fillol, den vielleicht besten Torhüter des Turniers, Mario Kempes, mit sechs Treffern der Torschützenkönig, Kapitän Daniel Passarella, den Libero mit der königlichen Ausstrahlung und späteren Nationaltrainer, den schmächtigen Mittelfeld-Strategen Osvaldo Ardiles oder die wuchtige Sturmspitze Leopoldo Luque.

Nach Argentiniens WM-Triumph flippte das ganze Land aus. Gleichzeitig wurde ein Gesetz gewahrt, das nur 1958 bei Brasiliens Erfolg in Schweden keine Gültigkeit hatte: In Europa gewinnen die Europäer, in Amerika die Südamerikaner.

Aber auch der argentinische WM-Sieg konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Weltfußball beim Turnier am Rio de la Plata insgesamt eine Stagnation erlebte. Besonders schmerzlich vermisst wurden Spielerpersönlichkeiten oder neue Stars.

Aus der Masse der insgesamt 276 eingesetzten Akteure aus 16 Nationen hob sich niemand restlos überzeugend hervor. Am stärksten trat noch Argentiniens Torjäger Kempes ins Rampenlicht.

Seine beiden Tore im Finale vollendeten auch den Südamerika-Sieg im ewig jungen Duell mit Europa. Rein rechnerisch setzten sich damals Argentinien, Brasilien und Peru mit 19:7 Punkten in den direkten Begegnungen gegen die Vertreter des alten Kontinents durch.

Die Südamerikaner gewannen Gold durch Argentinien und Bronze durch Brasilien sowie die Erkenntnis, dass die von ihnen durchweg praktizierte Raumdeckung als System wohl doch besser sei als der sture Kampf Mann gegen Mann.

Besonders die deutsche Mannschaft und mit ihr die Bundesliga bekamen einen Schuss vor den Bug. Denn das Team von Bundestrainer Helmut Schön scheiterte in der zweiten Finalrunde ausgerechnet am Erzrivalen Österreich mit 2:3. "Das war für mich die größte Enttäuschung meine Laufbahn. 47 Jahre lang hatten wir gegen Österreich nicht mehr verloren, und dann kriegen wir von denen das Fell über die Ohren gezogen", sagte der damalige Torwart Sepp Maier und erinnerte sich ungern an die schwarze Stunde, für die Österreich seine beteiligten Spieler noch heute als "Helden von Cordoba" feiert.

Der Schalker Vorstopper Rolf Rüssmann war damals der Sündenbock der Deutschen. Denn sein Gegenspieler Hans Krankl schoß dreimal aufs deutsche Tor - und traf zweimal. Es war das 20. und gleichzeitig letzte Länderspiel des blonden Hünen.

Für Weltmeister Berti Vogts (96 Länderspiele), dem ein Eigentor unterlief, war es ebenfalls die Abschiedsvorstellung. Und auch Bundestrainer Helmut Schön, der erfolgreichste Nationaltrainer der Welt, ging nach Triumphen wie der Weltmeisterschaft 1974, der Europameisterschaft 1972, dem zweiten WM-Platz 1966 und dem dritten Rang bei der WM 1970 in Pension. "Kaiser" Franz Beckenbauer würdigte seinen Entdecker und Förderer: "Diesen Abschied hat er nicht verdient, er hat unendlich viel für den deutschen Fußball geleistet."

(SID/chk)
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