Interview mit dem Trainer des VfL Bochum Neururer: "RB Leipzig — das ist Wettbewerbsverzerrung"

Bochum · Der VfL Bochum ist finanziell schwer angeschlagen, auf der Jahreshauptversammlung präsentierte der Klub beängstigende Zahlen. Hitzige Diskussionen über die geplante und nun zunächst zurückgestellte Schließung der Frauen-Abteilung ließen auch die Profis nicht kalt.

"Die pünktliche Zahlung der Gehälter ist gewährleistet", sagt Trainer Peter Neururer im SID-Interview. Dennoch nimmt er unter erschwerten Bedingungen die Vorbereitung auf das Auswärtsspiel bei RB Leipzig in Angriff - einem Verein, den er "Fußball-Konstrukt" nennt.

"Herr Neururer, Sie blicken auf eine lange Trainerkarriere zurück und sind bestimmt schon mal von Fans bei Auswärtsspielen beschimpft worden. Denken Sie, das wird am Freitag in Leipzig wieder der Fall sein?"

Peter Neururer: "Ich könnte damit umgehen, aber ich sehe keinen Grund dafür."

"Na ja. Sie haben gesagt, dass RB-Sportdirektor Ralf Rangnick und Klubeigner Dietrich Mateschitz dort eine tollen Job machen. Aber das, was sie machen, finden Sie - so wörtlich - zum Kotzen."

Neururer: "Ich sehe nicht, weshalb mich jemand beschimpfen sollte, weil ich sage, dass alle Verantwortlichen in Leipzig einen hervorragenden Job machen. Ich bleibe aber dabei, dass ich einiges, was da in Leipzig möglich ist, zum Kotzen finde. Diese Meinung habe ich ja auch nicht exklusiv. Dass zum Beispiel ein Red-Bull-Klub Spieler über einen anderen Red-Bull-Klub verpflichten kann und der Spieler dann dort spielt, wo er eigentlich nicht spielen dürfte - das halte ich für absolut schädlich für den Fußball. Das ist Wettbewerbsverzerrung größten Maßes."

"Aber das ist doch dann eher Schuld der DFL beziehungsweise der betroffenen Ligaverbände..."

Neururer: "Ja, natürlich, bestimmt nicht die von irgendeinem Leipziger Protagonisten, sondern von denen, die solche Statuten zulassen. Leipzig kann froh sein, einen Rangnick und einen Mateschitz zu haben und darf sich darüber freuen, wieder erstklassigen Fußball sehen zu können. Nur die Art und Weise passt mir überhaupt nicht."

"Ihr Spieler Jan Simunek hat gesagt, für ihn sei das Spiel in Leipzig nichts Besonderes, als Ex-Profi des VfL Wolfsburg, bei dem VW alles im Griff hat, sehe es ja ähnlich aus. Stimmt das? Ist Leipzig wie Wolfsburg wie Hoffenheim wie Ingolstadt?"

Neururer: "Das kann ich nicht beurteilen, ich bin Angestellter des VfL Bochum."

"Aber auch ein exzellenter Kenner der Szene ..."

Neururer: "Ich habe das Statuten-Problem angesprochen. Etwas anderes ist die Tradition. RB Leipzig jedenfalls ist ein Fußball-Konstrukt, das nicht aus den Traditionsklubs Sachsen, Lokomotive oder VfB entstanden ist."

"Also ist RB Leipzig auch ein fußball-kulturelles Problem?"

Neururer: "Über Kultur lässt sich streiten. Ich halte mich da raus. Dass ich einen Verein, der die Möglichkeit hat, Tradition nachzuweisen, immer vorziehe, ist eine andere Geschichte. Man kann RB Leipzig nicht dafür bestrafen, dass sie keine Tradition haben."

"Der VfL ist ohne Frage ein Traditionsverein, und ihm geht es schlecht. Am Montag in der Jahreshauptversammlung wurden gelinde gesagt ernüchternde Zahlen präsentiert: mehr als 600.000 Euro Verluste im Geschäftsjahr, über 7,5 Millionen Euro an Verbindlichkeiten. Ist es angesichts solcher Zahlen gerade besonders bitter, nach Leipzig zu fahren, wo Milch, Honig und Limonade fließen?"

Neururer: "Für uns sollte das noch mehr Motivation sein. Wir bekommen hier pünktlich unsere Gehälter, alles ist gut und professionell geregelt. Für uns ist es ein Anreiz, als kleiner finanzieller Underdog bei den ach so reichen Leipzigern die Möglichkeit zu haben, drei Punkte einzufahren."

"Der VfL hat selbst gerade für Diskussionen gesorgt, und zwar nicht zu knapp. Die Frauen-Fußballabteilung sollte geschlossen werden. Nach einem öffentlichen Aufschrei ist die Entscheidung ausgesetzt. Die Frauenabteilung war beim VfL aus der Taufe gehoben worden, um bessere Chancen zu haben, Spiele bei der WM 2011 ausrichten zu können. Das hat geklappt, nun will man sie am liebsten wieder loswerden. Ist das die feine englische Art?"

Neururer: "Uns würde es wahnsinnig leid tun, wenn die Frauen bei uns nicht mehr Fußball spielen könnten. Aber wenn wir finanziell nicht im Stande sind, Frauen- und Mädchenmannschaften zu finanzieren, dann kann man sie leider nicht mehr berücksichtigen. Wenn ich ein Auto habe, das ich nicht finanzieren kann, dann kann ich nicht zur Tankstelle gehen und sagen, gebt mir das Benzin umsonst."

"Von Ihnen stammt das Zitat, der VfL könne sich den 'Luxus' Frauen-Fußball nicht mehr erlauben. Luxus ist ein vernachlässigbares Gut, dann müsste dieser Logik folgend doch auch der Frauen-Fußball generell vernachlässigbar sein."

Neururer: "Wenn man diese Definition so vornehmen will und gleichzeitig berücksichtigt, ob finanzielle Mittel vorhanden sind oder auch nicht, dann ja. Der VfL spart überall. Auf der Pressestelle wurden in Summe zwei Stellen gestrichen, an vielen anderen Stellen auch - darüber hat sich keiner aufgeregt. Jetzt wurde erwogen, aus finanziellen Gründen die Frauen- und Mädchenabteilung zu schließen, und alle regen sich auf. Ich habe dafür Verständnis, aber: Es bleibt eine reine Geldfrage. Das meine ich mit der Bezeichnung "Luxus"."

"Die Profiabteilung soll angeblich nicht sparen."

Neururer: "Falsch, zuerst sind die Profis betroffen. Uns wird jedes Jahr Geld abgezogen, was auch logisch ist, wenn die Profiabteilung nicht mehr so viel einspielt. Wir haben darüber hinaus Spieler verkaufen müssen, etwa Leon Goretzka oder jetzt ein herausragendes Talent wie Lukas Klostermann. Das haben wir nicht aus Spaß getan."

"Muss man sich Sorgen um den VfL machen?"

Neururer: "Ich habe mir bei meiner Rückkehr Sorgen gemacht, denn damals wären wir fast abgestiegen. Der Klassenerhalt war für den VfL überlebensnotwendig. Das haben wir geschafft. Derzeit sind wir sportlich auf dem besten Wege, wieder Pluspunkte einzufahren, die - neben Einsparmaßnahmen - notwendig sind, um den VfL Bochum auf Dauer wieder dahin zu bringen, wo er hingehört: in die erste Liga."

"Können Sie und die Mannschaft mit dem Druck umgehen, möglicherweise für den Erhalt oder den Untergang eines Traditionsklubs verantwortlich zu sein?"

Neururer: "Ich auf jeden Fall. Wie die Mannschaft damit umgeht, das werden wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen. Sie sind Profis und stehen in der Pflicht, ihr Leistungsoptimum abzurufen. Voraussetzung dafür ist die pünktliche Zahlung der Gehälter. Das ist in Bochum gewährleistet."

(sid)
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