Vierschanzentournee Debütant Diethart macht die Sensation perfekt

Bischofshofen · Erst vier Weltcupspringen hatte der 21-Jährige vor dem Auftakt der Vierschanzentournee absolviert. Beim abschließenenden Wettbewerb in Bischofshofen verteidigt er Platz eins in der Gesamtwertung und setzt damit die Erfolgsgeschichte der Österreicher fort.

Ungläubig schaut Thomas Diethart in die weite Runde am Fuß der Paul-Außerleitner-Schanze. Tausende wedeln ihm zu Ehren wie verrückt mit rot-weiß-roten Fähnchen, tröten und schreien. Der 21-Jährige schwenkt hingegen etwas zurückhaltend die österreichische Fahne, die er in die Hand gedrückt bekommen hat. Auf der rechten Schulter liegen seine Sprungski. Minutenlang geht er langsam über die Schneezunge im Auslauf und genießt die Momente. Ganz allein.

Simon Ammann kommt als erster Gratulant. Er zieht den Helm vor Diethart. So wie Bundestrainer Reinhard Heß vor zwölf Jahren die Kappe gezogen und sich verbeugt hatte, um Tourneesieger Sven Hannawald zu würdigen. "Du hast mir ein Schnippchen geschlagen", sagt der viermalige Olympiasieger, der hinter Thomas Morgenstern Dritter im Klassement wird, dem jungen Star. Der Tourneesieg fehlt dem Schweizer als einziger großer Erfolg in seiner Sammlung.

Dietharts Triumph ist eine der großen Storys in der 62-jährigen Tournee-Geschichtee. Kurz vor Weihnachten erst hatte Cheftrainer Alexander Pointner ihn in die erste Mannschaft geholt. Vier Weltcupspringen hatte er bis dahin erst bestritten. Und jetzt hat er sie alle beflügelt: die hochdekorierten Landsleute, den in der Saisonwertung führenden Kamil Stoch, den soliden Norweger Anders Bardal, alle.

Diethart krönt die turbulentesten zehn Tage seiner jungen Sportlerkarriere mit dem Tagessieg in Bischofshofen. Vor dem Slowenen Peter Prevc und Morgenstern. Doch der ist nur eine Randnotiz neben dem Gesamtsieg — genau wie der Erfolg in der vergangenen Woche beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen. Es ist, als wenn ein Ungesetzter das Tennisturnier in Wimbledon gewinnt. "Wahnsinn", sagt er immer wieder, "echt der Wahnsinn."

Der "Flachland-Tiroler", wie er wegen seiner niederösterreichischen Herkunft bezeichnet wird, setzt die österreichische Siegesserie bei der Tournee fort. Nach Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern und zweimal Gregor Schlierenzauer ist er der sechste Athlet Austrias hintereinander, der sich den Sieg sichert. Die seit zehn Jahren währende Vorherrschaft des Teams von Alexander Pointner erlebt eine überraschende Fortsetzung.

Toni Innauer, Österreichs altgedienter Skisprung-Weiser, sagt: "Dass einer von einem Tag auf den anderen so durchstartet, das gibt es nur im Skispringen. Aber mir ist es trotzdem unerklärlich." Diethart selbst hatte gleich nach dem großen Erfolg eine Kurzanalyse parat. "Das körperliche Niveau vieler Topspringer ist ähnlich", sagt er, "entscheidend ist die mentale Komponente." Und Ammann meint: "Wenn man zum richtigen Zeitpunkt gewinnt, kann man in so einen Lauf geraten." In Bischofshofen liefert der 21-Jährige Diethart zwei Belege für seine außergewöhnlich starke Psyche. Im K.o.-Duell setzt er sich gegen seinen schärfsten Widersacher Simon Ammann durch, der auf die Teilnahme an der Qualifikation verzichtet hatte. Und als Letzter des Finaldurchgangs geht er nicht etwa auf Sicherheit, wie er es sich angesichts eines komfortablen Vorsprungs hätte leisten können, sondern aufs Ganze.

Vater Gregor wirkt viel aufgewühlter als sein Thomas. Er knutscht und drückt ein Stoffschwein, das er als Glücksbringer mit an die Schanze genommen hat. Auch für ihn ist es der größte Tag. Er bekommt endlich den Lohn für alle die Mühen, die seine Frau und er in den Jungen investiert hatten. 50 000 Kilometer sind sie Jahr für Jahr durchs Land gefahren, um ihm Training und Wettkämpfe zu ermöglichen. Im Kabinentrakt von Sporthallen haben sie manchmal übernachtet, um Kosten zu sparen. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Auch weil es 20 000 Schweizer Franken für den Gesamtsieg gibt.

(RP)
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