Brüssel Trotz Spähaffäre: Industrie hofft auf Freihandel mit USA

Brüssel · Durch schrankenlosen Handel könnten in der EU 400 000 Jobs entstehen, davon bis zu 110 000 in Deutschland.

Geht es nach der demonstrativen Herzlichkeit des Händedrucks, wollen Ignacio Garcia Bercero und Dan Mullaney das historische Projekt einer Freihandelszone zwischen Europa und Amerika aller Probleme zum Trotz zum Erfolg führen. Vor dem Start der zweiten Gesprächsrunde gestern posierten die beiden Chefverhandler in Brüssel vor der Europafahne und der US-Flagge ausgiebig für die Kameras - so als könnten sie Belastungen wie die Späh-Aktivitäten des US-Geheimdienstes einfach weglächeln.

Bis Freitag werden beide Seiten über Dienstleistungen, Investitionen, Energie, Rohstoffe sowie Regulierungsfragen sprechen. Die Verhandlungsrunde sollte eigentlich bereits im Oktober stattfinden, wurde aber wegen der Verwaltungsblockade in den USA (shutdown) verschoben. Nachdem dann Ende Oktober der NSA-Lauschangriff auf das Handy der Kanzlerin bekanntwurde, gab es prominente Rufe nach dem Aussetzen der Gespräche (unter anderem von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz).

Doch nun geht es weiter — weil Europäer wie Amerikaner die wirtschaftlichen Vorteile durch das Abkommen nicht riskieren wollen. Geplant ist die weltweit größte Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern. Durch das Abkommen steigt die Wirtschaftsleistung auf beiden Seiten nach Brüsseler Berechnungen um 0,5 Prozent — umgerechnet auf einen durchschnittlichen Privathaushalt in der EU entspricht das einem Plus von rund 550 Euro im Jahr. Alleine in Deutschland entstünden zudem mehr als 100 000 neue Jobs. Die nächste Runde ist Mitte Dezember in Washington geplant. Bis Januar sollen technische Details und Streitpunkte wie der Umgang mit genbehandelten Lebensmitteln geklärt werden.

Washington hat sich bereits ein bisschen bewegt: Vor kurzem hat die USA den Import von EU-Rindfleisch erleichtert, der seit dem BSE-Skandal 1998 unter strengen Auflagen stand. Im Januar ist dann ein Treffen zwischen dem US-Handelsbeauftragten Michael Froman und EU-Handelskommissar Karel de Gucht geplant. Letzterer hat jedoch derzeit andere Sorgen, muss wegen Steuerbetrugs vor Gericht. Der Vorwurf: Er soll 1,2 Millionen Euro Börsengewinne nicht deklariert haben, allerdings bevor er sein Amt als EU-Kommissar antrat. Ob das die Verhandlungen beeinflusst ist unklar.

Im Idealfall soll der Abschluss des Freihandelsabkommens gelingen, ehe die derzeitige EU-Kommission im Herbst 2014 aus dem Amt scheidet - und die Amerikaner einen neuen Kongress wählen. Verbraucher- und Umweltschützer warnen vor einer möglichen Schwächung europäischer Standards. "Es geht um viel bei diesem Freihandelsabkommen - um die mögliche Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen auf unseren Äckern, um die Aufweichung von Klimaschutzmaßnahmen", so die Ökoorganisation Bund.

(RP)
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