Cornelia Schneider ist Expertin für Justizreformen Gerresheimerin an den Krisenherden der Welt

Düsseldorf · Cornelia Schneider arbeitet für internationale Organisationen in Ländern wie Afghanistan, Sudan, Tschad und Kongo an Justizreformen.

Als sie vor knapp zwei Wochen hörte, dass die in Kriegsgebieten erfahrene deutsche Fotografin Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen worden ist, kam bei Cornelia Schneider jener Gedanke hoch, den sie sonst nicht zulässt: dass ihr auf einem der Einsätze etwas zustoßen könnte. "Wenn man vor Ort ist, denkt man das nicht", sagt sie. "Zur falschen Zeit am falschen Ort sein - das gibt es auch hier in Düsseldorf."

Manchmal rückt das Risiko aber doch ganz nahe. Zum Beispiel nach dem Anschlag auf ein libanesisches Restaurant in der afghanischen Hauptstadt Kabul. "Das kennt jeder Ausländer, dort gehen alle hin", sagt Schneider. Wohl deshalb war es für die Attentäter ein gutes Ziel.

"Ich bin ein großer Afghanistan-Fan", sagt die 36-jährige Gerresheimerin. Mehr als drei Jahre, von 2009 bis 2012, hat die Juristin in dem von Kriegen gezeichneten Land gelebt. "Die Menschen sind unglaublich warmherzig und großzügig, sie sparen sich alles vom Mund ab, um gute Gastgeber zu sein." Schneider war mit der Polizeimission der EU dort.

Polizisten, auch aus NRW und Düsseldorf, waren dabei, Zivilisten, viele aus dem Justizbereich. Schneider war am Ende Vize-Leiterin der Justizgruppe. Im Einsatz war sie vor allem in Militärbasen, gab Kurse, war Mentorin, hat viel mit dem afghanischen Innenministerium zusammengearbeitet, an der Schnittstelle zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Besonders engagiert hat sie sich für das Projekt Sola, das erste Internat für afghanische Mädchen aus allen Provinzen. Was bemerkenswert ist, denn die Sprachen und Kulturen in dem Land am Hindukusch sind vielfältig. Die besten Schülerinnen erhalten ein Auslandsstipendium, um danach mit neuem Wissen in ihr Heimatland zurückzukehren. Angst habe sie nie gehabt, sagt Schneider.

"Alle denken, dass Afghanistan am gefährlichsten ist." Doch sie sei kaum in einem Land so gesichert gewesen wie dort. "Im Tschad ist es viel riskanter, es gibt viel Kidnapping, man kann plötzlich in Feuergefechte geraten." Wie aber kommt eine junge Frau dazu, in Krisengebieten Karriere zu machen? "Ich wollte das schon immer", sagt Schneider. Im Alter von sechs Jahren habe sie beschlossen, bei den Vereinten Nationen zu arbeiten. Auslöser war ihre Großmutter. "Sie war sozial sehr aktiv, wusste aus ihrer Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben und der Welt etwas zurückzugeben."

Mit 16 Jahren verließ Cornelia Schneider ihr Elternhaus in Gerresheim, ging auf ein Internat in England - und kehrte nie mehr ganz nach Düsseldorf zurück. Sie studierte Jura in London und Köln, lernte Rechtspraxis in Oxford. In dieser Zeit machte sie ein Praktikum am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Es war die Zeit, als Slobodan Milosevic verhaftet und wegen Völkermordes in den Jugoslawienkriegen vor das Kriegsverbrechertribunal gestellt wurde.

Ein Wendepunkt in Schneiders Leben. Zurück in der Londoner Großkanzlei wurde ihr bewusst, dass ihre Kollegen sich kaum für das interessierten, was in Den Haag geschah. So wollte sie nicht werden. Sie wollte in den Krisengebieten arbeiten. An der Fletcher School der Tufts University in Medford bei Boston (USA) machte sie den "Master of Arts in Law and Diplomacy" (Recht und Diplomatie). Noch während des Studiums führte sie 2005 ein Praktikum in den Sudan, in dem über Jahre Bürgerkrieg herrschte. "Es war überwältigend", sagt Schneider über ihren ersten Einsatz.

Unglaubliche Hitze, große Armut, fremde Gerüche, Kleidungsregeln, die man als Frau in einem muslimischen Land beachten muss. In dem Jahr ihres Praktikums wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, das dem Südsudan Autonomie garantierte. Vor dem Internationalen Gerichtshof wurde gegen den sudanesischen Präsidenten ein Verfahren eröffnet. Sie stieß erstmals auf das Dilemma der Vereinten Nationen in Krisengebieten: Kann man neutral bleiben, wenn einem Präsidenten Völkermord am eigenen Volk vorgeworfen wird? Sollte man es anprangern - und damit das Risiko eingehen, vor Ort nicht mehr helfen zu können? Fragen, die Cornelia Schneider bis heute begleiten.

Inzwischen ist sie vor allem bei Justizreformen im Einsatz, in unterschiedlichen Ländern, mit verschiedenen Organisationen. Im Team mit Kollegen versucht sie, in Krisenländern demokratische Abläufe einzuführen. Eine Aufgabe, die viel Geduld erfordert. Nach dem arabisch geprägten Sudan ging sie in den Südsudan. "Das ist Schwarzafrika, das Klima ist anders, die Menschen auch - man merkt, dass es zwei unterschiedliche Länder sind."

Die Grundfrage: Wo soll man anfangen, wenn man ein Justizsystem aufbauen will, das es bisher nie gab? "Recht gesprochen hatten dort ein paar Dorfälteste." Schneider arbeitete an der Ausbildung von Richtern. Ihre nächste Station war rein humanitär mit dem Internationalen Roten Kreuz im Osten des Tschad. "Da ging es nur darum, Menschenleben zu retten." Zehntausende Flüchtlinge drängten sich unter widrigsten Bedingungen in den Lagern. Woher sie kamen, wusste niemand genau. Manchmal waren es innerhalb von Tagen 20 000 Flüchtlinge mehr, weil die Bevölkerung aus den völlig verarmten Nachbardörfern ebenfalls hineindrängte. Im Lager gab es Medikamente und Essen. "Ich habe in meinem Leben noch nie solche Armut gesehen."

Im Gegensatz dazu hatte Schneider es 2008 in Saudi-Arabien mit der reichen Elite des Landes zu tun. Bei einem Programm der Fletcher School unterrichtete sie dort an einer Frauen-Universität angehende Diplomaten. "Die Frauen, die ich traf, waren beeindruckend. Sie sind nicht unterdrückt, sondern sehr stolz auf ihre Religion und Kultur."

Mit vielen ist sie bis heute in Kontakt. Beim Kampf der Frauen steht das Recht auf Autofahren in Saudi-Arabien an erster Stelle. Dafür gehen die Frauen sogar auf die Straße. Selbstverständlich nur in der schwarzen Abaya, der Ganzkörperverhüllung, die in Saudi-Arabien in der Öffentlichkeit für Frauen Pflicht ist. Schneider kaufte sich eine günstige Abaya und merkte erst später, dass manche Frauen welche der Marke Gucci trugen. "Man kann darin sexy, wohlhabend oder abgerissen - wie ich - aussehen."

Vier Sprachen spricht Cornelia Schneider - neben Deutsch und Englisch auch Französisch und Spanisch. Und "ein wenig Arabisch", das sie in Syrien lernte. War es nicht schwer, sich als westliche Frau in diesen Ländern zu bewegen? "Überhaupt nicht", sagt Schneider. Man werde "asexualisiert und als merkwürdiges Wesen" gesehen, könne deshalb auch mal ohne Kopftuch bei den Männern sitzen. Unvergessen bleibt für sie ein Aufenthalt mit 30 afghanischen Staatsanwälten und Polizisten in Finnland, bei dem auch ein Abendessen bei einer Einheimischen auf dem Programm stand. Nach dem Essen gings ans Abspülen - die hochrangigen afghanischen Männer machten voller Freude mit, baten jedoch darum, das nicht zu verraten.

Seit 2012 ist Cornelia Schneider wieder in Afrika, in der Demokratischen Republik Kongo, mit dem "United Nations Development Program" (UNDP). Dort begegnete sie extremen Formen der Gewalt. Vergewaltigungen, bei denen Frauen nicht nur schwer verletzt, sondern danach von der Gemeinschaft ausgestoßen wurden. In dem Programm wird daran gearbeitet, Stellen zu schaffen, an die sich diese Frauen wenden können - und den Frauen das auch bewusst zu machen. "Sie denken, dass die grausamen Vergewaltigungen ein Akt Gottes sind."

Schneider ist im Kongo als Fachkraft für Justizreform ("Head of Justice") für 30 Mitarbeiter in drei Provinzen zuständig. Für ihr Engagement und ihre bemerkenswerte Karriere wurde sie jetzt mit dem "Fletcher Womens Leadership Award" ausgezeichnet, der erstmals von der Fletcher School an Frauen in herausragenden Führungspositionen verliehen wurde.

Ihre nächste Station? "Ich warte darauf, zu den Vereinten Nationen nach New York versetzt zu werden."

(rl)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort