Köln Toilettenfrau: Weihnachtsmarkt manchmal wie Karneval

Helene Kück putzt Weihnachtsmarkt-Toiletten. Sie lebt davon, dass die Leute ihr 50 Cent hinlegen. Die meisten gehen aber, ohne zu zahlen, vor allem die Männer. Dafür sind Männer in anderer Hinsicht die besseren Kunden.

Als Toilettenfrau auf dem Kölner Weihnachtsmarkt
7 Bilder

Als Toilettenfrau auf dem Kölner Weihnachtsmarkt

7 Bilder

Helene Kück hätte es früher auch nicht gedacht, aber es stimmt wirklich, sagt sie. "Männer sind viel sauberer als Frauen." Helene Kück muss es wissen, denn sie putzt seit 30 Jahren Toiletten. Derzeit gerade auf dem Weihnachtsmarkt neben dem Kölner Dom. Die Erfahrung hat gezeigt: "Von 100 Männern nehmen 99 die Bürste. Von 100 Frauen höchstens 10."

Helene Kück, 65, steht vor ihrem Toilettencontainer ungefähr fünf Meter neben dem Dom. Sie passt auf, dass niemand ihre Einnahmen stiehlt. Das Geld liegt in einer silbernen Schale auf einem Klapptisch zwischen Pizzaresten, einem leeren Kaffeebecher und einem ziemlich vollen Aschenbecher.

Die Münzen in dem Schälchen sind ihre einzige Entlohnung - vom Veranstalter des Weihnachtsmarkts bekommt sie nichts. "Nur die Kunden zahlen. Wenn die nichts hinlegen, hab' ich Pech gehabt. Ich darf zu niemandem sagen: "Du kommst hier nur rein, wenn du zahlst." Das ist Nötigung. Damit mache ich mich strafbar." So bleibt es also bei einem Zettel mit der Aufschrift "Für eine saubere Toilette erbitten wir ein Dankeschön von 50 Cent." Die meisten ignorieren das aber, vor allem die Männer. Sie mögen sauberer sein, aber sie haben definitiv die schlechtere Zahlungsmoral.

Viel ist deshalb noch nicht drin in der Schale, aber trotzdem muss immer jemand aufpassen. "Geklaut wird reichlich. Ich sag' nur:
Wechseltrick. Wenn bei mir einer wechseln will, dann lass' ich mir immer erst das Geld geben und dann wechsle ich, denn sonst nehmen die beides mit. Meist sind es ältere Damen, die das machen. Am schärfsten ist eine mit 'nem Stock, die humpelt. Hinterher braucht sie den Stock nicht mehr. Ab um die Ecke - weg is' se!"

Weihnachtsmärkte in Köln 2019
Infos

Weihnachtsmärkte in Köln 2019

Infos
Foto: dpa, mb sab fg fdt

Deshalb sind sie immer zu zweit. "Eine putzt, eine sitzt." Wobei man auf dem Weihnachtsmarkt eher steht als sitzt, denn zum Sitzen ist es zu kalt. Helene Kück trägt eine Mütze und einen dicken Wintermantel über ihrem weißen Kittel. Dennoch macht sie einen durchgefrorenen Eindruck, denn auf der Domplatte weht es kalt und kräftig vom Rhein her.

Weihnachtsmärkte Düsseldorf 2023 - das sind die schönsten Märkten
11 Bilder

Das sind die Düsseldorfer Weihnachtsmärkte 2023

11 Bilder
Foto: Hans-Juergen Bauer

"Am freigiebigsten sind die Asiaten." Amerikaner legen oft einen Dollar hin. Im übrigen gilt die alte Bettlerweisheit, dass Arme mehr geben als Reiche. Obdachlose zum Beispiel, "die haben nur ein paar Cent in einem Pappbecher und sagen: "Hier, schenk ich dir."" Dafür dürfen sie sich dann schon mal die Haare am Waschbecken waschen. "Da sind viele sehr nette dabei. Die sind mir zehnmal lieber als die anderen."

Die anderen - das sind Leute wie der Mann, der neulich ein Zwei-Cent-Stück in die Schale geworfen hat mit dem Satz "Das steuer' ich zu Ihrem Urlaubsgeld zu!". Da hat sie laut gerufen: "Ist ja riesig, der Mann hat uns zwei Cent geschenkt für unseren Urlaub!" Er war dann ziemlich schnell weg.

Die Weihnachtsmärkte 2016 in Mönchengladbach
Infos

Die Weihnachtsmärkte 2016 in Mönchengladbach

Infos
Foto: Shutterstock/Kzenon

Die Domglocken läuten, aber Helene Kück hört es nicht mehr. Auch gegen den Käsegeruch des Raclette-Stands gleich nebenan ist sie immun. Insgesamt ist der Weihnachtsmarkt ein gutes Geschäft, sagt sie. Noch viel besser ist allerdings der Christopher Street Day, und das, obwohl die Demonstration nur drei Tage dauert. "Die Leute da sind freigiebiger, lockerer, sauberer und sehr, sehr nett. CSD würd' ich viermal im Jahr machen. Die haben auch keine dummen Sprüche drauf wie "Hättest du was Anständiges gelernt, dann müsstest du jetzt keine Klos putzen" oder "Du Klo-Schlampe" und so was."

Auf dem Weihnachtsmarkt muss sie sich solche Sprüche immer wieder anhören. Vor allem wenn die Leute viel Glühwein getrunken haben. "Es kann hier genauso viel Radau geben wie an Karneval." Deshalb sei es wichtig, dass man als Toilettenfrau selbstbewusst auftrete und sich nicht einschüchtern lasse. Das Schlimmste, was sie bisher mitgemacht hat, war ein Drogenabhängiger, der ihr eine Nadel in den Arm stach. Das war allerdings nicht auf dem Weihnachtsmarkt, sondern auf einer Kaufhaus-Toilette, wo sie auch saubermacht.

Im Laufe von 30 Jahren hat Helene Kück ihr eigenes kleines Unternehmen mit 13 fest Beschäftigten aufgebaut. Sie putzt aber auch immer noch selbst. Jetzt zum Beispiel: In der einen Hand ein Wischtuch, in der anderen den WC-Reiniger, desinfiziert sie nach jedem Kunden Urinal oder Klobrille. Ein Mann nickt ihr anerkennend zu - zahlt aber auch nichts.

Draußen hat es zu regnen begonnen. Der Weihnachtsmarkt sei ein unkalkulierbares Geschäft, sagt sie und verschwindet mit ihren Putzutensilien in einer Kabine im Damenklo. Hinter der Tür erzählt sie weiter: "Es gab einen Dienstag voriges Jahr, da dachte ich "Ich glaub' ich träume". Da sind die Leute raus und rein und haben gezahlt. Und dann an dem Samstag, wo man wirklich denken sollte "Oh toll, viele Leute, gutes Geschäft" - da war Pustekuchen." An einem Wochenende müssen 600 Euro reinkommen, damit die Kosten gedeckt sind, das Höchste, was sie mal an einem Tag einnahm, waren 437 Euro. Geöffnet sind die Toiletten von 11 Uhr vormittags bis 23 Uhr abends, eine Stunde länger, als der Weihnachtsmarkt offen ist. Die Letzten sollen schließlich nicht gegen den Dom pinkeln müssen.

Jetzt ist gerade ein Verkäufer von einem Stand durchgegangen, ohne zu zahlen. Helene Kück verzieht keine Miene, sie kennt das. "Die sehen uns nicht als Kollegen." Die Toilettenfrauen stehen zwar auch die ganze Zeit auf dem Markt, aber sie gehören nicht dazu. "Manche Leute fragen mich: "Schämst du dich eigentlich nicht, dass du Toiletten putzt?" Dann sag ich: "Die Leute, die die Toilette so hinterlassen, die müssen sich schämen!"" Es ist ein ehrlicher Job, findet sie. Und nie langweilig. Manchmal kann sie lachen, zum Beispiel, wenn ein Kind zu seiner Mutter sagt: "Mama, die Toilette hier ist aber sauberer als bei uns zu Hause!" Einmal, so glaubt sie, hat sie einer Frau das Leben gerettet: Die hatte ein Stück Fleisch im Hals, bekam keine Luft mehr, und sie schlug ihr so kräftig auf den Rücken, dass es wieder rauskam.

Für eine Reihe von älteren Frauen ist das Toilettenhäuschen eine Anlaufstelle. "Für die ist es wichtig, dass die mal quasseln können.
Das finden die schön. Die eine erzählt mir von ihrem Sohn, der Eheprobleme hat, die andere hat Probleme mit ihren Enkelchen." Eine 93 Jahre alte Frau kommt immer mit dem Rollator und sagt, nächstes Jahr werde sie es wohl nicht mehr schaffen. "Aber bisher ist sie noch jedes Mal wiedergekommen."

Eine Kundin zwängt sich mit mehreren Einkaufstüten in die Toilette. "Ich sag immer: Handtaschen bitte mit reinnehmen, die großen Tüten könnt ihr draußen lassen", erläutert Helene Kück. "Das ist ja kein Akt für uns, da ein paar Minuten mit drauf aufzupassen." Die letzte Woche sei immer die Schlimmste, "dann kommen die Notkäufer, und dann bricht Hektik aus".

Bei ihr selbst kommt zu keinem Zeitpunkt weihnachtliche Stimmung auf. "Meine Tochter ist vor vier Jahren an Krebs gestorben. Seitdem gibt es Weihnachten für mich nicht mehr."

Eine Frau wirft 50 Cent in die Schale. "Sehr sauber!", lobt sie. Helene Kück lächelt. Dann sagt sie auf Kölsch: "Et jeht immer wigger." Es geht immer weiter, das Leben.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort