Moers Eurostar in Moers auf dem Abstellgleis

Moers · Auf dem Gelände des Güterbahnhofs Rheinkamp parkt Siemens die fabrikneuen Eurostar-Züge, bevor sie nach England ausgeliefert werden. Im November soll der Hochgeschwindigkeitszug den Fahrgastbetrieb im Eurotunnel aufnehmen.

Der Güterbahnhof Rheinkamp ist in diesen Tagen ein gutes Pflaster für Trainspotter. Dies sind Leute mit einem ungewöhnlichen Hobby: Sie sammeln Fotos von Zügen, allerdings - so will es die Trainspotter-Ehre - nur von solchen, die sie selbst gesehen haben (train = Zug, to spot = beobachten). In Rheinkamp sind immer wieder ganz besondere Züge zu sehen: fabrikfrische Exemplare des Eurostar e320, des neuen Flaggschiffs der Eurotunnel-Betreiber, das Ende dieses Jahres den Fahrgastbetrieb aufnehmen soll.

Derzeit steht in Rheinkamp ein "halber" Eurostar mit acht Wagen. Um ihn zu sehen, muss man sich etwas an das Bahnhofgelände heranpirschen. Leichter haben es die Fahrgäste der Nordwestbahn auf der Linie Richtung Rheinberg: Sie rauschen an dem Abstellgleis mit dem Eurostar vorbei und wundern sich vielleicht über das High-Tech-Fahrzeug auf dem trostlosen Güterbahnhof.

Die neue Eurostar-Generation wird bei Siemens Rail Systems in Uerdingen gebaut und im Siemens Prüf- und Validationscenter Wegberg-Wildenrath getestet. Dann werden die rundum untersuchten Fahrzeuge in Rheinkamp "zwischengeparkt", bevor sie an die Eurostar Group in England geliefert werden. Siemens hat vier Gleise angemietet, sagte gestern Siemens-Pressesprecher Georg Lohmann auf Anfrage. Die Züge seien lang, einige Kilometer Gleis würden benötigt. Über solche Kapazitäten verfüge man in Wildenrath nicht.

Der komplett 400 Meter lange Eurostar e320 erreicht ein Tempo von 320 km/h und bietet in 16 Wagen Platz für bis zu 950 Fahrgäste. Der Zug ist mit modernen Kommunikations- und Entertainmentsystemen ausgerüstet, muss den Sicherheitsbestimmungen im Eurotunnel entsprechen und soll im Brandfall 30 Minuten fahrfähig bleiben. Der blau-grau-gelbe Anstrich und das edle Interieur wurden von der italienischen Designfirma Pininfarina entworfen, die schon unter anderem für Ferrari, Maserati, Alfa-Romeo und Jaguar tätig war. Die Schönheit, vor allem aber die ausgefeilte Technik des Eurostar e320 hat ihren Preis; er soll bei 60 Millionen Euro pro Exemplar liegen. Die in Rheinkamp abgestellten Fahrzeuge werden denn auch rund um die Uhr bewacht.

Die in London ansässige Eurostar Group Ltd. betreibt die Hochgeschwindigkeitszug-Verbindung zwischen Frankreich und England durch den 50 Kilometer langen Tunnel unter dem Ärmelkanal. Als das Unternehmen im Jahr 2010 Siemens den Auftrag zum Bau zehn neuer Züge erteilte, sorgte dies für Schlagzeilen. Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF besitzt eine Mehrheitsbeteiligung an Eurostar, bis dahin hatte das Unternehmen ausschließlich auf TGV-Hochgeschwindigkeitszüge des französischen Herstellers Alstom zurückgegriffen. Dem Auftrag für Siemens folgte einige Missstimmung in Frankreich. Im November 2014 kündigte die Eurostar Group an, weitere sieben Züge bei Siemens zu bestellen. Die "Welt" schrieb im gleichen Monat: "Dieser Siemens-Zug ist eine Schmach für Frankreich". Inzwischen (am 19. Februar) wurde der Auftrag unterzeichnet. "Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einem grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr in Europa", teilte die Siemens-Presseabteilung gestern mit.

Derzeit ist die Eurostar Group erneut im Gespräch: Wie der "Spiegel" gestern berichtete, will die britische Regierung ihren 40-prozentigen Anteil am Unternehmen verkaufen und dadurch eine gute Milliarde Euro einnehmen.

(RP)
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