Aachen Ritter "Bambi" im Aachener Narrenkäfig

Aachen · In Aachen wurde FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner zum 64. Ritter wider den tierischen Ernst geschlagen. Mit der ersten Büttenrede seines Lebens bewies er sein närrisches Talent sowie die Fähigkeit zur Selbstkritik.

In einer Zeit, in der die Politik so viele Steilvorlagen liefert wie im Moment, lebt der politische Karneval auf. Nirgendwo kann man besser die Wahrheit aussprechen als unter der Narrenkappe, sticheln, ätzen, Dinge humoristisch verpacken, die harte Attacken sind und in Bundes- oder Landesparlamenten niemals so gesagt werden dürften.

Von dieser Lage hat der zuletzt wegen allzu großer Harmlosigkeit und unattraktiven Rittern in Verruf geratene Aachener Karnevalsverein mit seiner 64. Ordensverleihung wider den tierischen Ernst profitiert. Ein Feuerwerk der Pointen wurde am Samstagabend im voll besetzten Eurogress gezündet, als mit dem 35-jährigen Christian Lindner der dritte FDP-Politiker nach Hans-Dietrich Genscher (1979) und Guido Westerwelle (2011) gekürt wurde. Der jüngste Ritter aller Zeiten ist der Bundesvorsitzende der Liberalen auch, daher wird er "Ritter Bambi" gerufen in Anlehnung an den Spitznamen, den ihm bei seinem Einzug in den Landtag, im Jahr 2000, Jürgen Möllemann verlieh. Nur logisch, dass man vorschlug, für Lindners Ritterrede einen Laufstall statt des traditionellen Käfigs aufzustellen.

Kabarettisten und Politiker hatten gleichermaßen Munition gesammelt, um die geladenen Gäste und die Bürger, die für einen Abend bis zu 1111 Euro bezahlen, zu unterhalten. Politisches Kabarett in Hochform lieferten Ingolf Lück, Guido Cantz, Jörg Knör und Ingo Apelt. So geriet Steuersünder Uli Hoeneß ins Visier ("Er hat wie schon Kaiser Karl nur ein Reich der Franken im Sinn") oder Bischof Tebartz-van Elst ("Bob, der Baumeister"). Ingo Appelt, der als Frauenbeauftragter das Männersterben in der deutschen Politik beklagte ("Jetzt ist auch er weg, der Friederich"), nahm sich die beiden Superfrauen der deutschen Politik vor. Vor Jahren hätte er schon prognostiziert, was jetzt eingetreten sei: Dass die ehemalige Familienministerin Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin als erstes Kitas in Kasernen einrichten würde. Das sei auch so gekommen, sagte Apelt, als nächstes werde sie für Kindersitze in Panzern kämpfen. Die Frauen hätten in Deutschland die Macht ("Neben einer Frau sieht jeder Mann aus wie Rainer Brüderle"). Auch Angela Merkel zog er durch den Kakao: "Wenn man sie auf den Kopf stellt, sieht sie aus, als ob sie lächelt." Die deutsche Kanzlerin könne man mit dem französischen Präsidenten schlecht vergleichen. Es sei schlicht unvorstellbar, dass Merkel eine Affäre mit Til Schweiger habe, oder? Tusch!

Im Prolog zum Festprogramm hatten sich schon zwei auf Lindner eingeschossen. Wortgewandt duellierten sich der ehemalige Ritter Friedrich Merz (CDU) und Knappe Philipp zu Guttenberg, der im Jahr 2011 für seinen mit der Plagiatsaffäre befassten Bruder Karl-Theodor eingesprungen war. Lindner sei der neue gelbe Engel, ein Dalai Lama, hieß es, "der war auch schon als Kind in sein Amt gerutscht." Lindner gehöre zur "Abba-Generation": Abitur, Bafög, Bundestag und Altersversorgung. Die Combo spielte reaktionsschnell "Waterloo" – einen Song der Band Abba. Einer floppte übrigens im Programm: Als Günther Oettinger die Bühne betrat, verließen viele fluchtartig den Saal. Der CDU-Politiker war nicht zu verstehen. In welcher Funktion er eingeladen war, blieb bis zuletzt ein Rätsel.

Der traditionsreiche Aachener Karnevalsverein sieht den Orden auch als politische Auszeichnung. Der Preisträger muss "Humor und Menschlichkeit im Amt" bewiesen haben. Erstmals wurde der Orden 1950 einem britischen Militärstaatsanwalt verliehen, der einen kurz zuvor Verurteilten über die Karnevalstage aus der Haft entlassen hatte. Nun also Christian Lindner, der bekannte, Lampenfieber zu haben vor seiner Büttenrede. Von Grünen-Chef Cem Özdemir erhielt er die Ritter-Laudatio; der grüne Schwabe blieb dabei blass.

Lindner hingegen bestand seine Feuertaufe als Büttenredner gut. Mit Selbstironie blickte er auf seine Partei ("Zumindest eins ist uns geglückt, Deutschlands Hotelbesitzer waren verzückt"). Der ADAC wurde abgewatscht: "Unser Votum ist ein Wahres/im Gegensatz zum Auto des Jahres." Er stilisierte sich selbst zum Bambi: "Als Rehkitz muss ich hier den Platzhirsch geben." Er thematisierte seine Schwäche: "Mein Kopf war kahl, vor allem in den Ecken, also musste ich das Haupt neu bedecken./Um liberales Wachstum zu generieren,/ ließ ich mir die Haare transplantieren./Unter der Kappe und ohne Föhn – das Bambi hat die Haare schön." Der Saal raste; alle sangen im Chor "Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön".

Ritter Christian Lindner kam auf volle Punktzahl. Zugleich hat er dem Aachener Karneval neues politisches Gewicht verliehen.

(RP)
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