Bundeskanzlerin Europas Sozialisten machen Merkel zu schaffen

Berlin · Die Kanzlerin steht mehrfach unter Druck: als Regierungschefin und als Europa-Politikerin. Das löst sogar in der CDU ein Brodeln aus.

Die Bundeskanzlerin ist genervt, dass sie ausgerechnet am Donnerstag nach Brüssel zur Sitzung des Europäischen Rats reisen muss. Während die deutsche Nationalmannschaft um den Einzug ins Achtelfinale der Fußball-WM spielt, muss Angela Merkel in Brüssel mit Jean-Claude Juncker einen Kommissionspräsidenten durchboxen, den sie eigentlich gar nicht wollte.

Für Merkel läuft es gerade nicht rund. Nach der Europawahl stand sie vor der schwierigen Aufgabe, einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu finden, der bei den Regierungschefs in der EU auf Konsens stößt. Nun werden aller Voraussicht nach doch Großbritannien und Ungarn gegen Juncker votieren.

Merkel machte sich nach anfänglichem Zögern für Juncker stark, obwohl ihr seine EU-Politik zu links ist. Nur unter Druck hatte Juncker sich im Wahlkampf gegen die Vergemeinschaftung von Schulden in der EU durch Eurobonds ausgesprochen. Für die Kanzlerin geht von Juncker die Gefahr aus, dass er in vielen Punkten den Sozialisten entgegenkommen könnte.

Auch innenpolitisch gibt es für Merkel Konflikte. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) verkündete in der vergangenen Woche beiläufig, dass er sich eine Aufweichung des europäischen Stabilitätspakts vorstellen kann. Dies würde erneut die Tür für eine höhere Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsländer öffnen. Für die Kanzlerin war der Vorstoß ihres Stellvertreters doppelt ärgerlich: Die Finanzstabilität in Europa gehört zum Markenkern ihrer Politik. Auch im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass an den Grundfesten des Stabilitätspakts nicht gerüttelt werden darf. Indem sich Gabriel in diesem Punkt von der Kanzlerin absetzt, desavouiert er sie auf internationalem Parkett - die Deutschen erwecken den Eindruck, als seien sie sich nicht einig. Der Kanzlerin wird es dadurch erschwert, ihren harten Sparkurs gegenüber den südeuropäischen Ländern durchzuhalten. Eine Aufweichung des Stabilitätspakts, der vorsieht, dass die EU-Staaten die Höhe ihres jährlichen Haushaltsdefizits auf drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung begrenzen müssen, wird in Europa angesichts der andauernden Krise mittlerweile offen diskutiert.

SPD-Chef Gabriel verstand es bislang geschickt, in Berlin vertraulich mit der Kanzlerin zu kooperieren und ihr öffentlich Thema um Thema den Schneid abzukaufen. Doch in der Frage eines finanzpolitischen Schulterschlusses mit den südeuropäischen Staaten bewegt auch er sich auf sehr dünnem Eis. Merkels hohe Zustimmung im Volk gründet sich insbesondere darauf, dass die Wähler den Eindruck haben, die Kanzlerin halte das Geld zusammen. Eine Lockerung der Stabilitätskriterien wird bei den Deutschen nicht gut ankommen.

Gabriels Taktieren lässt die CDU dennoch innerparteilich brodeln. Seit dem Start der großen Koalition schwillt immer wieder der Unmut über Auftreten und Stärke der SPD an. Die CDU knabbert daran, dass es Gabriel gelungen ist, aus 25 Prozent Stimmenanteil bei der Bundestagswahl in der Regierung 50 Prozent Einfluss zu machen. Immer wieder spornt Gabriel seine Leute an, die Politik der SPD öffentlichkeitswirksam zu vermarkten. Und während bislang die meisten Erfolge in der Innenpolitik und auf europäischem Parkett mit der Kanzlerin nach Hause gingen, wird die SPD nun mit Rente und Mindestlohn wahrgenommen. Das ging so weit, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) beim Katholikentag für die Erhöhung der Mütterrente gedankt wurde. CDU-Fraktionschef Volker Kauder und die Vorsitzende der Frauen-Union, Maria Böhmer, standen empört am Rand und konnten nur darauf verweisen, dass es die Union gewesen sei, die eine höhere Mütterrente durchgesetzt habe.

Bislang hielt sich die innerparteiliche Kritik an Merkel sehr in Grenzen - Funktionären und Mitgliedern ist klar, dass die 41,5 Prozent bei der Bundestagswahl das Ergebnis der Parteivorsitzenden waren. Doch mit dem mäßigen Abschneiden bei der Europawahl und Verlusten bei den Kommunalwahlen, beispielsweise der Niederlage in der NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf, kommt Nervosität auf.

Generalsekretär Peter Tauber hat nun eine Parteireform angekündigt, die der CDU das Image "weiblicher, jünger, offener" verpassen soll. Künftig soll es sogar denkbar sein, einen Kanzlerkandidaten per Urwahl zu bestimmen. Dass sich Merkel eines Tages einer solchen Wahl stellen muss, gehört nach Einschätzung aus Parteikreisen allerdings zu den wenigen Dingen, um die sich die Kanzlerin keine Sorgen machen muss. Schon jetzt hat sie aber die Frage im engeren Kreis eingespeist, mit welchen Ideen Deutschland in zwei Jahren regiert werden soll, wenn die Wirtschaft nicht mehr von alleine laufen und sich in den Sozialkassen Ebbe breitmachen sollte.

(qua)
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