Istanbul Attentäter kamen mit dem Taxi

Istanbul · 41 Menschen sind bei dem Anschlag am Istanbuler Flughafen ums Leben gekommen. Die türkische Regierung sieht keine Sicherheitsmängel. Es war 2016 schon das vierte schwere Attentat.

Zerstörungen am Flughafen Istanbul nach dem Anschlag
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Zerstörungen am Flughafen Istanbul

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Die Spuren des Anschlags sind am Istanbuler Atatürk-Flughafen unübersehbar: Teile der Deckenverkleidung sind herabgestürzt, die Wände rußgeschwärzt, in einigen Scheiben sind Einschusslöcher zu sehen. Mindestens 41 Menschen wurden bei dem Blutbad in den Tod gerissen, das offenbar von drei Selbstmordattentätern angerichtet wurde. Fast 240 erlitten teils schwere Verletzungen. Mindestens 13 Ausländer sind unter den Todesopfern. Aus Regierungskreisen in Ankara hieß es, es handele sich um fünf Saudis, zwei Iraker, einen Tunesier, einen Usbeken, einen Chinesen, einen Iraner, einen Ukrainer und einen Jordanier. Eine Deutsche wurde laut Auswärtigem Amt verletzt. 41 Verletzte werden noch auf Intensivstationen versorgt.

Die türkische Regierung hat gestern eine Staatstrauer ausgerufen. Alle Flaggen an öffentlichen Gebäuden wurden auf halbmast gesetzt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan rief die Welt zu entschlossenem Handeln gegen den Terror auf: "Jeder sollte wissen, dass die Terrororganisationen nicht unterscheiden zwischen Istanbul und London, Ankara und Berlin, Izmir und Chicago, Antalya und Rom." Der Flugverkehr am größten Luftverkehrs-Drehkreuz der Türkei wurde bereits nach einigen Stunden wieder aufgenommen.

Es gebe konkrete Anhaltspunkte, dass der Anschlag auf das Konto der IS-Terrormiliz gehe, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim bei einem Besuch am Flughafen. Zunächst bekannte sich niemand zu der Tat. Die türkische Polizei fahndet nach möglichen Komplizen der Selbstmordattentäter. Unter den 44 Toten sind nach ersten Ermittlungen der Polizei auch die drei Attentäter. Ein vierter Angreifer sei möglicherweise geflüchtet, sagte Premier Yildirim unter Berufung auf entsprechende Hinweise der Fahnder.

Einer der Täter habe in der Abflughalle kurz vor 22 Uhr um sich geschossen, berichteten Augenzeugen. Dann hätten sich alle drei in oder in der Nähe der eine Etage tiefer gelegenen Ankunftshalle in die Luft gesprengt. Die Polizei habe versucht, zwei der Angreifer durch Schüsse zu stoppen, bevor sie die Kontrollstelle in der Ankunftshalle erreicht hätten, teilten die Behörden mit. Doch die Attentäter hätten ihre Sprengsätze gezündet.

Die Polizei hatte noch in der Nacht mit der Auswertung der Aufnahmen von Sicherheitskameras begonnen, die es am Tatort in großer Zahl gibt. Zeugenaussagen wurden ausgewertet, DNA-Spuren der Opfer und der möglichen Täter analysiert. Der Anschlag trage eindeutig die Handschrift des sogenannten Islamischen Staats, sagten Experten. Tatsächlich erinnert das Attentat an den IS-Angriff auf den Brüsseler Flughafen im März. Zwar operieren in der Türkei zahlreiche Terrorgruppen. Neben dem IS sind vor allem kurdische Extremisten aktiv, wie die Terrorgruppe "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), aber auch linksextremistische Untergrundorganisationen. Doch während die kurdischen und die linksextremistischen Gruppen mit ihren Anschlägen meist Polizei, Militär und andere Regierungsziele ins Fadenkreuz nehmen, richtet sich der IS-Terror gegen "weiche Ziele" wie Passanten oder Fluggäste.

Der Atatürk-Flughafen gilt als gut gesichert. Schon vor dem Betreten der Abflughalle müssen Fluggäste eine Kontrolle passieren, bei der auch das Gepäck durchleuchtet wird. Nach dem Check-in und der Passkontrolle folgt eine zweite Schleuse. Auch im Ankunftsbereich müssen Abholer eine Sicherheitsschleuse passieren, bevor sie in das Terminal gelangen. Polizisten mit schusssicheren Westen und automatischen Waffen überwachen den Bereich. Sicherheitsexperten vertreten allerdings die Ansicht, dass vorgelagerte Kontrollen besondere Risiken bergen, weil sich dort Menschenansammlungen bilden.

Laut Premierminister Yildirim gab es am Airport keine Sicherheitslücken. Die Attentäter seien mit einem öffentlichen Taxi dorthin gefahren, vor der Sicherheitskontrolle erkannt und von Polizisten unter Beschuss genommen worden, so die offizielle Darstellung. Zeugenaussagen und ein im Internet kursierendes Video, dessen Echtheit aber nicht zu überprüfen ist, wecken Zweifel an dieser Version. Danach könnte es mindestens einem der Täter gelungen sein, in den Sicherheitsbereich vorzudringen.

Es war bereits der vierte schwere Anschlag in Istanbul 2016: Im Januar zündete ein mutmaßlicher IS-Attentäter inmitten einer deutschen Reisegruppe einen Sprengsatz und riss zwölf Menschen mit in den Tod. Im März sprengte sich ebenfalls ein IS-Terrorist auf der belebten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi in die Luft. Vier Israelis und ein Iraner starben. Anfang Juni wurden bei der Explosion einer Autobombe im Zentrum sechs Polizisten und fünf Passanten getötet. Zu dem Anschlag bekannte sich die kurdische TAK.

(RP)
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