Analyse der Kriegsdrohungen Nordkorea und das Spiel mit dem Feuer

Düsseldorf · Das kommunistische Nordkorea, durch einen Eisernen Vorhang von der Außenwelt abgeschottet, versetzt zurzeit mit seinen Kriegsdrohungen die Welt in Angst. Wie ernst meint es der junge Diktator Kim Jong Un?

Kampfbereitschaft: Nordkorea mobilisiert Massen
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Die gute Nachricht vorab: Europäische und amerikanische Asien-Experten glauben nicht, dass der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un seine jüngsten Drohungen umsetzt, Südkorea und die USA militärisch anzugreifen. Doch der 30-Jährige hat sein verbales Säbelrasseln in den letzten Wochen derart eskaliert, dass es kaum mehr steigerungsfähig ist. Könnte er also doch am Ende den Angriffsbefehl geben?

Militärisch wäre das mehr als tollkühn: Zwar stehen 1,2 Millionen nordkoreanische 655 000 südkoreanischen Soldaten gegenüber. Doch Südkorea wird durch den mächtigen Bündnispartner USA unterstützt, während das zunehmend über Kim Jong Un irritierte China seinem kleinen Nachbarn nicht wieder zur Hilfe kommen dürfte — wie einst im Koreakrieg von 1950 bis 1953. Die nordkoreanischen Streitkräfte, mit alten russischen und chinesischen Waffen ausgerüstet, gelten als hoffnungslos unterlegen. Dass Nordkorea bei seiner Kampfstärke zu bluffen versucht, beweisen jüngst von staatlicher Seite veröffentliche Manöverfotos von Seelandungen: Sie wurden am Computer nachbearbeitet, unter anderem bei Luftkissenfahrzeugen, frei nach dem Motto: "Aus eins mach zwei."

Die Drohung mit einem Atomschlag kann Nordkorea zurzeit mutmaßlich erst recht nicht wahr machen. US-Regierungsbeamte fürchten nach einem Bericht der "Washington Post" zwar, dass Nordkorea Fortschritte beim Bau von Nuklearwaffen gemacht hat und beim jüngsten Test im Februar eine Bombe mit hochangereichertem Uran gezündet haben könnte. Dies, so schlussfolgern die Experten, könnte bedeuten, dass das Regime inzwischen zur Urananreicherung fähig ist oder dabei von Kontakten zum Iran profitiert — beides beunruhigende Aussichten.

"Nordkorea ist ein großer Unsicherheitsfaktor"

"Zurzeit sind die nordkoreanischen Nuklearsprengköpfe allerdings noch keine echte Bedrohung. Sie sind viel zu groß für Flugzeuge oder Raketen", sagt Masashi Nishihara, Präsident des japanischen Friedensforschungsinstituts. Das könne sich aber schnell ändern, denn das Land arbeite fieberhaft an kleineren Sprengköpfen und verbesserten Trägerraketen. "Nordkorea ist ein großer Unsicherheitsfaktor", heißt es ergänzend im Verteidigungsministerium in Tokio.

Das trifft genau den Kern. Denn das Regime hat sich mit einem "Eisernen Vorhang" nach außen so abgeschottet, dass es auch politisch äußerst schwer berechenbar ist. Stattdessen gibt es breiten Raum für Gerüchte und Spekulationen, die zutreffen können, aber nicht müssen. Als Kim Jong Un nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il am 29. Oktober 2011 die Nachfolge antrat, bestand die Hoffnung, dass er einen anderen Weg einschlagen werde als sein Vater und sein Großvater. Kim Jong Un, der in der Schweiz unter falschem Namen zur Schule gegangen sein soll, ließ sich in einem Vergnügungspark fotografieren und posierte mit einer jungen Frau, die später als seine Ehepartnerin bestätigt wurde. Einem US-Basketball-Star soll der Koreaner stolz von seiner kleinen Tochter berichtet haben.

Kim Jon Un größenwahnsinnig?

Doch dann kippte das Bild des Hoffnungsträgers, der zur Öffnung seines isolierten Staates bereit sein könnte: "Es ist angesichts der bestehenden Lage an der Zeit, eine Rechnung mit den US-Imperialisten zu begleichen", verkündete der Diktator erst vor wenigen Tagen; die Staatsmedien verbreiten nun fast ausschließlich Bilder von ihm im militärischen Umfeld. Meist trägt Kim Jong Un dabei einen dicken Wintermantel, was zu erneuten unbestätigten Gerüchten führte: Es habe einen Attentatsversuch gegen den Diktator gegeben. Seitdem verdecke er mit dem Mantel eine schusssichere Weste.

Tatsache ist, dass er inzwischen alle Vertrauten seines Vaters rigoros von ihren Ämtern abgelöst hat. Fährt nun ein größenwahnsinniger Hasardeur seinen eigenen Kurs? Kims Vorgehen erinnert eher an das seines Vorgängers, der nicht nur verbal mit Gewalt drohte: Kim Jong Il verantwortete am 26. März 2010 die Versenkung der südkoreanischen Korvette "Cheonan" durch einen Torpedo und am 23. November 2010 den Beschuss der südkoreanischen Insel Yeonpyeong durch Artillerie. Sollte sein Sohn eine ähnliche Eskalation im Sinn haben, könnte er jetzt einen Krieg auslösen. Denn die Südkoreaner kündigten diesmal eine sofortige massive Vergeltung an.

Kim Jong Uns Kriegsdrohungen sind auch deshalb ein unverantwortliches Spiel mit dem Feuer, weil es wegen der Spannungen jederzeit zu einem unbeabsichtigten Zusammenstoß zwischen den hochgerüsteten Militärs in Nord und Süd kommen kann. Das "rote Telefon", über das sich beide Länder solche Zwischenfälle melden und weitere Fehlreaktionen verhindern können, ließ der Diktator abschalten.

Machtverhältnisse verschieben sich

Eine These, die Kim Jong Uns scheinbar leichtfertiges Verhalten zu begründen versucht, lautet, der junge Diktator versuche, Nordkoreas Position in Asien zu festigen. Dort verschieben sich zurzeit großflächig die Machtverhältnisse. Kim wolle mit dem Kriegsgeschrei gegen die USA China wieder enger an sich binden und, mit der Bombe in der Hand, als ebenbürtiger Partner im Machtpoker wahrgenommen werden. Schon früher hatte Nordkorea mit Drohgebärden Hilfslieferungen für seine notleidende Bevölkerung erpresst.

Doch sehen die meisten Asien-Kenner in Kim Jong Uns Drohungen innenpolitische Ziele. Möglicherweise steht der kommunistische Staat inzwischen kurz vor dem Zusammenbruch: Zwei Drittel der 24 Millionen Nordkoreaner leiden nach UN-Angaben Hunger, jedes fünfte Kleinkind stirbt. Mehr als 200 000 Menschen sollen in Lagern eingesperrt sein. Eine tragfähige Industrie existiert nicht. US-Diplomaten vermuten darum eine Art Imagekampagne des Diktators: Dem Volk werde suggeriert, dass er sicher an der Macht sei. Und die angebliche Gefahr von außen soll die Nordkoreaner zusammenhalten.

(RP/jre/csi)
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