Kommentar Schottland — Lehrstück für politische Vernunft

Meinung | Glasgow · Die Briten, Engländer wie Schotten eingeschlossen, können stolz sein auf ihre Demokratie. Selten hat ein Land ein solches Reifezeugnis abgelegt. Mit großer Leidenschaft haben beide Seiten für ihre Sache gekämpft - die Unionisten für die Einheit, die Nationalisten für die Unabhängigkeit.

Wichtige Fakten zu Schottlands Geschichte
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Foto: afp, AB/JR

Aber anders als es die Begriffe vermuten lassen, entstand daraus ein fairer politischer Wettbewerb. Am Ende siegte die Gruppe, die sich für eine Beibehaltung der staatlichen Bindung Schottlands an Großbritannien aussprach. Und die Unterlegenen akzeptierten. Mehr Demokratie ist nicht möglich. In den meisten Teilen der übrigen Welt geht so etwas nicht ohne Betrug, Gewalt oder politische Vergiftung ab - siehe Balkan, Sudan, Afghanistan oder Ukraine.

Ob das gescheiterte Referendum die anderen Unabhängigkeitsbewegungen in Europa beeinflusst, ist unklar. Katalanen, Basken, Flamen oder Korsen, die selbstständig werden wollen, werden durch das schottische Nein nicht von ihren Träumen lassen. Die Katalanen wollen es mit einem Referendum am 9. November versuchen. Die spanische Regierung hat es schon für illegal erklärt. Warum eigentlich? Könnte es nicht sein, dass sich auch hier eine Mehrheit für die Vernunft entscheidet? Offenbar hat die konservative Regierung Angst vor der Demokratie.

Halb Schottland weint - halb Schottland jubelt
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Sieger des Referendums ist eindeutig der britische Premier David Cameron. Bislang ist er nicht gerade durch eine sonderlich glückliche Hand aufgefallen. Sein Regierungspartner schwächelt, er selbst hat bei der Frage nach einem Truppeneinsatz in Syrien im Parlament eine empfindliche Niederlage erlitten. Jetzt hat er mit seinem leidenschaftlichen Appell für die Einheit den Fortbestand seines Landes gesichert.

Aber Großbritannien wird sich verändern. Das einseitig auf London fixierte Land muss seinen Teilen mehr Kompetenzen einräumen. Davon werden nicht nur die Schotten, sondern auch die Waliser und Nordiren, ja selbst die Engländer profitieren. Hier kommt nun eine Tradition ins Spiel, die ihre Heimat in Deutschland, der Schweiz oder den USA hat - der Föderalismus. Es wäre den Briten zu wünschen, dass sie aus den Fehlern des deutschen Föderalismus lernen. Es kann nicht sein, dass jede Ebene, die nationale, regionale oder kommunale, auf jeder anderen Ebene mitentscheidet, wie es das Modell des kooperativen Föderalismus à la Bundesrepublik vorsieht. Besser ist es, wenn jede Ebene für sich entscheidet und dafür die Verantwortung trägt. Das wäre Autonomie im nationalen Verbund - und könnte die Unterlegenen im schottischen Referendum trösten.

(RP)
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