Wingfoot Deutsche Luftschiff-Technik erobert die USA

Wingfoot · Drei Zeppeline hat der US-Reifenhersteller Goodyear gekauft und belebt damit eine Kooperation der Zwischenkriegszeit wieder.

Lake Wenn Walter Bjerre vom Fliegen spricht, merkt man schnell, dass es für ihn nichts Schöneres gibt. Nur dass er vom Fliegen im Zeitlupentempo redet. Bjerre saß in der Gondel eines Luftschiffs, mit knapp sechzig Stundenkilometern schwebte er sachte vorbei an den Wolkenkratzern New Yorks, den Hudson hinunter, den East River hinauf. Am schönsten war es abends, wenn unten in den Straßenschluchten die Lichter angingen. "Das vergisst du dein Leben lang nicht."

Eine Rosenblüte am Revers seines Jacketts, so sitzt der alte Mann unterm Rumpf eines 75 Meter langen Airships, eines Luftschiffs. Eine Diva mit Opernstimme hat das "Star-Spangled Banner" gesungen, wie viele andere auch hat Bjerre seine rechte Hand patriotisch aufs Herz gelegt zu den Klängen der Hymne. Robin Roberts, strahlend schöne Moderatorin des Frühstücksfernsehens von ABC, hat die "Wingfoot One" mit Champagner getauft. Draußen spielt eine Schülerblaskapelle. Großer Bahnhof im altehrwürdigen Hangar am Wingfoot Lake, einem See in der Nähe von Akron, an dessen Ufer sie seit fast 100 Jahren Luftschiffe bauen. Bjerre ist mit seinen 92 Jahren der Ehrengast. Mister Airship.

Die Technik für die Riesenzigarre, die hinter ihm die halbe Halle ausfüllt, stammt aus Deutschland, aus Friedrichshafen am Bodensee. Die Zeppelin-Werft lieferte die Teile, montiert wurde das Ganze am Wingfoot Lake. Der Neuling, der in seiner Gondel 14 Insassen Platz bietet, ersetzt die Prallluftschiffe der alten Generation, die Blimps, amerikanische Eigengewächse, eigentlich nur bessere, oval geformte Ballons. In so einem Blimp glitt Bjerre in den späten 40er Jahren über Manhattan hinweg, über Philadelphia, Milwaukee, Chicago. Die Hülle eine Werbetafel, mal für Autos von Ford, mal für Filme von Metro-Goldwyn-Mayer, mal für eine Toastbrotmarke. Es war die Zeit nach dem Krieg, die verklärte Blütezeit Amerikas. Im Krieg hatte Bjerre als Pilot der Navy gedient. Im Frieden wechselte er zu Douglas Lee, einer Firma, die Luftschiffe als fliegende Litfaßsäulen einsetzte. In New York, erinnert er sich, befand sich die Spitze des Empire State Building auf gleicher Höhe mit seiner Kanzel. "Es war still, ringsum Fenster, ein freier Blick. Einfach großartig."

"Singapur war zu eng"

Kein Wunder, dass Thomas Brandt von der Renaissance der Luftschifffahrt träumt, von Passagieren, die nach einer halben Stunde über Manhattan aus dem Zeppelin steigen und mit leuchtenden Augen sagen, dies sei der Flug ihres Lebens gewesen. Neben den Landeplatz würde er ein Hotel stellen, ein kleines Museum, eine Wissenswelt. Nur: New Yorker Baugrund ist sündhaft teuer, es müssten sich betuchte Investoren mit einem festen Glauben an die Zukunft der Zigarren der Lüfte finden, damit der Traum in Erfüllung geht. Brandt, 58, Geschäftsführer der Zeppelin Luftschifftechnik GmbH, wollte seine Idee schon in Singapur testen, "aber Singapur hat keinen Platz für uns, es ist einfach zu eng". In Peking ist die Luft zu verpestet vom Smog, Berlin wäre denkbar, genau wie Hamburg oder München. Oder San Francisco.

Brandt war mal Finanzchef bei Greenpeace, "weil ich mich so geärgert habe über die Abholzung der Wälder". Der Mann kann sehr philosophisch klingen, etwa, wenn er von der Wiederentdeckung der Langsamkeit spricht. Die werde ja wieder geschätzt von den Leuten, es müsse nicht mehr alles schnell, schnell gehen. Vielleicht biete das Chancen für den Charme eines gemächlich dahingleitenden Luftschiffs.

Die Taufe am Wingfoot Lake, sie soll ein Meilenstein sein. 43 Millionen Dollar hat der Reifenhersteller Goodyear für drei Zeppeline neuer Technologie (NT) vom Bodensee bezahlt. Es ist das erste Mal, dass sich ein solches Projekt für die Friedrichshafener rechnet und nicht nur reine Liebhaberei ist. Wer mit Luftfahrttechnik Erfolg haben will, weiß Brandt, braucht den amerikanischen Markt. Vielleicht zieht China irgendwann nach, doch das ist Zukunftsmusik. Noch geben die USA klar den Ton an, nicht nur wegen der Weite des Landes, sondern auch, weil die sträflich vernachlässigte Eisenbahn kaum sinnvolle Alternativen anbietet. Brandt hat dicke Bretter bohren müssen am Wingfoot Lake. 2005 ließen ihn die Goodyear-Leute noch abblitzen, 2007 begannen ernsthafte Gespräche, jetzt sagt Dave Beasley mit der Routine eines Unternehmensprofis, dass er stolz ist auf die lange Kooperation mit Zeppelin. Beasley leitet bei Goodyear die Luftschiffsparte. "Full Circle" nennt er das Projekt mit den Friedrichshafenern. Der Kreis schließt sich, soll das bedeuten.

Es begann mit dem Versailler Vertrag

Goodyear und Zeppelin, es ist tatsächlich eine lange Geschichte. Sie begann mit dem Versailler Vertrag, nach dessen Bestimmungen Deutschland keine großen Luftschiffe mehr bauen durfte. Hugo Eckener, der damalige Zeppelin-Chef, ursprünglich Journalist, trickste die Paragrafen raffiniert aus, indem er die US-Navy dazu brachte, in Friedrichshafen einen Zeppelin zu bestellen, deklariert als Teil der Reparationsleistungen, die Deutschland den Siegern des Ersten Weltkriegs zu erbringen hatte.

Unter Eckeners Kommando flog die LZ 126, in Amerika "Los Angeles" getauft, 1924 in 81 Stunden über den Atlantik und drehte eine Art Ehrenrunde über den Köpfen der begeisterten New Yorker, bevor sie auf dem Militärstützpunkt Lakehurst in New Jersey landete. Bald darauf übersiedelten 13 Ingenieure vom Bodensee in die Neue Welt, wo sie den Kern der Goodyear-Zeppelin Corporation bildeten. Eckener, der findige Praktiker: Harold G. Dick, ein amerikanischer Techniker, der ihn gut kannte, charakterisierte ihn in seinen Memoiren als Mann von Welt, international bestens vernetzt, mit einem Blick, der weit über den deutschen Tellerrand reichte.

1937, am 6. Mai, folgte die Katastrophe. Die "Hindenburg", nach einer Atlantiküberquerung im Landeanflug auf Lakehurst, explodiert in einem gewaltigen Feuerball, 35 der 97 Menschen an Bord starben. Da ist es mit der Luftschifffahrt erst einmal vorbei, abgesehen von den kleineren Blimps, die die amerikanische Kriegsmarine einsetzte. 1940 löste sich die Goodyear-Zeppelin Corporation auf.

Und nun? Die Renaissance? Vor allem Reklame sollen seine drei neuen Luftschiffe fliegen, eines in Kalifornien, eines in Florida, eines in Ohio stationiert. An Transatlantikflüge denkt vorläufig keiner, nicht einmal Brandt, der Träumer. Auch Walter Bjerre, der Veteran, sieht es skeptisch. "Menschen über weite Strecken in einem Zeppelin transportieren? Vergessen Sie's, das war die Welt von gestern."

(RP)
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