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CSU empfängt Viktor Orban Orban wirft Merkel "moralischen Imperialismus" vor

Bad Staffelstein · Horst Seehofer und die CSU empfangen am Mittwoch Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Andernorts löst das Treffen Entsetzen aus. Orban ist schließlich der Mann, der sein Land abschottet und mit Tränengas gegen Flüchtlingen vorgeht. Ein CSU-Politiker fordert hingegen, so wie Ungarn die Grenzen mit Zäunen zu sichern.

Horst Seehofer empfängt seinen Gast Viktor Orban zur CSU-Klausurtagung.

Horst Seehofer empfängt seinen Gast Viktor Orban zur CSU-Klausurtagung.

Foto: ap

Orban hat der Bundesregierung bei dem treffen einen "moralischen Imperialismus" in der Flüchtlingskrise vorgeworfen. Orban spielte mit seiner Kritik auf das Vorgehen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an. "Ganz egal wie Deutschland sich entscheidet, das soll nur für sie gelten", sagte Orban am Mittwoch bei einer CSU-Klausur in Kloster Banz zum Streit um Flüchtlingsquoten in der EU. "Die Ungarn wollen das nicht." Der ungarische Regierungschef versicherte gleichzeitig, er verehre Merkel und wolle sich nicht in die deutsche Innenpolitik einmischen.

Vor dem EU-Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik präsentierte Orban ein Forderungspaket mit sechs Punkten. Die Mitgliedstaaten sollten ein Drei-Milliarden-Euro-Programm der EU zur Bewältigung der Krise finanzieren. Das Geld solle unter anderem zur Sicherung der EU-Außengrenzen verwendet werden. Die Überwachung der griechischen Grenzen solle von den europäischen Ländern übernommen werden, die dazu bereit seien, sagte Orban. Voraussetzung sei aber, dass Griechenland das selbst beantrage. "Jedes Land, das daran Interesse hat, könnte freiwillig Kräfte dorthin entsenden."

Flüchtlinge und Arbeitsmigranten sollten schon vor der Einreise in den Schengen-Raum getrennt werden. Außerdem solle es eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten geben. Orban schlug außerdem eine "besondere Partnerschaft mit der Türkei" vor, um die Flüchtlingskrise in den Griff zu bekommen. Auch das Verhältnis zu Russland solle überdacht werden. Eine Flüchtlingsquote innerhalb der EU lehnte Orban erneut ab, plädierte aber für "Weltkontingente".

Schon bevor Orban den Tagungsort der CSU kommt es zu Protesten. Ein großes Plakat hängt vor dem Kloster Banz, das sich gegen die Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten richtet. Der verstoße gegen Menschenrechte sowie Presse- und Religionsfreiheit, heißt es. Gezeigt wird ein großer Orban, der einen kleinen CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer an der Hand hält. Orbans Einladung sei eine "Provokation für alle Demokraten", sagt Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher.

Eine Provokation ist diese symbolkräftige Einladung vor allem in Richtung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ein übles Foul", lautet einer der zahlreichen Vorab-Kommentare in den Medien. Denn Orban kommt quasi als Verbündeter im Kampf gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Die Geste ist unmissverständlich: Deutschland braucht aus Sicht der CSU einen restriktiveren Kurs.

Das Gegenstück zu Merkel, die der "Spiegel" schon als Mutter Theresa der Flüchtlingshilfe karikierte, ist in der Wahrnehmung der wohl meisten Deutschen Viktor Orban. Ein Mann, der Muslime unter Generalverdacht stellt, die ungarische Nation als Einheit der Christen beschwört und eine rigide Abschottungspolitik betreibt.

Orban betont stets die Sicherung von Grenzen

Die Bilder aus Ungarn sind noch allzu gut in Erinnerung: Polizisten gingen mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Steine werfende Jugendliche vor. Polizisten warfen Flüchtlingen in einem Erstaufnahmecamp Essen über den Zaun zu, als wären sie Raubtiere. Stacheldraht-Rollen mit messerscharfen Klingen, die eine Grenze mitten in Europa abzäunen.

"Ein Land, das seine Grenzen nicht schützen kann, ist kein Land", betonte Orban unlängst auf der Botschafter-Konferenz seines Außenministeriums. Der Grenzzaun, die neuen Notstandsgesetze, die faktische Aushebelung des Asylrechts: All dies hat zum Ergebnis, dass seit letztem Dienstag kaum mehr Flüchtlinge durch Ungarn kommen.

Zeitgleich erörtert Deutschland die Frage, wie lange das noch gutgehen mag, mit der Willkommenskultur und auch innerhalb der CDU mehren sich die kritischen Stimmen an der Kanzlerin. In Bayern sind sie längst täglich zu hören.

Hinter dem Dauerfeuer steckt eine Strategie

Die CSU ist erzürnt über die Öffnung der Grenzen und schimpft darüber, dass nun vor allem der Freistaat Zehntausende Flüchtlinge versorgen muss und dabei an seine Grenzen gerät, während Merkel für "humanitäre Politik" gefeiert wird. Es könne nicht sein, dass die einen für "Moral und Menschlichkeit" zuständig seien und die anderen für die "Arbeit und Ressourcen", mäkelte CSU-Chef Seehofer. In seinen Augen hat Merkel das Dublin-Abkommen de facto außer Kraft gesetzt - und damit Recht und Ordnung beendet.

Hinter der wiederholten Kritik steckt Strategie. Merkel soll so stark unter Druck gesetzt werden, dass sie bald möglichst die Notwendigkeit einer schnellen Begrenzung der Flüchtlingszahlen erklärt, heißt es in der Landtagsfraktion. Seehofer forderte "ein klares Wort" von der Kanzlerin.

"Es wird mehr Zäune geben müssen"

Andere erwarten noch mehr. So plädiert der CSU-Politiker und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europa-Parlament Manfred Weber passend zum Orban-Besuch für eine strikte Sicherung der EU-Außengrenzen. "Es wird mehr Zäune geben müssen", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Es könne nicht sein, dass Hunderttausende Flüchtlinge teils völlig unkontrolliert quer durch Europa zögen. "Einige EU-Staaten machen schlicht nicht ihren Job, dass heißt, ihre Außengrenzen zu sichern und zu überwachen, wer da nach Europa kommt."

Würden die Außengrenzen nicht wirkungsvoller gesichert, müsse "Europa das Kommando übernehmen und durchgreifen". Weber sieht in Deutschland wie in Europa Grenzen der Aufnahmefähigkeit von Flüchtlingen. "Wir können in Europa nicht alle 60 Millionen Menschen aufnehmen, die derzeit auf der Flucht sind", erklärte er.

Gegenüber "Spiegel Online" äußert sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl ähnlich. "Orban hatte von Anfang an recht, die Außengrenzen der EU nach Serbien unter Kontrolle zu bringen. Dazu ist ein Zaun geeignet", zitiert ihn das Nachrichtenportal. Die Anarchie an den Grenzen müsse beendet werden.

Umfrage sieht die CSU im Aufwind

Gestärkt sieht sich die CSU in ihrer Kritik von einer selbst in Auftrag gegebenen Umfrage. Ergebnis: Die Bayern bewerten die Flüchtlingskrise als das derzeit mit Abstand wichtigste Thema. Zeitgleich ist die CSU den Daten zufolge im Aufwind. Wurde sie zuerst für ihre restriktive Haltung scharf kritisiert, finde sie jetzt Unterstützung über ihre Anhänger hinaus. Demnach halten in Bayern drei Viertel aller Wahlberechtigten - und selbst zwei Drittel der Grünen-Anhänger - die umstrittenen Rückführungszentren für Asylbewerber vom Balkan für hilfreich.

Für CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer eine Genugtuung. Es sei wie so oft bei der CSU: "Am Anfang gibt es furchtbare Kritik und Dresche, und zwei Monate später ist es so, das alle diese Maßnahmen für richtig halten." "Ein ganz wichtiger Partner" sei Orban, so Kreuzer - aller Kritik an dessen Flüchtlingspolitik zum Trotz.

Mit Material von AFP, Reuters und dpa

(pst)
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